Erinnerungskultur in Wolfratshausen:"Verzeihen kann man nicht"

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Zeitzeugin Eva Umlauf (links) im Gespräch mit der Badehaus-Vorsitzenden Sybille Krafft. (Foto: Manfred Neubauer)

Eva Umlauf zählt zu den jüngsten Überlebenden des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau. 1944 wurde sie als knapp Zweijährige in einem der letzten Deportationszüge ins KZ verschleppt. Im Waldramer Badehaus spricht die "Gefühlserbin", wie sich Umlauf nennt, über psychologische Aspekte des Erinnerns.

Von Arnold Zimprich, Wolfratshausen

Es muss wehgetan haben, sehr weh. So weh, dass Eva Umlauf nur aus der Erinnerung ihrer Mutter weiß, dass ihr ein Mann im Konzentrationslager Auschwitz die Häftlingsnummer eintätowiert hat. Denn sie wurde - als nicht einmal Zweijährige auf dem Arm ihrer Mutter sitzend - ohnmächtig. "Man nennt das respiratorischer Affektkrampf" diagnostizierte die Kinderärztin und Psychoanalytikerin nüchtern, als sie am Sonntag im Waldramer Badehaus als Zeitzeugin über ihre Erlebnisse sprach.

Am 19. Dezember 1942 im slowakischen Arbeitslager Nováky geboren, wurde Umlauf in der Nacht vom 2. auf den 3. November 1944 ins Konzentrationslager Auschwitz gebracht. "Es war der erste Transport, mit dem man nicht direkt ins Gas kam", erzählte Umlauf. Erst kurz zuvor waren die Öfen gesprengt worden. Die Deutschen wollten ihre Gräueltaten vor der heranrückenden Roten Armee vertuschen. Eigentlich hätte der Transport, in dem sich auch Umlauf befand, früher eintreffen sollen. "Die Lok war kaputtgegangen". Der Transport wurde daher auch "glücklicher Transport" genannt.

Umlaufs Gespräch am Sonntag mit der Badehaus-Vorsitzenden Sybille Krafft stand unter der Überschrift "Psychologie des Erinnerns", was als Parabel auf ihr Leben gelten darf. "Wir mussten vergessen", sagte Umlauf gleich zu Beginn, "wie, glauben Sie, hätten wir sonst überleben können?" Eva Umlaufs früheste Erinnerung bezieht sich auf die Zeit kurz nach Kriegsende. "Wir gehen durch die Stadt und hüpfen, Menschen werden auf uns und unsere Mutter Agnes aufmerksam: ,Ach, Agi, Sie leben und die Kinder auch!', rufen sie. Wir wurden als Wunder wahrgenommen", sagte Umlauf. Die Kriegsgräuel wurden ihr erst mit der Zeit bewusst. "Wir spürten als Kinder, dass wir nicht fragen sollten." Wechselten die Erwachsenen von der slowakischen Muttersprache Umlaufs ins Deutsche, war den Kindern klar, worum es ging. Um etwas, das die Kinder nicht erfahren sollten.

Offene Tuberkulose, Keuchhusten, Pneumonie - Eva Umlauf war bei der Befreiung des Konzentrationslagers am 27. Januar 1945 schwer krank. "Das Kind wird nicht leben", prognostizierte ein Arzt. "Es war ihre Mutterliebe, die mir das Leben gerettet hat", berichtete Umlauf über ihre Mutter Agnes. Ebenfalls schwer erkrankt und hochschwanger, waren Mutter und Tochter - Vater Imrich starb im KZ Melk - nicht transportfähig. "Wir sind so lange in Auschwitz geblieben, bis am 26. April 1945 meine Schwester Nora auf die Welt kam."

Umlauf erzählte ihre Geschichte nicht zum ersten Mal. Schon vor sechs Jahren interviewte Krafft sie auf BR Alpha. Dass sie nun vor mehr als 100 Zuhörern im voll besetzten Dachgeschoss des Badehauses zu Gast sein konnte, war ein großer Glücksfall. "Die Auschwitz-Überlebenden werden weniger", sagte Umlauf.

"Wann hören die Traumata auf?", fragte Sybille Krafft die Zeitzeugin an einer Stelle. "Ich weiß es nicht", antwortete Umlauf, und stellte fest: "Verzeihen kann man nicht." Doch wie Badehaus-Mitarbeiter Jonathan Coenen zum Abschied hervorhob, sei "miteinander zu leben eine Aufgabe, an der jeder beteiligt ist". Er gab dem Publikum eine Frage mit auf den Nachhauseweg: "Wie nimmt jeder von uns diese Aufgabe wahr, insbesondere hinsichtlich der kommenden Wahlen?"

Eva Umlaufs Autobiografie "Die Nummer auf deinem Unterarm ist blau wie deine Augen" ist mit der ISBN-Nr. 978-3-455-01130-2 bei Hoffmann & Campe erschienen.

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