Geretsrieder Energiewende in Gefahr:Kleckern statt klotzen beim Klimaschutz

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Nach den gescheiterten Geothermiebohrungen in Gelting muss die Stadt Geretsried Alternativen suchen, um ihren Kohlendioxidausstoß bis zum Jahr 2020 tatsächlich noch um 40 Prozent reduzieren zu können.

Von Felicitas Amler und Claudia Koestler, Geretsried

Die Stadt Geretsried muss nun wohl zu "Plan B" greifen, um ihr selbst gesetztes Klimaschutzziel zu erreichen: Mit dieser Erklärung informierte Bürgermeister Michael Müller (CSU) am Dienstag den Haupt- und Finanzausschuss des Stadtrats darüber, dass die Enex GmbH ihr Geothermie-Vorhaben in Geretsried-Gelting scheitern sieht. Er hoffe zwar noch, "dass irgendwie ein Wunder geschieht", sagte Müller. Doch wenn nicht, müsse die Stadt "Insellösungen" statt des geplanten Fernwärmenetzes ins Auge fassen. Eine solche ist bereits für den Standort des neuen Hallenbads an der Adalbert-Stifter-Straße beschlossen; dort soll eine Hackschnitzelanlage die Energie liefern. Möglicherweise muss die Stadt ihr Klimaschutzziel jetzt aber niedriger ansetzen.

Geretsried hat sich noch zu Zeiten von Müllers Amtsvorgängerin Cornelia Irmer (parteilos) im Jahr 2011 selbst dazu verpflichtet, den Kohlendioxidausstoß in der Stadt bis zum Jahr 2020 um 40 Prozent zu senken. Die Aussicht, Energie aus Tiefenwärme zu gewinnen, hatte dabei eine entscheidende Rolle gespielt. Doch nach dem Scheitern der ersten Geothermie-Probebohrungen bei Gelting im Jahr 2013 scheint nun auch der zweite Versuch erfolglos zu enden. Am Dienstag hat Enex eine Erklärung veröffentlicht, wonach auch bei der aktuellen Bohrung in mehr als 4800 Meter Tiefe nur "sehr enttäuschende Ergebnisse" erzielt wurden. Es sei stets nur eine geringe Schüttung zutage gefördert worden - dies bezeichnet die in einer bestimmten Zeit geförderte Wassermenge. Die Fündigkeit sei damit ungenügend. Schon beim ersten Versuch im Jahr 2013 war das Tiefenwasser zwar heiß genug, floss aber nicht ausreichend.

Enex betonte zwar, die Frage nach der wirtschaftlichen Nutzung der Bohrung am Breitenbach sei noch nicht abschließend geklärt. Auf der Homepage des Bundesverbands Geothermie hieß es dazu am Mittwoch aber: "Die Pumpversuche in 4852 Meter Tiefe fanden keine geothermalen Reservoire." Weitere Erkenntnisse soll eine Analyse durch das Projekt Dolomitkluft erbringen. Dieses Projekt wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWI) gefördert.

Vor fünf Jahren hatte Geretsried ein 305 Seiten starkes Klimaschutzkonzept vorliegen, aus dem hervorging, dass in der Stadt 220 000 Tonnen Kohlendioxid im Jahr ausgestoßen wurden. Auf dieser Grundlage hatte der Stadtrat beschlossen, bis 2020 die Emissionen des schädlichen Klimagases um 40 Prozent zu reduzieren. Damals wurden Geothermie, Wind, Photovoltaik und Solarthermie als Beiträge zur Energieversorgung der Zukunft erklärt. "Da die Geothermie mit circa 70 Prozent einen sehr großen Anteil an diesen Zielen ausmacht, sind wir von den aktuellen Meldungen aus Gelting sehr enttäuscht", sagte der städtische Pressereferent Thomas Loibl am Mittwoch. Geretsried stehe vor einer neuen Ausgangssituation, mit der sich auch der Stadtrat in einer der kommenden Sitzungen beschäftigen werde. "Eine Anpassung der Klimaschutzziele ist insofern leider nicht auszuschließen", erklärte Loibl.

Die Stadt werde nun für ihre eigenen Einrichtungen die von Bürgermeister Müller erwähnten Insellösungen verfolgen: die Entwicklung von kleineren Nahwärmeverbundnetzen an geeigneten Standorten. "Dem gegenüber hätte Fernwärme durch Geothermie ein großes, zusammenhängendes Netz über das Stadtgebiet gespannt", erklärt Loibl. Die Variante "Insellösungen" sei aber als "Plan B" auch im integrierten Klimaschutzkonzept beleuchtet und untersucht worden. Ein Beispiel dafür sei die künftige regenerative Wärmeversorgung in Form von Hackschnitzel am Standort Schulzentrum mit Adalbert-Stifter-Mittelschule, Gymnasium und Realschule, Bücherei, Volkshochschule, Jugendzentrum und dem geplanten interkommunalen Hallenbad. Dieses Konzept werde durch die Stadtwerke umgesetzt.

Wie weit Geretsried mit der Reduktion des Kohlendioxid-Ausstoßes gekommen ist, konnte der Rathaussprecher am Mittwoch nicht beantworten: "Aktuelle Zahlen liegen uns derzeit noch nicht vor." Mit Enex habe die Stadt noch keine Verträge geschlossen: "Wir haben lediglich die Absicht erklärt, uns vorstellen zu können, Geothermie in einem Fernwärmenetz zu nutzen und darüber - zu gegebener Zeit - zu sprechen."

Nur wenige Kilometer weiter, auf Ickinger Flur, plant die Erdwärme Bayern GmbH die größte Geothermie-Anlage Deutschlands. Dort soll von 2020 an Strom für bis zu 50 000 Haushalte erzeugt werden. Erst im Oktober dieses Jahres hatte ein finnisches Finanzdienstleistungsunternehmen dafür eine 160-Millionen-Euro- Investition zugesagt. Ob das Vorhaben nun trotz des Geltinger Fehlversuchs wie geplant fortgesetzt wird, dazu wollte sich Geschäftsführer Markus Wiendieck am Mittwoch noch nicht äußern.

© SZ vom 09.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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