Campendonk:Die Magie einer Postkarte

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Gisela Geiger hat die Stadt Penzberg zu einem angesehenen Kunststandort gemacht. Nun verabschiedet sie sich mit einer Campendonk-Schau, die Schätze und Überraschungen birgt

Von Stephanie Schwaderer, Penzberg

In ihrer Abschiedsausstellung präsentiert Gisela Geiger Postkarten von Heinrich Campendonk, die noch nie zuvor zu sehen waren. (Foto: Manfred Neubauer)

Eine der fantastischsten Geschichten der Stadt Penzberg beginnt im Jahr 2000 mit ein paar Kunstpostkarten. Hans Mummert, der damalige Bürgermeister, hat sie an die Wand seines Büros gepinnt, wo sie die Neugier einer Mitarbeiterin wecken. Gisela Geiger, eine gebürtige Bottroperin, will wissen, wer diese Bilder gemalt hat. Die Geisteswissenschaftlerin, die mit ihrem Mann und vier Kindern von München nach Penzberg gezogen ist, hat den Verein "Kunstzeche" mit ins Leben gerufen und fungiert als "Museumsbeauftragte" der Stadt. Mummert erzählt ihr von Herbert, einem Arbeitskollegen bei MAN, dessen Vater ein gewisser Heinrich Campendonk gewesen sei. Er habe zur Künstlervereinigung Blauer Reiter gehört, einige Jahre in der Gegend gelebt und immer wieder Penzberger Motive gemalt.

Ihr erster Gedanke sei gewesen: "Da müssen wir etwas machen!", erinnert sich Geiger heute. 18 Jahre später hat sie jenen Moment im Bürgermeisterzimmer noch immer klar vor Augen. Mummert habe geantwortet: "Ja, machen Sie eine Posterausstellung." Sie lacht kurz auf, als sie das erzählt. Poster? "Nein, habe ich gedacht, da machen wir etwas ganz anderes."

Mittlerweile beherbergt das Penzberger Museum, das auf Geigers Betreiben hin modernisiert und stilvoll erweitert wurde, nicht nur die mit 300 Werken weltweit größte Campendonk-Sammlung. Für ihre Abschiedsausstellung unter dem Titel "Einfach. Magisch" hat die scheidende Direktorin auch Leihgaben aus deutschen, niederländischen und belgischen Museen sowie aus Privatsammlungen nach Penzberg geholt. Bis Mitte September präsentiert sie noch einmal Werke aus allen Schaffensphasen Campendonks - unter anderem Ölbilder, Tuschpinselzeichnungen, Holzschnitte und Hinterglasmalerei.

Leuchtende Körper vor einem dunklen Hintergrund sind typisch für Heinrich Campendonk. Die "Zwei Akte in Landschaft" (hier im Bild) hat Gisela Geiger für ihre Abschiedsausstellung aus Brüssel nach Penzberg geholt. (Foto: Manfred Neubauer)

Manche der Exponate sind zum ersten Mal in Deutschland, andere haben womöglich ihre letzte Reise angetreten, darunter der "Penzberger Reiter" aus dem Jahr 1918, der so fragil ist, dass er eigentlich nicht mehr sein angestammtes Haus in Mönchengladbach verlassen dürfte. "Dass er noch einmal bei uns ist, freut mich besonders", sagt Geiger. Das Aquarell zeigt einen Mann ohne Zügel, der mit gesenktem Kopf auf einem müden Esel sitzt, im Hintergrund die Kulisse der Bergarbeiterstadt. In Geigers Augen ist es nicht nur ein "wunderschönes", sondern auch ein "hochpolitisches Werk", in dem sich Sozialkritik und revolutionäres Potenzial spiegeln.

Campendonk kam 1911 als 21-Jähriger von Krefeld ins Oberland, auf Einladung von Franz Marc und Wassily Kandinsky. Geigers Liebe zu ihm ist langsam gereift. "Man braucht Zeit, ihn zu entdecken", sagt sie. "Ich hatte diese Zeit." Anfangs habe sie es bedauert, dass er "kein Kirchner oder Beckmann" sei, viel verhaltener. Mittlerweile habe sie eben dies zu schätzen gelernt: "Campendonk ist als Maler und Grafiker einer der Großen - aber eben ein Stiller, er trumpft nie auf." Wer das Auge auf den immer wiederkehrenden Motiven Mensch und Tier ruhen lässt, wird belohnt. Die Bilder entwickeln eine geheimnisvolle Tiefe, geben Rätsel auf. Einfach. Magisch. Mit der Abschiedsausstellung bekräftigt Geiger noch einmal das, was sie erfolgreich zu ihrem Lebenswerk gemacht hat: Die Wiedererweckung Campendonks. Sie hat den Künstler, der von Krieg, Exil und Depressionen gezeichnet und in Vergessenheit geraten war, zurück ins Leben geholt. Ihm ein Gesicht gegeben, ihn attraktiv und spannend gemacht. 2002 eröffnete sie die erste Ausstellung mit Leihgaben in Penzberg. Der zugehörige Katalog wird mittlerweile für 250 Euro gehandelt. Erfolgreiche Sonderschauen und vielfältige Publikationen folgten.

Mehr als Geiger könnte allenfalls der Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi dazu beigetragen haben, Campendonk wieder ins Gespräch zu bringen. 2010 entpuppte sich sein "Rotes Bild mit Pferden", eines der teuersten Werke auf dem deutschen Auktionsmarkt, als Fälschung. Der Kunstmarkt war erschüttert und Campendonk in aller Munde. Geiger wurde als Expertin in die Ermittlungen einbezogen. "Das war spannend", sagt sie.

Im gleichen Jahr erlebte sie ihre größte Niederlage, als sich der Penzberger Stadtrat überraschend gegen den Erwerb des Campendonk-Nachlasses für 4,1 Millionen Euro aussprach. Den Ausschlag gab die Stimme von Bürgermeister Mummert, der seine Meinung in letzter Minute änderte und mit Nein votierte. Für Geiger, die den Ankauf minutiös vorbereitet hatte, eine bittere Enttäuschung. Für die Stadt eine verpasste Chance. Kurzzeitig sah es so aus, als seien die Bilder verloren. Dann sprang die Unternehmerfamilie Mast ein, kaufte das Konvolut und stellte es der Stadt für 15 Jahre als Leihgabe zur Verfügung.

Nicht minder sehenswert sind die Postkarten, die der Künstler seiner "Adda" schickte, und natürlich der "Penzberger Reiter" aus dem Jahr 1918, der vermutlich zum letzten Mal in seine Stadt zurückkehrt. (Foto: ©VG Bild-Kunst2018)

Zum Abschied hat Geiger kleine Juwelen aus diesem Nachlass geholt, die bislang noch nie gezeigt wurden: Postkarten, die Campendonk für seine Frau Ada zeichnete und aquarellierte. Es sind bezaubernde Miniaturen, die einen Einblick in das Privatleben des Künstlers geben und in einen eigenen Katalog ("Gemalte Grüße") Eingang gefunden haben.

"Wir lieben Herbert" steht in großen Lettern auf einer Karte aus dem Jahr 1915. Ein lachender Mann hat seinen Arm schwungvoll um eine Frau mit blauer Haut und schwarzen Locken gelegt. Das Paar freut sich über den kleinen Sohn - jenen Herbert, der viele Jahre später einem Arbeitskollegen ein paar Postkarten schenken sollte - und damit eine fantastische Geschichte ins Rollen brachte.

"Einfach. magisch. Die Bildwelten Heinrich Campendonks", 16. Juni bis 16. September; eröffnet wird die Ausstellung am Donnerstag, 14. Juni, 19 Uhr, in der Aula des Gymnasiums Penzberg

© SZ vom 14.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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