Bürgerversammlung in Kochel am See:Von A wie Asyl bis S wie Seestuben

Lesezeit: 3 min

Bürgermeister Thomas Holz buchstabiert auf der Bürgerversammlung sein Abc der Lokalpolitik. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Bürgermeister Thomas Holz buchstabiert das Abc der Lokalpolitik. Das Restaurant am See soll nun doch nicht saniert, sondern für 1,8 Millionen Euro neu gebaut werden.

Von Klaus Schieder, Kochel am See

21 Seiten umfasst der Bericht von Bürgermeister Thomas Holz (CSU), fast 90 Minuten braucht er, um ihn in der Bürgerversammlung am Donnerstagabend in der Heimatbühne vorzutragen. Seinen kursorischen Gang durch die Lokalpolitik gliedert er alphabetisch von A wie "Aktuelles aus dem Gemeinderat" bis zu Z wie "Zukunft".

Deshalb ist er vor knapp 200 Zuhörern auch nach wenigen Minuten schon beim Thema Asyl. "Wir helfen gerne, diese riesige Aufgabe zu bewältigen", sagt Holz. Das ist das eine. Das andere kommt ein paar Sekunden später. Er wirft der Bundesregierung "Planlosigkeit" im Umgang mit der Flüchtlingskrise vor und fordert Kanzlerin Angela Merkel auf, doch nach Passau, Dingolfing oder "auch zu uns" zu kommen, um sich dort selbst ein Bild zu verschaffen. "Es braucht endlich einen Plan, ein systematisches Vorgehen und eine entsprechende finanzielle Unterstützung", ruft Holz in den Saal.

Die Gemeinde hat mehr Flüchtlinge aufgenommen als vorgegeben

Beifall brandet nicht auf, es gibt auch keine Zwischenrufe. Kochel gehört zu den wenigen Kommunen im Landkreis, die mehr Menschen aufgenommen haben, als die freiwillige Quote des Landkreises vorgibt. Mit 80 Asylsuchenden sind es heuer fast doppelt so viele verlangt. Sie stellt die Jugendherberge zur Verfügung, die sie gerade für 935 000 Euro gekauft hat, damit das Jugendamt des Landkreises neun minderjährige Flüchtlinge unterbringen kann, die ohne Begleitung nach Deutschland kamen. All dies zählt Holz auf, um zu zeigen, dass sich die Gemeinde nicht wegduckt. 2016 muss sie jedoch nach den derzeitigen Prognosen nochmals 80 Plätze bereitstellen. "Die Belastungsgrenze ist erreicht", sagt der Bürgermeister. Man dürfe die 35 Flüchtlingshelfer nicht noch mehr fordern.

"Es geht so nicht weiter." Solche Sätze nützen wenig. Das weiß Holz, das verdeutlicht Landrat Josef Niedermaier (Freie Wähler). Er enthält sich jeglichen politischen Kommentars, listet nur Fakten auf. 5000 Schutzsuchende werden aller Voraussicht nach bis Ende nächsten Jahres im Landkreis leben, 4000 Plätze fehlen derzeit. Ein paar Wohnungen hier, ein Containerdorf dort - mit der bislang angewandten Strategie werde der Landkreis nicht mehr weiterkommen, sagt Niedermaier.

Die Unterkünfte müssten künftig auf mehrere hundert Menschen ausgelegt sein. Deshalb appelliert der Landrat eindringlich an die Gemeinden, "Bauwerke zu errichten, die uns helfen, die danach auch helfen, die Wohnungsnot abzubauen". Die Flüchtlingskrise ist ein gewichtiges Thema in der Bürgerversammlung, dominiert sie allerdings nicht. Holz bleibt noch genug Zeit, um auf die Lokalpolitik einzugehen.

Von B bis S

B wie Breitbandausbau: Walchensee und Teile von Kochel haben schon schnelles Internet, für das Gewerbegebiet Pessenbach und weniger gut versorgte Gebiete in Kochel laufen die Förderverfahren.

H wie Hausmülldeponie: Das Konzept für die Sanierung der circa 100 000 Quadratmeter großen Fläche beim Trimini-Parkplatz steht, demnächst werden acht neue Messstellen am Rande der alten Deponie installiert, um ein Jahr lang das Grundwasser und Fließverhältnisse im Detail zu untersuchen.

K wie Kanalisation: Die Erneuerung des Rohrnetzes findet in vier Sanierungsgebieten statt, das erste davon ist in sieben Bauabschnitte unterteilt. Wann die Arbeiten beginnen, ist unklar, der beauftragte Ingenieur plant noch.

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N wie Neubau des Bauhofs: Der alte Bauhof ist eine abbruchreife Hütte, die Gemeindemitarbeiter sollen auf dem Gelände des früheren Verstärkeramtes eine neue Fahrzeughalle, eine Werkstatt und ein Verwaltungsgebäude bekommen. Spannend wird es wieder ein paar Buchstaben später.

S wie Seestuben: Das Restaurant mit Kegelbahn und einer Unterkunft für die Bergacht sollte saniert werden, nachdem ein Privatinvestor nach langer Wartezeit das benachbarte Verdi-Grundstück gekauft hatte, um dort ein Hotel zu errichten. Der Plan sah vor, dass die Seestuben an dieses Haus angedockt wird. Der Umbau des Restaurants hätte jedoch 1,68 Millionen Euro gekostet.

Deshalb schwenkte der Gemeinderat um: Für 1,8 Millionen Euro soll ein einstöckiger Neubau auf einem gemeindeeigenen Grundstück direkt am Kochelsee entstehen - mit unverstelltem Blick auf den Herzogstand. Die Bergwacht erhält ebenfalls ein neues, von der alten Seestuben etwas nach hinten gerücktes Gebäude. Und was meint der Privatinvestor dazu? "Von ihm habe man drei Jahre lang nichts mehr gehört", sagt Holz.

Und noch einmal S wie Schusterhaus: In dem alten Bauernhaus, das schon in einem Lageplan von 1811 verzeichnet ist und von der Kommune gekauft wurde, soll eine Kulturwerkstatt entstehen. Die sieht so aus: eine alte Schusterwerkstatt und Mobiliar aus den 1920-er Jahren in den Wohnräumen, eine "Handbibliothek der Ortsgeschichte" mit etlichen Dokumenten im ehemaligen Laden, ein Raum für Ausstellungen, Lesungen und Vorträge oben in der Tenne und ein Werkstatt-Treff unten im Stall des Wirtschaftsgebäudes, Heizung, Toiletten, Teeküche und Depot im Anbau. Das Konzept stammt vom Verein für Heimatgeschichte im Zwei-Seen-Land um Vorsitzenden Max Leutenbauer. Einen Teil des Umbaus zahlt die Gemeinde, der Rest muss über Spenden und Fördermittel beschafft werden.

Hias Hammerl will wissen: "Geht do wos?"

Als Holz und Niedermaier mit ihren Reden weit nach 22 Uhr fertig sind, gibt es kaum noch Wortmeldungen aus dem Saal. Matthäus Hammerl moniert die defekte Beleuchtung in der Dorfstraße, wünscht eine elektronische Tempo-Anzeige in der Ortsdurchfahrt von Ried, will Auskunft zum geplanten Radweg zum Gewerbegebiet. Jeden dieser Punkte garniert er mit der Frage: "Geht do wos?" Holz erwidert: "Ja, do geht wos." Nur beim Radweg müsse man noch mit Grundbesitzern verhandeln. Am Ende doch noch einmal das Thema Asyl. Ein Zuhörer will wissen, warum das Landratsamt Gutscheine für Flüchtlinge ausgibt, damit sie sich ein Smartphone kaufen können. Niedermaier kennt solche Gerüchte schon: "Ich weiß, dass diese Parolen im Umlauf sind - aber das stimmt nicht."

© SZ vom 31.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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