Engagement beim Roten Kreuz:"Wir haben das Glück, eine Klinik vor der Tür zu haben"

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Begeisterung fürs Blaulicht: Marc Seltier (links) und Wolfgang Tutsch arbeiten leidenschaftlich gern im Rettungsdienst. (Foto: Hartmut Pöstges)

Marc Seltier und Wolfgang Tutsch leiten die BRK-Bereitschaftsstelle in Wolfratshausen. Im SZ-Gespräch berichten sie über die ehrenamtliche Arbeit und blicken auf kommende Aufgaben.

Interview von Jana Daur, Wolfratshausen

Corona, Zugunglücke, zunehmende Rettungseinsätze - Marc Seltier und Wolfgang Tutsch mussten sich in den vergangenen drei Jahren einigen Herausforderungen stellen. Beide Männer arbeiten ehrenamtlich beim Roten Kreuz (BRK) Wolfratshausen und leiten die dortige Bereitschaftsstelle. Diese hat knapp 100 Mitglieder und kam Anfang März zur Jahreshauptversammlung erstmals wieder in Präsenz zusammen. Tutsch und Seltier berichten vom Engagement ihrer Mitglieder, den Anstrengungen durch die Pandemie - und warum man als Bereitschaftsleiter auch Beichtvater ist.

SZ: Herr Tutsch, Herr Seltier, erst eine Pandemie, dann zunehmende Berichte über Gewalt gegenüber Helfern und Rettern: Wie anstrengend waren die vergangenen drei Jahre für Sie?

Marc Seltier: Wir haben zu kämpfen gehabt mit der Ausbildung der Leute unter den Pandemiebedingungen. Wir mussten viel virtuell machen, die Arbeit lebt aber natürlich davon, mit den Händen zu arbeiten und auch am Patienten. Ansonsten sind die Einsätze zum Ende hin sehr viele geworden. Die Zahl ist Wahnsinn, die wir in 2022 mit dem Ehrenamt bewältigt haben. Das ist dem geschuldet, dass in den hauptamtlichen Strukturen die Einsätze länger dauern.

Wolfgang Tutsch: Wir haben das Glück, in Wolfratshausen eine Klinik vor der Tür zu haben, die die meisten Patienten übernehmen kann. Ich sehe mit Grausen, wenn sie eines Tages nur noch ein medizinisches Versorgungszentrum sein sollte. Da verlängern sich die Einsatzzeiten immens, weil man versuchen muss, die Patienten woanders hinzuverlegen. Die Klinik fehlt dann auch in der Gesamtkliniklandschaft. Das heißt also, man bräuchte auf jeden Fall mehr Rettungsmittel hier in Wolfratshausen. Das sind Folgelasten, mit denen man komischerweise bei solchen Klinikbewertungen nicht operiert.

"Wir achten darauf, dass wir immer ein offenes Ohr haben."

Bleiben wir beim Thema Corona: Konnten Sie die Herausforderungen, vor die Sie die Pandemie gestellt hat, überwinden?

Seltier: Corona war wie ein Paukenschlag. Von heute auf morgen mussten wir unsere Helfer und Helferinnen schulen, wie man mit so einer Situation umgeht. Das hat ja Auswirkungen auf den Rettungsdienst: Nicht jeder kann sofort einen Abstrich nehmen. Dann waren wir einsatzbereit für Unterstützungsmaßnahmen an Abstrichstellen, egal ob an den Autobahnen oder an den Testzentren vom Landratsamt und BRK. Und wir haben Wartebereiche am Impfzentrum betrieben plus einen Shuttle-Service. Das war zusätzliche Belastung für die Leute, wobei es auch eine willkommene Abwechslung war. Das steht sich ja immer gegenüber: Man engagiert sich ehrenamtlich, und auf einmal fallen alle Aktivitäten in der Gemeinschaft weg. Dann waren solche Sachen für die Aufrechterhaltung der persönlichen Beziehungen gut. Aber das ist das einzige, was ich Corona abgewinnen kann.

Wie sorgen Sie dafür, dass diese gute Zusammenarbeit Bestand hat?

Seltier: Wir achten darauf, dass wir immer ein offenes Ohr haben, das ist uns aus der Leitung extrem wichtig: Leute anzurufen, wie es im Einsatz war. Auch die Vorbereitung von Sanitätsdiensten besprechen wir. Wir versuchen, das immer möglichst eng zu betreuen. Das ist seit Jahrzehnten so und hat sich wirklich bewährt. Bei uns ist jeder von seiner Meinung her gültig und gleich, da gibt es keine Wertung.

Tutsch: Als Bereitschaftsleiter bist du auch Beichtvater. Die Leute kommen mit ihren persönlichen Problemen. Es kann passieren, dass nachts irgendeine WhatsApp-Nachricht kommt oder ein Anruf, weil jemand in einer Notlage ist. Das gehört einfach mit dazu, und auch das schweißt zusammen.

Welche Herausforderungen stehen im Jahr 2023 für die Bereitschaft bevor?

Seltier: Das ist unterschiedlicher Couleur. Wir haben in diesem Jahr bis heute 18 Einsätze gefahren in Wolfratshausen (die Zahl bezieht sich auf den 21. März, Anm.d.Red.). Wenn sich das so weiterentwickelt, dann erwarte ich die gleichen Einsatzzahlen wie in 2022, wenn nicht sogar mehr. Das ist eine Herausforderung. Außerdem sehe ich den Nachholbedarf der Veranstalter, den es gibt. Wir haben sehr viele Anfragen für Sanitätsdienste, die wir leisten sollen. Das zu managen ist schwierig.

Die Arbeit in der Bereitschaft ist ehrenamtlich. Wie schafft man es, das Engagement mit dem Beruf zu vereinen?

Seltier: Das ist manchmal die Kunst. Es gibt bei uns Mitglieder, die bringen sich sehr viel ein. Und es gibt andere, die schauen, dass sie das, was ihnen möglich ist, tun. Die Ausbildung muss halt passen, und die bieten wir so an, dass sie vor allem abends und auch an unterschiedlichen Wochentagen stattfindet. Normalerweise ist bei uns jeder willkommen, wenn er in dem Maß mitarbeitet, wie er das möchte.

Tutsch: Wenn jemand sehr aktiv in einem Sportverein ist, dann sind's auch viele Stunden, die er da investiert. Im Prinzip ist es vom Arbeitsaufwand ein Verein und von der Sinnhaftigkeit im sozialen Bereich. Was natürlich auch möglich ist, dass jemand sich mal beurlauben kann. Wenn man aber richtig mit Leib und Seele dabei ist, kann man nicht weg davon.

Gibt es denn noch genug Leute, die Leib und Seele mitbringen?

Tutsch: In einer Zeit, in der viele Vereine Mitglieder verloren haben, haben wir Mitglieder gewonnen. Wenn man sieht, dass es nicht nur in etwa gleichbleibt, sondern nach oben geht, dann sind wir schon wirklich in einer komfortablen Situation.

Seltier: Wir haben vor zwei Jahren auch angefangen, uns von der Altersstruktur her nach unten zu öffnen. Das typische Eintrittsalter bei uns war 16 Jahre. Ab da ist es möglich, die Ausbildungen zu machen. Dann haben wir gemerkt, dass auch ab circa zwölf die Jugend anklopft. Inzwischen sind sie elementarer Bestandteil unserer Gemeinschaft. In der Leitungsgruppe gibt's jetzt auch jemanden, der sich darum kümmert. Da reagieren wir auf die Nachfrage entsprechend.

An welchen Einsatz denken Sie besonders gern zurück?

Tutsch: Es gibt einige Einsätze, wo man Dankbarkeit spürt. Das macht einen schon zufrieden. Aber "der" Einsatz, der besonders positiv war, da wüsste ich jetzt keinen. Das waren mehrere. Schön ist auch, wenn man Leute trifft, die sagen: "Mensch, Sie waren das doch damals vor so und so vielen Jahren. Sie waren da und haben geholfen."

Seltier: Was mich beeindruckt, ist der Zusammenhalt, den wir haben. Nicht nur in unserer Gemeinschaft hier, nicht nur in der Blaulichtgemeinschaft. Sondern dass tatsächlich auch in der Bevölkerung ein Hilfeleistungsgedanke da ist. Das ist vielleicht auch dem geschuldet, dass wir keine Großstadt sind. Wir sind nicht anonym, man kennt hier viele Leute. Der Zusammenhalt entsteht plötzlich im Einsatz, das empfinde ich als sehr positiv.

88 Einsätze

Die BRK-Bereitschaft Wolfratshausen ist eine von insgesamt vier ehrenamtlich organisierten Bereitschaften des Bayerischen Roten Kreuzes im Landkreis - neben Bad Tölz, Geretsried und Dietramszell - die bei sogenannten "außerordentlichen Lagen" die hauptamtlichen Rettungsdienste unterstützen. In ihrem Einsatzbereich, der laut Tutsch dem Altlandkreis Wolfratshausen entspricht, hatten die Mitglieder der Wolfratshauser Bereitschaft im vergangenen Jahr insgesamt 88 Einsatze zu bewältigen, bei denen 98 Patienten versorgt und 44 transportiert wurden. Dabei ging es nicht nur um Verkehrsunfälle, Wohnungsbrände, Stürze oder Reanimationen. Auch beim S-Bahn-Unglück in Schäftlarn und beim Zugunglück in Burgrain bei Garmisch haben sie geholfen. Unterstützend war die BRK-Bereitschaft Wolfratshausen auch an der Evakuierung eines Wohngebietes nach einem Bombenfund in Geretsried beteiligt. Darüberhinaus haben die Ehrenamtlichen im Jahr 2022 insgesamt 50 Sanitätsdienste bei größeren und kleineren Veranstaltungen geleistet.

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