Brauchtum und Geschichte:Was die schöne Tölzerin trug

Lesezeit: 3 min

Vortrag von Museumsleiterin Elisabeth Hinterstocker im Sparkassencenter in Bad Tölz

Von Klaus Schieder, Bad Tölz

Mit ihrem ersten Mann hatte Antonia Maria Weiß nicht viel Glück. Die Posthaltertochter aus Fürstenfeldbruck kam vor mehr als 200 Jahren nach Tölz, um den Handelsmann Franz Michael Kyrein zu heiraten. Der war ein merkwürdiger Geselle und vermutlich nicht so ganz richtig im Kopf, erlitt geschäftlich Schiffbruch und starb bald. Aber es gab ja noch Ignaz Anton Niggl, der als Prokurator für ihren Mann gearbeitet und Erfolg hatte. Also heiratete Antonia Maria Kyrein, geborene Weiß, den tüchtigen Kaufmann, bekam Kinder und lebte im Wohlstand. Dies zeigt ein Porträt der nicht mehr jungen Frau mit reichem Pelz und einer Brustlatzschürze mit Rüschen und Seidenstoffen. "Was trägt die schöne Tölzerin? Kostümstudien einmal anders!": Auf eine Modereise durch die Jahrhunderte nahm Elisabeth Hinterstocker, Leiterin des Tölzer Stadtmuseums, fast 50 Zuhörer des Studienjahrs "Kultur, Geschichte, Heimat" kürzlich im Saal des Sparkassencenters mit.

Das Katholische Kreisbildungswerk bietet diese Studienreihe inzwischen im neunten Jahr an. Aber bisher ist es Veranstaltungsmanagerin Ursula Menke noch nie passiert, dass sie Interessenten abweisen musste: "Wir haben zum ersten Mal Leuten abgesagt, weil dieser Kurs ausgebucht ist." Stephan Bammer, Organisator des Studienjahrs, freute sich, dass so gut wie alle Teilnehmer aus dem Vorjahr auch dieses Mal dabei sind. "Das hab' ich auch noch nicht erlebt."

Das Stadtmuseum Bad Tölz hat so manch textile Kostbarkeit in seiner Sammlung. Darunter befindet sich zum Beispiel ein grüner Spenzer, also eine enge, taillenkurze Jacke, mit Puffärmeln, wie sie für die Biedermeierzeit typisch sind. Solche Ärmel setzten normalerweise an einem schulterfreien Kleid an, was aber in Tölz zu freizügig war, wenn man in die Kirche gehen wollte. Deshalb blieben die Schultern bedeckt, die Puffärmel begannen ein wenig überm Ellbogen - eine eigenartige Abwandlung. Kaum minder kurios mutet die Farbzusammenstellung an: Zum Grün gab es einen violetten, reich verzierten Rock. Beide Stücke stammen aus dem Kolberbräu. Viele der historischen Textilien im Stadtmuseum reichen hingegen ins letzte Viertel des 19. Jahrhunderts zurück. Im 20. Jahrhundert kamen durch den Münchner Architekten Gabriel von Seidl und die Familie Höfler etliche Spenden an Kleidern und Trachten hinzu.

Das Stadtmuseum Bad Tölz hat so manch textile Kostbarkeit in seiner Sammlung. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Vor Jahren hatte der Vorsitzende eines Trachtenvereins einmal Hinterstocker aufzuklären versucht: Ein Mieder trügen unverheiratete Frauen, den Schalk nur verheiratet Frauen, erläuterte er. Das möge schon so sein, sagte die Leiterin des Museums in ihrem Vortrag. "Aber erst seit der Erfindung des Trachtenvereins." Zuvor habe man beides durchaus kombiniert. Das Wort Tracht ist auch nicht bayerischer, nicht einmal eine alpenländischer Konvenienz. Vielmehr komme es vom althochdeutschen "Draht", sagte Hinterstocker. Dieser Ausdruck bedeute so viel wie "Tragen".

Zur Zeit der Lieselotte von der Pfalz war das Wort eher ein Synonym für konservative Kleidung. Die Schwägerin des französischen Königs Ludwig XIV. sah die Tracht pejorativ als etwas Altertümliches und "Grässliches", in das man sich hineinquetschen musste. Am Hofe folgte man lieber der neuesten Mode und setzte die Trends, die dann mit Verspätung auch auf dem Land ankamen. Das war in Tölz nicht anders. "Die Tölzer schauten immer nach oben, nie nach unten. Sie fragten, was trägt der Hof, und nicht, was trägt die Nachbarin", erzählte Hinterstocker.

Eine berühmte Trendsetterin war Madame Pompadour. Ein Gemälde, das die Geliebte von Ludwig XV. darstellt, kontrastierte Hinterstocker mit einem Porträt der Frau Ströber, Gemahlin des Landrichters und Mutter von acht Kindern, die im Tölzer Schloss lebte. Beide tragen ein Corsagekleid mit Rosen, Stoffbänder ohne Edelmetall, vor allem aber Schleifen, Schleifen, Schleifen. Und was die Landrichterin anzog, dürfte wiederum auf andere Frauen in Tölz abgefärbt haben, "das kann ich mir gut vorstellen", so Hinterstocker.

Auf eine Modereise durch die Jahrhunderte nahm die Leiterin des Museums, Elisabeth Hinterstocker, kürzlich fast 50 Zuhörer und teilte ihr Wissen, das sie aus Quellen wie Gemälde, Porträts und Votivbilder bezogen hat. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Ihr detailgenaues Wissen über die Mode vergangener Zeiten bezieht die Leiterin des Stadtmuseums aus unterschiedlichen Quellen. Da sind die Gemälde, die Porträts und nicht zuletzt die Votivbilder in den Kirchen, die nicht alleine den Adel, sondern auch gewöhnliche Leute in ihrer Kleidung zeigen. Da sind Skulpturen und Plastiken, ebenso archäologische Entdeckungen wie das Paar Lederstiefel aus dem 14. Jahrhundert, die man an einer Moorleiche am Hohenpeißenberg fand. Da sind Rechnungen, Schneider-Bücher, Gesetze, Reisebeschreibungen, Tagebücher oder auch das Musterbuch der Augsburger Kattunfabrik.

Mit diesem Material führte die Museumschefin ihrem Publikum vor Augen, wie die Mode wechselte, die schlussendlich auch die Tracht beeinflusste: Sie erläuterte kenntnisreich die Entwicklungen vom Corsagekleid über den Caraco, einer Schoßjacke, bis hin zum Spenzer, vom Samt und Brokat der Renaissance und des Frühbarock über die feine Seide des Rokoko bis zu den fließenden, farbenfrohen Kattunen und Wollstoffen des Biedermeier. Und was den Stoff angeht, so hat auch das Tölzer Tuch seinen Ursprung im Grunde genommen in Indien, genauer gesagt: in der Hochebene von Kaschmir.

Und noch ein Bild einer Kyrein. Diesmal handelt es sich um Maria Anna Kyrein, Tochter eines Münchner Stoffhändlers. Sie sieht noch jung aus, hat leicht rosa gefärbte Wangen. Sie trägt einen hellblauen Caraco, ein seidenes Schultertuch mit Spitze, Flossenärmel, rote Armstulpen, einen Fächer und einen schwarzes Brustlatztuch, das damals noch mit Stecknadeln befestigt wurde, woraus später die Schmuckstecknadeln der Tracht entstanden. In der Hand hält sie nicht etwa eine Rose als Blume der Unschuld, auch keine Nelke als Zeichen für eine Mutter. Sie zeigt ein Vergissmeinnicht. Als das Bild im Jahr 1749 gemalt wurde, war Maria Anna Kyrein schon tot. Die Blume sollte schlicht ausdrücken: Vergesst mich nicht.

© SZ vom 07.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: