SZ-Interview:"Die Schäden liegen im zweistelligen Millionenbereich"

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Das Benediktbeurer Rathaus hat noch ein Notdach, und die Entfeuchter laufen dort. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Bürgermeister Anton Ortlieb sagt, die Folgen der Hagelkatastrophe vom August in Benediktbeuern werden sich in vollem Ausmaß erst in einigen Monaten zeigen. Noch sind zehn Prozent der Häuser mit Notdächern gesichert.

Interview von Petra Schneider, Benediktbeuern

Das Hagelunwetter vom 26. August, das vor allem in Benediktbeuern verheerende Schäden angerichtet hat, war nach Einschätzung der Versicherungskammer Bayern das schwerste und teuerste Unwetter der vergangenen fünf Jahre im Freistaat. Nun, viereinhalb Monate nach der Katastrophe, gebe es "große Fortschritte", erklärt Bürgermeister Anton Ortlieb (Benediktbeurer Bürgervereinigung) im SZ-Interview. Das gesamte Ausmaß der Schäden werde sich aber erst in den kommenden Monaten zeigen.

SZ: Zurzeit herrschen eisige Temperaturen. Haben alle Benediktbeurer wieder ein festes Dach über dem Kopf?

Anton Ortlieb: Wir haben große Fortschritte gemacht. 90 Prozent der Häuser haben wieder Ziegelplatten, der Rest ist noch mit Notdächern gesichert. Von oben ist alles dicht.

Bürgermeister Anton Ortlieb (links) hatte Ende August Gelegenheit, Landrat Josef Niedermaier, Ministerpräsident Markus Söder und dem damaligen Stimmkreisabgeordneten Martin Bachhuber (von links) die Lage in Benediktbeuern zu erklären. (Foto: Manfred Neubauer)

Also das Schlimmste überstanden?

Nein, nicht überall. Es gibt Häuser, die übergangsweise mit Dachpfannen belegt wurden, um über den Winter zu kommen. Im Frühling müssen die neuen Dachpfannen wieder runter, wenn sich im Nachgang doch Feuchte- und damit Schimmelschäden herausstellen. Das gesamte Ausmaß der Schäden werden wir erst im Februar, März sehen. Auch an den Fassaden haben die wenigsten bisher etwas gemacht.

Wie ist die Stimmung im Dorf?

Der Schock und die Verzweiflung sind bei den Leuten noch zu spüren. Auch eine Nervosität, wenn es stürmt oder stark schneit.

Wie viele Häuser waren in Benediktbeuern betroffen?

Jedes. Gut 800 Dächer. Ganz schlimm hat es die Häuser aus den Siebzigerjahren und älter getroffen, die keine Holz-Dachschalung hatten. Da konnte man durch das Dach den Himmel sehen. Die Feuchtigkeit ging runter bis ins Erdgeschoss. Das ist auch das große Problem im Kloster: Der Denkmalschutz hat in den Achtzigerjahren entschieden, dass die Dächer nicht mit Holz eingeschalt werden. Mit der Konsequenz, dass die Feuchtigkeit ungehindert in die Holzböden eindringen konnte. Wenn die sich vollsaugen, kann das Probleme bei den Geschossdecken verursachen und sich auf die Statik auswirken.

Das Kloster ist mit am schlimmsten betroffen. (Foto: Harry Wolfsbauer)

"Die Lage im Kloster ist katastrophal"

Wie ist die Lage generell im Kloster?

Katastrophal. Die Sicherung erfolgt aktuell über Dachbahnen, Dachpfannen werden erst im Laufe dieses Jahres aufgebracht. Die Basilika ist aus statischen Gründen gesperrt. Der gesamte Westtrakt ist eine einzige Baustelle.

Die Klosteranlage, mit Ausnahme der Basilika, die der Pfarrei Benediktbeuern gehört, ist im Eigentum der Salesianer. Mit welcher Schadenssumme muss der Orden rechnen?

Die Versicherung geht von einem zweistelligen Millionenbetrag aus. Konkrete Aussagen sind aber zurzeit nicht möglich, weil sich die Schadenssummen täglich ändern können.

Wie sieht es mit den Immobilien der Gemeinde aus?

Wir hatten bei zwölf unser Liegenschaften Großschäden, die derzeit behoben werden: Das Rathaus hat ein Notdach, die Entfeuchter laufen. Beim gemeindliche Kindergarten war die Dämmung betroffen, das ist aber inzwischen saniert. Am Schulgebäude war an der Westseite alles von den Hagelkörnern zerschossen. Die Fenster wurden ausgetauscht, damit der Schulbetrieb im September starten konnte. In den kommenden Sommerferien werden noch die Dächer von Schule und Turnhalle saniert. Bei der ehemaligen Don-Bosco-Jugendherberge in der Bahnhofstraße hat sich die Gemeinde entschieden, das Gebäude nicht mehr zu sanieren. An dieser Stelle soll ein Neubau entstehen, wo wir einen Kindergarten einrichten wollen. Der Bauhof, dessen Röhren-Betondecke komplett mit Wasser gefüllt war, konnte vor der Frostperiode getrocknet werden. Den hätten wir sonst abreißen müsse. Die Alte Apotheke hat noch ein Notdach, auf der Kläranlage wurde die PV-Anlage zerschossen. Dass an unseren anderen Immobilien PV-Anlagen zwar bestellt, aber noch nicht montiert wurden, war Glück im Unglück.

Wie hoch werden die Kosten sein?

Um die zweieinhalb bis drei Millionen. Die Schäden im Dorf insgesamt dürften aber auch im mittleren, zweistelligen Millionenbereich liegen.

Die Gemeinde ist versichert. Wie sieht es bei den Privateigentümern aus?

Nach Einschätzung der Versicherungsbranche sind ungefähr 20 Prozent nicht gegen Sturm und Hagel versichert, sondern nur gegen Feuerschäden. Das war, wie sich jetzt herausstellt, ein fataler Fehler. Denn die durchschnittliche Schadenssumme bei den Häusern liegt bei 70 000 Euro.

"Im Härtefallfonds ist eine Million für ganz Oberbayern"

Das bayerische Kabinett hat nach der Hagelkatastrophe beschlossen, Nothilfeprogramme aufzulegen.

Im Härtefallfonds ist eine Million Euro für ganz Oberbayern vorgesehen. Beim Jahrhunderthochwasser in Passau 2013 gab es auch einen Hilfsfonds. Im Nachgang stellte sich allerdings heraus, dass die, die sich gegen Elementargefahren hätten versichern können, nach EU-Beihilferecht kein Anrecht auf Entschädigung haben. Das ist auch bei Sturm/Hagel zu erwarten. Vom Grundsatz her ist diese Haltung auch nachvollziehbar. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es eine komplette Entschädigung geben wird.

Wie haben Sie persönlich die Tage nach dem 26. August erlebt?

Wir waren gerade im Urlaub, als uns mein ältester Sohn angerufen hat. Wir sind sofort heimgefahren. Das Dorf hat ausgesehen wie ein Kriegsgebiet. Der Hagelzug ging vom ehemaligen Gasthaus Rabenkopf in Ried bis zum Maibaum in Bichl. Benediktbeuern war mittendrin, im Auge des Sturms sozusagen. Mein erster Gedanke war: Warum passiert das ausgerechnet uns? Zuerst Corona, dann die Energiekrise wegen des Kriegs in der Ukraine, aktuell die Flüchtlingskrise. Und obendrauf noch eine Hagelkatastrophe. Das wünscht man sich als Bürgermeister nicht.

Wie liefen die Hilfseinsätze?

Das hat top funktioniert. Die Feuerwehr hat die Organisation übernommen, das war generalstabsmäßig geplant. Benediktbeuern wurde in sechs Sektoren eingeteilt. Sichtergruppen haben eine Priorisierung vorgenommen, welche Häuser zuerst ein Notdach brauchen. Anfangs war das Problem, dass unsere örtlichen Feuerwehrler selbst betroffen und mit ihren eigenen Häusern beschäftigt waren. Deshalb haben wir Hilfe von außen angefordert. Der Feuerwehreinsatz, an dem 1500 Kräfte beteiligt waren, war nach fünf Tagen beendet.

War es ein Problem, Handwerker zu bekommen?

Unsere örtlichen Zimmerer waren natürlich schnell ausgelastet. Wir haben Hilfeaufrufe gestartet: Aus den Landkreisen Miesbach und München, aus Traunstein, Rosenheim und Altötting haben sich Zimmerer gemeldet. Wir haben eine ganze Liste zusammengebracht, die wir auf der Gemeindehomepage veröffentlicht haben.

"Dass niemand zu Tode gekommen ist, ist ein Wunder"

Gab es Unfälle?

Ein Feuerwehrmann ist von einem Dach gestürzt und hat sich mehrere Rippen gebrochen. Dass bei dem Unwetter niemand zu Tode gekommen ist, ist ein Wunder.

Wegen der Hagelkatastrophe gab es statt der Leonhardifahrt nur einen Leonhardiritt, die Christmette in der Basilika konnte nicht stattfinden, Silvesterfeuerwerke waren verboten. Wie sieht es mit dem legendären Beira Fasching aus?

Der findet statt, die Maschkera sind schon fleißig am Organisieren. Auf eine Veranstaltungen freue ich mich besonders: Wir laden am 26. Januar die Einsatzkräfte zu einem Helferfest in die Turnhalle ein.

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