Bayerische Rettungsmedaille:Verzweifelter Kampf um Menschenleben

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Sebastian Auer rettete eine ertrinkende Frau aus der Isar, Manuel Nusser zieht unter Lebensgefahr einen Lastwagenfahrer aus seinem Fahrzeug. Für ihren Mut werden sie von Ministerpräsident Seehofer ausgezeichnet.

Benjamin Engel und Christine Lehner

Die Bayerische Rettungsmedaille wird heute in München von Ministerpräsident Seehofer an 85 Lebensretter aus ganz Bayern verliehen. Mit dabei sind Sebastian Auer und Manuel Nusser, zwei Männer, die unter Gefahr für ihr eigenes Leben zwei Menschen das Leben gerettet habe.

Sebastian Auer rettete eine Frau nahe des Eurasburger Loisach-Wehrs vor dem Ertrinken. (Foto: Manfred Neubauer)

"Ich merke eigentlich erst jetzt, was ich für ein Risiko eingegangen bin", sagt Sebastian Auer aus Wolfratshausen. Vor knapp einem Jahr rettete er eine Frau durch sein beherztes Eingreifen in der Nähe des Eurasburger Loisach-Wehrs vor dem Ertrinken. Dass er dabei sein eigenes Leben riskierte, war ihm zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht bewusst.

Der 27. Juli 2011 ist ein freundlicher, aber nicht besonders warmer Tag. Gegen Mittag ist der 21-Jährige zusammen mit seiner Freundin Elisabeth Hüttner am Loisach-Wehr unterwegs. An der Stelle gleich hinter dem Wehr ist das Wasser ziemlich flach. Erst mitten im Fluss fällt es plötzlich tief ab, so entsteht eine Wasserwalze. Neben dem Paar wirft eine Frau ihrem Hund Stöckchen in den Fluss. Da gerät der Hund in die Wasserwalze und schafft es nicht mehr ans Ufer.

Was nun folgt, ist dem jungen Wolfratshausener noch genau in Erinnerung. "Die Frau ist immer verzweifelter geworden, hat mich gebeten ihren Hund aus dem Wasser zu holen, weil sie nicht schwimmen kann." Schließlich gibt Auer nach. Doch bei dem Versuch, den Hund zu retten, gerät er ebenfalls in die Wasserwalze. "Ich habe versucht, den Hund zu packen und ans Ufer zu bringen. Das hat aber nicht geklappt." Immer wieder reißt ihn der Strudel vom rettenden Ufer weg. Seine Freundin telefoniert mit ihrem Vater in Eurasburg, der wenig später eintrifft. Doch auch beide Männer gemeinsam schaffen es nicht, den Hund ans Ufer zu bekommen, auch der Vater der Freundin bleibt in der Wasserwalze gefangen.

Warum Elisabeth Hüttner nicht sofort den Rettungsdienst angerufen hat? Immerhin wusste sie als gebürtige Eurasburgerin doch um die Gefahr am Loisach-Wehr. "Ich habe gedacht, wir schaffen das auch so." Erst als die Hundebesitzerin auch noch ins tiefe Wasser gerät und wild um sich schlägt, ruft sie den Rettungsdienst. Ihr Freund kämpft derweil selbst ums Überleben. Er versucht noch die Hundebesitzerin über Wasser zu halten, doch auf einmal ist sie weg. Vergebens taucht er ihr hinterher. Und dann geht alles auf einmal ganz schnell. "Irgendwie bin ich aus der Wasserwalze rausgekommen und konnte ans Ufer schwimmen."

Von dort aus gelingt es ihm schließlich, den Vater der Freundin und den Hund aus dem Wasser zu ziehen. Da taucht auf einmal ein lebloser Körper aus der Loisach auf. Auer springt hinterher und kann auch noch die Hundebesitzerin retten. Seitdem hat er nichts mehr von ihr gehört. Die Verunglückte musste reanimiert werden, lag einige Zeit im Koma und braucht Zeit, um in ihr früheres Leben zurückzufinden. Auer studiert mittlerweile im zweiten Semester Feinwerktechnik und Mechatronik an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in München. Dass er jetzt die Bayerische Rettungsmedaille erhält, macht ihn stolz. "Ich bin aber in dem, was ich tue, vorsichtiger geworden", sagt er heute.

Der Vormittag des 30. August 2010 ist verregnet. Manuel Nusser hat frei. Er ist auf der A 95 von Starnberg nach Garmisch-Partenkirchen unterwegs. Auf der Straße ist nicht viel los. Weil er sich einer Baustelle nähert, verringert Nusser sein Tempo. Da sieht er, wie ein vor ihm fahrender Lastwagen ein Baufahrzeug streift. Der LKW prallt mit voller Wucht gegen die Mittelleitplanke, kippt um und bleibt auf der Beifahrerseite liegen. Nusser, vor dessen Augen sich der Unfall in Sekundenschnelle abspielt, bremst sofort ab und eilt dem Fahrer zu Hilfe. "Ich hatte keine Zeit nachzudenken."

Am Führerhaus angekommen versucht er, Kontakt zum Fahrer herzustellen. Dieser hängt in seinem Sitz fest, sein Fuß ist eingeklemmt. Als der Fahrer sich schließlich befreien kann, fällt er aus eineinhalb Metern kopfüber auf den Beifahrersitz und verletzt sich am Kopf. Er steht unter Schock, kann sich selbstständig nicht befreien. Einziger Fluchtweg: das Dach. Doch der Fahrer kann die Dachluke nicht öffnen, weil sich der Innenhimmel verschoben hatte. Nusser versucht, die Dachluke von außen zu öffnen, doch sie klemmt. Erst als ein zweiter Autofahrer dazu kommt, schaffen sie es, die Dachluke einzutreten.

Unterdessen läuft Diesel aus dem aufgerissenen Tank. Geladen hat der LKW 14 Tonnen flüssigen Sauerstoff - eine hochexplosive, lebensgefährliche Kombination. "Ich habe nicht gewusst, was der LKW geladen hatte", sagt der jetzt 40-jährige Nusser. Nur das Schild "Gefahrguttransport" habe er erkennen können. "Aber da denkt man in so einem Moment nicht nach. Ich musste handeln." Gemeinsam mit dem zweiten Helfer zieht er den Mann aus der Gefahrenzone. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn der flüssige Sauerstoff ausgelaufen wäre und sich der Diesel entzündet hätte. "Dann wäre wohl ein Feuerball auf uns zugeschossen."

Nusser, seit 1989 bei der Freiwilligen Feuerwehr in Garmisch, hat schon viel erlebt. "Aber normalerweise kommt die Feuerwehr, wenn der Unfall bereits geschehen ist. Wenn sich ein Unglück direkt vor deinen Augen abspielt, ist das schon was anderes." An jenem Tag habe auch er großes Glück gehabt: "Wenn ich den LKW noch schnell überholt hätte, wäre ich wohlmöglich selbst unter dem Fahrerhaus eingeklemmt worden."

Nusser arbeitet als Lagerfachkraft am Bauhof von Garmisch-Partenkirchen. Er ist verheiratet und hat einen vierjährigen Sohn. Um seinen mutigen Einsatz damals habe er kein Aufsehen machen wollen. Anderen Menschen helfen sei für ihn selbstverständlich: "Das hätte jeder gemacht". Über die Bayerische Rettungsmedaille freut er sich trotzdem. Von dem geretteten Fahrer, einem älterer Herren, habe er nichts gehört. Auch zum zweiten Retter hat er keinen Kontakt. Dieser hätte aber auf jeden Fall auch eine Auszeichnung verdient, sagt Nusser: "Ohne ihn hätte ich es nicht geschafft."

© SZ vom 09.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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