Bad Tölz-Wolfratshausen:Suche nach den vergessenen Äpfeln

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Eine Sorte, die man regulär nicht im Supermarkt findet: Danziger Kant. Trotzdem muss Apfelexperte Georg Loferer eigentlich nur einmal reinbeißen, um die Sorte bestimmen zu können. (Foto: Hartmut Pöstges)

Georg Loferer spürt im Voralpenland alte Obstsorten auf. Diese werden in sogenannten Sortenerhaltungsgärten dann nachgezüchtet und so für die Nachwelt erhalten.

Von Inga-Maria Glahn, Bad Tölz-Wolfratshausen

Georg Loferer steht inmitten eines großen Gartens in Münsing. Dieser gehört zu einer kleinen Villa mit Blick auf den Starnberger See. Vor Loferer befindet sich ein großer Apfelbaum. Er pflückt sich eine der roten Früchte, schaut den Apfel an, wendet ihn, nimmt einen Bissen und sagt: "Ganz klar: Das ist ein Danziger Kant." Nicht einmal eine Minute hat Loferer gebraucht, um die Apfelsorte zu bestimmen. Für einen Obstbaukundler wie ihn, einen Pomologen, ist das aber auch keine große Kunst.

Loferer ist derzeit im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen unterwegs. Im Rahmen des Projekts "Apfel Birne Berge" versucht er seit 2015, "verlorene" Obstsorten ausfindig zu machen und sie in sogenannten Sortenerhaltungsgärten dann neu zu ziehen. Bei der kleinen Villa in Münsing kann er die Sorten von drei Apfelbäumen schon vor Ort bestimmen. Von den restlichen zwei nimmt er Proben mit, um diese genetisch untersuchen zu können. Er pflückt sich sechs bis acht Äpfel als Probe und dazu ein paar Blätter, die er in kleine Tüten packt und anschließend gekühlt verwahrt.

Wichtig sei es, eine Vielfalt an großen und kleinen Früchten zu finden, sagt Loferer, um eine möglichst große Bandbreite abzudecken. Für jede Fruchtprobe füllt er einen Zettel aus, notiert sich Baum- und Fruchteigenschaften, die auf den ersten Blick erkennbar sind. Außerdem macht er Fotos, sowohl von den Äpfeln, als auch von dem Baum. Die gesammelten Proben untersucht Loferer zunächst selbst und schickt sie dann an das Kompetenzzentrum Obstbau (KOB) am Bodensee, wo die Früchte und Blätter genauer untersucht werden. Wenn das KOB zu keinem Ergebnis kommt werden sie an ein schweizer Labor der Firma Ecogenics gesendet. Dort werden die Proben mit all dem verglichen, was zuvor schon eingereicht worden ist. Dann steht entweder fest, um welche Apfelsorte es sich handelt - oder die Proben werden als "unbekannt" abgelegt. Diese unbekannten Sorten werden dann in sogenannten Sortenerhaltungsgärten angelegt. Auch im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen soll ein solcher "Garten der Vergessenen" entstehen und 2023 für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Dort soll es dann Schautafeln mit genauen Informationen zu den jeweiligen Bäumen geben. Außerdem sollen dort Führungen für Kinder und Touristen angeboten werden.

Das Projekt "Apfel Birne Berge" startete im Jahr 2015 im Auftrag der Regierung von Oberbayern und soll noch bis Anfang 2023 fortgeführt werden. Das Erfassungsgebiet erstreckt sich über sechs Voralpengebiete: Neben Bad Tölz-Wolfratshausen sind das die Landkreise Weilheim-Schongau, Miesbach, Rosenheim, Traunstein und Berchtesgaden.

Georg Loferer ist studierter Holz- und Forstwissenschaftler und wohnt auf einem eigenen Hof in Rohrdorf bei Rosenheim, wo ebenfalls unzählige Apfelbäume stehen: "Ist halt praktisch, weil ich direkt in der Mitte des Erfassungsgebietes bin." Er und Projektmanagerin Eva Bichler-Öttl, arbeiten mit den jeweiligen Landratsämtern zusammen. Beide sind von Anfang an an dem Projekt beteiligt.

Nach nur wenigen Meldungen in den vergangenen Jahren hat das Tölzer Landratsamt im August einen neuerlichen Aufruf gestartet, alte Apfelbäume zu melden. Daraufhin haben sich 70 Leute gemeldet, deren Adressen Loferer nun abfährt. Mal stünden nur zwei Bäume im Garten, mal auch mehr, sagt Loferer. Dabei könne er im Vorhinein oft schon abschätzen, ob sich hinter den Bäumen etwas Besonderes verbirgt: "Bei einem Baum in einem Hausgarten ist es unwahrscheinlich, dass es etwas Abgefahrenes ist." Die meisten Besuche seien eher unspektakulär, so Loferer. Man könne jedoch nie ausschließen, dass man doch etwas Unbekanntes entdeckt.

Bei seinen Terminen hat Loferer immer einen Obstpflücker im Gepäck, Formulare und Aufbewahrungstüten. Seinen Arbeitstag kann er dabei nie genau planen. "Manche Termine dauern fünf Minuten, manche fünf Stunden." So ist es etwa auch bei seinem nächsten Termin. Eine Familie in Bad Tölz hat sich gemeldet. Sie lebt auf einem großen Hof mit zahlreichen Apfel-, Birnen- und Zwetschgenbäumen. Der Besitzer zeigt Loferer die verschiedenen Bäume. Einige Sorten kennt er selbst, bei anderen ist er ahnungslos. Insgesamt handelt es sich um 46 Apfelbäume, die Loferer einen nach dem anderen inspiziert. Das Gras ist noch feucht, ein paar Meter weiter stehen Kühe auf einer Weide. Manche Sorten erkennt er auf Anhieb, andere muss er genauer untersuchen und nimmt Proben mit. Die Ergebnisse der Proben, die in den nächsten Wochen gesammelt werden, sollen schon Ende dieses Jahres vorliegen. Nächstes Jahr soll dann der Anbau beginnen.

© SZ vom 06.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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