Just in der Mitte des Konzerts nehmen die Mitglieder des Affinity Quartets weiche Filzlappen zur Hand, um mit ihnen über die Saiten der Instrumente zu fahren. Davor muss einiges passiert sein. Und es ist einiges passiert: das fesselnde Spiel eines jungen Kammermusik-Ensembles, das daher nur passend ist für das Auftaktereignis des Bad Tölzer "Preisträger-Gipfels". Das australische Quartett ist das erste von sechs unlängst preisgekrönten Streichquartetten, die in den kommenden Tagen im Tölzer Kurhaus originelle Programme präsentieren.
Joseph Haydns Opus 76 Nummer 3 ist da vielleicht nicht gerade überraschend, aber dennoch repräsentativ. Tölz ist Streichquartett-Stadt geworden. Dass der Erfinder der Gattung den Willkommensgruß überbringt, ist legitim, zumal wenn die Interpretation seines "Kaiserquartetts" so reif, rund und ausgewogen klingt. Denn das Affinity Quartet vermittelt Haydns Musik mit Redlichkeit und intellektueller Durchdringung. Das spielerisch Leichte ist ebenso da wie die sonst oft eher nebensächlich behandelten Eintrübungen. Aufschlussreich ist die berühmte Stelle unmittelbar vor der Reprise des Kopfsatzes. Cello und Viola mimen in kräftigen Bordun-Quinten einen Dudelsack. Wo andere Quartette übertriebenes Musikantentum darstellen, bleibt das Affinity Quartet bei aller klanglichen Robustheit elegant, es weiß, dass das Kurhaus keine Dorfschenke ist, und bereitet damit konsequent die folgenden Takte in e-Moll vor, die damit wie ein melancholischer Nachtrag zum Vorherigen klingen - es waren keine echten Dudelsäcke, sondern bestenfalls die Erinnerung daran.
Ebenso schlackenlos und gesanglich schlicht wirkt der langsame Satz, der dem Haydn'schen Opus seinen Namen gegeben hat. Die Variationen über "Gott erhalte Franz den Kaiser" gestalten die drei Quartett-Spielerinnen und der eine -Spieler volksliedhaft innig. Äußerlich passiert dabei fast gar nichts, alle üben äußerste Zurückhaltung in der Mimik. Was sie sagen möchten, sagen sie mit der Musik. Deshalb wundert es nicht, dass sich das Quartett auch musikalisch nicht mit oberflächlichen Details aufhält. Die ungarisierenden Sechzehntel-Vorschläge des Menuetts nehmen sie ohne scharfe Akzente, sondern flexibel federnd; das Finale braust vor Virtuosität, die aber keinen Selbstzweck erfüllt, sondern in die Gesamtinterpretation integriert wird.
Verborgene Botschaften, verschleierte Absichten
Technische Souveränität ist auch gefordert in dem Stück, das die Cellistin Mee Na Lojewski in schönstem australischem Singsang als "musikalische Achterbahnfahrt" ankündigt. Das tut sie mit besonderem Stolz, denn der Komponist Brett Dean ist ein Kompatriot, auch wenn er für sein Engagement als Bratschist bei den Berliner Philharmonikern nach Deutschland zog und nach wie vor dort lebt. Sein drittes Streichquartett, 2019 uraufgeführt, trägt den schönen Namen "Hidden Agendas" und versucht, verborgene Botschaften, verschleierte Absichten als kondensiertes Klanggebilde zu verwirklichen. Dean selbst sah sein Werk als Kommentar zu Entwicklungen der Mediendemokratie und der europäischen Politik, zumal zu Großbritanniens Verhältnis zur Europäischen Gemeinschaft. Die Bezüge bleiben jedoch maximal abstrakt. Umso prägnanter entwirft das Affinity Quartet Affekt-Bilder von extremer Intensität.
Der erste Satz, "Hubris", lässt ein Motiv-Gewimmel entstehen: tänzerische Rhythmen, lange Glissandi, scharfe Dissonanzen. Das junge Ensemble setzt damit eine perfekt koordinierte Maschine in Gang, die die Zuhörerinnen und Zuhörer zwischen ihre Räder nimmt und atemlos entlässt. Jeder Versuch, eine konventionelle Struktur zu bilden, scheitert, sodass das anschließende, brüchige Zwitschern im Flageolett nur folgerichtig wirkt. Gesteigert wird dieses Bild der Vergeblichkeit dramaturgisch wirksam im vierten Satz mit dem Titel "Selbstzensur". Die Spieler reinigen ihre Instrumente (und Bögen) vom Geigenharz, dadurch wird ein sonorer Klang unmöglich. Das Werk endet abrupt, verliert sich im Nirgendwo.
Ein optimistischer Schluss im Pianissimo
So viel spielerische Präsenz kann kaum überboten werden. Und tatsächlich klingt Beethovens Opus 59, Nummer 2 stellenweise brav im Vergleich. Der homogene, klangschöne Ansatz hat dem Affinity Quartet zurecht viele Preise eingebracht, doch nach Deans Werk wirken selbst die heftigen Dominantseptakkorde am Ende des ersten Satzes etwas blass. Umso ausdrucksvoller dann der choralartige zweite Satz, einer der Höhepunkte des Abends. Jeder Tonleiter wird Bedeutung verliehen, jeder Harmoniewechsel mit einer Klangfarbenänderung bedacht. Und in den Schlusstakten findet das Quartett zu phänomenalem Final-Temperament, das schon dem ersten Satz gutgetan hätte.
Geduldig erklatscht sich das Publikum eine Zugabe. Ein "Moment musical", sagt Lojewski - freudiges "Oh!" aus den Reihen. Ja, nur nicht von Schubert, sondern von György Kurtág. "Rappel des oiseaux" heißt es und ist eine Flageolett-Studie, ein schimmernder, optimistischer Schluss im Pianissimo, der zu Recht sagt: Hier wird Gutes folgen, fürs Affinity Quartet wie für den Preisträger-Gipfel in Bad Tölz.