Ausstellung:Ein Waisenhaus für Daressalam

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Die Wolfratshauserin Judith Klier schöpft aus Schicksalsschlägen und ihrem Glauben die Kraft, in Tansania den Ärmsten der Armen zu helfen. Die Sparkasse widmet ihrem Projekt nun eine Ausstellung

Von Pia Ratzesberger, Wolfratshausen

Affenbrotbäume mit Stämmen, so breit wie eine Hausfassade, Kokospalmen mit ausladenden Kronen, über Jahrzehnte in die Höhe gestreckte Mangobäume: Als Judith Klier 2014 das erste Mal das Grundstück 50 Kilometer von Tansanias größter Stadt Daressalam entfernt betritt, beherrscht noch der Busch die fünf Hektar. Und mittendrin steht Klier und betet. Sie betet zu Gott, dass sich unter dem Lehmboden Trinkwasser finden wird. Sie betet, dass in der Erde eine Quelle liegt. Denn sie will diesen Lehmboden kaufen und darauf ein Waisenhaus bauen. Als Arbeiter wenige Tage später in den Boden bohren, quillt tatsächlich nach Sekunden Wasser aus dem Loch.

Heute, mehr als ein Jahr danach, ist der Busch zurückgedrängt, die erste Straße schon befestigt. Klier sitzt in ihrem Arbeitszimmer in Wolfratshausen, die Wände hellrosa getüncht, die Türen weiß, zwei Lampen hängen an goldenen Streben. Sie zeigt Fotos von dem fertigen Wärterhaus auf dem Grundstück in Tansania, vom Rohbau des ersten Wohntraktes und von neu gepflanzten Bananenstauden. Das alles haben sie und ihr eigens dafür gegründeter Verein "Dunia ya Heri" innerhalb kurzer Zeit verwirklicht - die Wolfratshauser Sparkasse zeigt eine Ausstellung über das Projekt unter dem Titel "Erde des Segens".

Doch wichtig sei auch, was auf den Bildern nicht zu sehen sei, sagt Klier: "Auf den Fotos sieht man nicht den Staub, den Dreck, das Waschen am Boden." Klier ist eine ausgesprochen zierliche Person, geföhntes braunes Haar, um den Hals einen schwarzen dünnen Schal. Während sie spricht, zeichnet sie mit ihren Händen in die Luft: die Dicke der Baumstämme, die Größe der Palmenblätter, den Verlauf der neu angelegten Straße. Früher war sie Innenraumdesignerin. Heute will sie Waisen retten.

Zwei Monate hat Klier im Herbst dieses Jahres auf dem Grundstück verbracht, um bei den Aufbauarbeiten zu helfen. Sie hat versucht, den Kühlschrank mit Strom aus einer Solarzelle zum Laufen zu bringen - am Morgen war das Essen vom gestrigen Tag nämlich stets verdorben. Sie hat jeden Tag kniend die Wäsche in großen Plastiktrögen gewaschen. "Alles haben wir aus Plastik gekauft, dabei hasse ich Plastik doch so", sagt Klier ein wenig scherzend, schlägt die Hände zusammen und wirft die Arme über ihren Kopf. Genügend Besteck und Teller, eine Waschmaschine, Strom und Licht: Das alles ist selbstverständlich in Wolfratshausen. Nicht aber auf dem Land in Tansania.

Sieht man Judith Klier an ihrem Schreibtisch sitzen, im Raum nebenan eine kleine Bibliothek, vor den Fenster ein weitläufiger Rasen, fragt man sich unweigerlich: Warum das alles? Warum kniet sich eine Frau mit 70 Jahren nahe eines kleinen Dorfes in Tansania auf den Boden, um Wäsche im Trog zu waschen? Warum nimmt sie stundenlange Fahrten über Sandstraßen übersät von Schlaglöchern in Kauf, um ein Waisenhaus zu bauen? Klier hat auf diese Frage drei Antworten: Zum einen sei ihr Sohn im Alter von 16 Jahren unerwartet verstorben, die Todesursache ist bis heute nicht geklärt. Sie und ihren Mann hätten sich anschließend entschlossen, anderen Kindern helfen zu wollen. Doch ihr Mann erkrankte kurz nach dem Tod des Sohnes an Krebs und starb wenige Jahre später. "Ich hatte ihm versprochen, dass ich allein weitermache, wenn er nicht mehr hier ist", sagt Klier. Der dritte Grund aber sei fast der Wichtigste: ihr Glaube. Der Glaube war es auch, da ist sich Klier sicher, der sie zu einem Waisenhaus in Tansania gebracht hat. Andere würden wohl sagen: der Zufall.

Auf einem Rückflug nach München las Klier im britischen Times-Magazin einen Artikel über einen Jungen aus einem Slum. Ein Sponsor finanzierte ihm die Schul- und Universitätsausbildung und zog ihn so aus dem Elend der Baracken. Doch als der Junge seinen Abschluss hatte, ging er dorthin zurück. Mit einer Tafel auf einem Wagen marschierte er fortan durch die Slums, um selbst den Kindern Lesen und Schreiben beizubringen. Dieser Text, diese Bilder der auf dem Boden knienden, aufmerksamen Kinder hätten sie letztendlich dazu bewegt, ein Waisenhaus gründen zu wollen, sagt Klier. Wenn es fertig ist, will sie das nächste Projekt angehen: eine Schule auf Rädern, die durch die Dörfer um Daressalam fährt. So ähnlich wie bei dem Jungen mit der Tafel.

Die Sparkasse Wolfratshausen zeigt die Ausstellung "Erde des Segens" bis 30. Dezember 2015 während der Geschäftszeiten, Sauerlacher Straße 5.

© SZ vom 29.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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