Asylbewerber in Geretsried:"Ich habe denen in die Augen gesehen"

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Flüchtlingsbetreuerin Sonja Frank berichtet von ersten Begegnungen und guten Erfahrungen.

Von Thekla Krausseneck

Kurt Schäfer (li., von der Radlwerkstatt) und Sonja Frank (re.) helfen afghanischen Asylssuchenden mit ihren Fahrrädern. (Foto: Hartmut Pöstges)

Asylbewerber blieben lieber für sich und verwandelten Stadtviertel in Ghettos: Als Stadträtin Sonja Frank Besucher der Informationsveranstaltung am Mittwoch diese beiden Vorurteile aussprechen hörte, stand sie auf, um eine wahre Geschichte zu erzählen.

"Ganz am Anfang hatte ich auch Angst, in die Wohnung zu gehen", gestand Frank. Als die sechs jungen Afghanen - die ersten Asylbewerber der Stadt - vor anderthalb Jahren ankamen, war sie eine der ersten, die auf ihrer Türschwelle standen. "Ich, eine deutsche Frau, leicht bekleidet, lange Haare . . ." (Jemand warf ein: "Auch noch blond!") All das habe ihre Bedenken genährt. Doch dann standen sie plötzlich vor ihr: "Ich hab denen in die Augen gesehen und gedacht, das könnten meine Kinder sein."

Was sie in diesen Augen gesehen habe, sei Angst gewesen, die Unsicherheit, wie es am nächsten Tag weitergehen werde, und nicht zuletzt auch das Trauma, das die jungen Männer davongetragen hatten. "Sie haben sich furchtbar über die Ehrenamtlichen gefreut", sagte Frank. Der Kontakt zu den Einheimischen habe sie aus dem Gedankenkarussell geholt. Über ihre Traumata hätten sie mit den anderen Flüchtlingen gar nicht reden wollen. "Sie haben sich nicht ausgesucht, dass sie zusammen da sind."

Matiullah Schinwari ist einer der jungen Afghanen. Damals, 2012, sprach er kein einziges Wort Deutsch, nur gebrochenes Englisch. Nervös trat der 20-Jährige am Mittwoch vor die Menge der Besucher und trug frei eine kleine Rede vor - auf Deutsch. Er bedankte sich bei den ehrenamtlichen Helfern, die ihm ins Leben zurückgeholfen hätten: "Ich war tot innen drin." Es habe ihm Freude bereitet, als er im Winter auf dem Friedhof Schnee schippen durfte. "Ich will nicht, dass das deutsche Volk mir Steuern gibt, und ich sitze zu Hause." Jetzt, da er eine Arbeitserlaubnis erhalten habe, könne er im Lager arbeiten, Angebote gebe es. Aber das sei nicht in seinem Sinn, er fange stattdessen lieber im Seniorenheim an. Denn dort könne er mit seiner Hilfe für ältere Menschen etwas von dem zurückgeben, was ihm gegeben worden sei.

Von "Abkapseln" könne nicht die Rede sein, sagte Frank. Ihrer Erfahrung nach wollen sich die Asylbewerber integrieren und Deutsch lernen. "Es gibt solche und solche, aber ich kenne fast nur solche, die wollen."

© SZ vom 04.10.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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