Der Arbeitsmarkt im Landkreis:"Menschen mit Fluchthintergrund sind ein Potenzial"

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Nicole Cujai leitet die Agentur für Arbeit in Rosenheim, die auch für Bad Tölz-Wolfratshausen zuständig ist. (Foto: Agentur für Arbeit/oh)

Nicole Cujai, Leiterin der Agentur für Arbeit in Rosenheim, erklärt, wie Jobsuchende und Betriebe zusammengeführt werden können.

Interview von Arnold Zimprich, Bad Tölz-Wolfratshausen

Machen sich der Fachkräftemangel, die schwächelnde Wirtschaft und die wachsende Zahl Geflüchteter auf dem Arbeitsmarkt im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen bemerkbar? Die SZ sprach darüber mit Nicole Cujai, Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Rosenheim.

SZ: Frau Cujai, welche Stellen sind im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen schwer zu besetzen?

Nicole Cujai: In so gut wie allen Wirtschaftsbereichen suchen Betriebe vor allem Fachkräfte, also Menschen mit einer abgeschlossenen Betriebsausbildung. Für dieses Qualifikationsniveau standen laut den am 31. Januar 2024 veröffentlichten Zahlen im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen 550 Bewerberinnen und Bewerber 655 Stellenangeboten gegenüber. Im Niedriglohnsektor arbeiten hingegen vornehmlich Personen mit dem Qualifikationsniveau "Helferin/Helfer". Hier suchten im Januar deutlich mehr Menschen eine Arbeit, nämlich 768, als bei der Bundesagentur für Arbeit Stellenangebote gemeldet waren - 304.

Ist die Situation in Bäckereien, Cafés und Restaurants besonders prekär?

Im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen waren in der Berufshauptgruppe "Verkauf" im Januar 112 Menschen arbeitslos. Dem standen 142 Stellenangebote gegenüber. In der Berufshauptgruppe "Tourismus-, Hotel- und Gaststättenberufe", die auch Cafés und Restaurants enthält, waren 110 Menschen arbeitslos gemeldet und 59 Stellenangebote registriert. Passungsprobleme existieren in diesen Berufsbereichen zum Teil mit Blick auf die Lage der Arbeitszeiten. Das erschwert den Ausgleich am Arbeitsmarkt. Die Aussage, dass "die Situation prekär ist", kann ich nicht bestätigen, denn auch in den Berufshauptgruppen Maschinen- und Fahrzeugtechnik, Mechatronik-, Energie- u. Elektroberufe oder Medizinische Gesundheitsberufe, die den Pflegebereich beinhalten, um nur ein paar Beispiele zu nennen, gab es im Januar im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen mehr Stellenangebote als gemeldete Bewerberinnen und Bewerber.

Wären speziell hier Geflüchtete eine Lösung?

Individuelle Passungsprobleme bei der Besetzung von Teilzeitstellen im Verkauf sind von den Rahmenbedingungen des Betriebes und den individuellen Möglichkeiten von potenziellen Bewerberinnen und Bewerbern abhängig. Das gilt auch für Menschen mit Fluchthintergrund. Bei ihnen kommt unter Umständen die gute und passgenaue Abklärung von Arbeitsmarktzugang, Deutschkenntnissen und - wie bei allen Bewerberinnen und Bewerbern - der Qualifikation hinzu. Aber ja, Menschen mit Fluchthintergrund stellen ein wichtiges Bewerberpotenzial für die Betriebe dar. Sie können helfen, Personalengpässe zu schließen.

Wie viele Geflüchtete suchen derzeit Arbeit?

Im Februar waren im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen 332 geflüchtete Menschen arbeitslos gemeldet. Diese stehen für eine sofortige Arbeitsaufnahme zur Verfügung. Hinzu kommen weitere Geflüchtete, die arbeitsuchend gemeldet sind. Das bedeutet, dass sie aktuell beispielsweise einen Sprach- oder Integrationskurs besuchen oder eine andere Qualifizierung erwerben.

Inwiefern beeinflusst die Politik Ihre Arbeit?

Die Politik setzt den Rahmen. Wir setzen die politischen Vorgaben und Gesetze unter den uns gegebenen arbeitsmarktpolitischen Rahmenbedingungen durch unsere Arbeit um. Bereits während der Flüchtlingskrise 2015/2016 haben wir sehr viele Erfahrungen mit der Integration von Geflüchteten gewonnen. Zusätzlich entwickeln wir jetzt im Rahmen des Job-Turbos weitere Aktivitäten für Betriebe und Geflüchtete, um sie zusammenzubringen. Wir sehen sowohl die gegebenen Rahmenbedingungen als auch die vorhandenen Förderprogramme als sinnvoll und zielführend an. Dabei gehen wir auf die individuelle Situation von Menschen mit Fluchthintergrund und Betrieben ein und unterstützen - wie oben beschrieben - die Arbeitsaufnahme.

Was ist der Job-Turbo?

Das ist ein von der Bundesregierung ins Leben gerufenes Programm. Es unterstützt Menschen, die in unserem Land Schutz suchen und über einen entsprechenden Arbeitsmarktzugang verfügen, bei der schnellen und langfristigen Arbeitsaufnahme. Hier geht es insbesondere darum, auch berufsbegleitend die Deutschkenntnisse und beruflichen Kompetenzen zu vertiefen. Neben der Arbeits- und Fachkräftesicherung soll dadurch Langzeitarbeitslosigkeit vermieden und den geflüchteten Menschen eine selbstbestimmte Zukunft und Teilhabe in der Gesellschaft ermöglicht werden.

Am rechten Rand des politischen Spektrums wird die Meinung vertreten, dass Geflüchtete deutschen Bewerbern die Jobs wegnehmen. Wie sehen Sie das?

Hier in der Region ist der Arbeitsmarkt gut und aufnahmefähig. Wir unterstützen alle Kundinnen und Kunden gleichermaßen bei der Suche nach und der Aufnahme von Arbeit. Dabei werden alle - wenn die entsprechenden individuellen Voraussetzungen erfüllt sind - bei der Stellensuche sowie bei der Arbeitsaufnahme und während der Beschäftigung durch Qualifizierungen, die bis zum Berufsabschluss gehen können, unterstützt.

Verzweifeln Geflüchtete an der Bürokratie und den Zugangsbeschränkungen in einzelnen Berufsfeldern?

Das Ausländerrecht und die Fragen des Arbeitsmarktzugangs in Deutschland sind recht komplex. Umso wichtiger ist es, dass alle gesellschaftlichen Akteure vor Ort ihren Beitrag dazu leisten, dass Integration gelingen kann. Der Job-Turbo soll hier ebenfalls unterstützen.

Wie beurteilen Sie die Gesamtsituation auf dem Jobmarkt im Oberland?

Der Arbeitsmarkt im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen zeigt sich trotz der in der IHK-Konjunkturumfrage angeführten Herausforderungen weiterhin sehr stabil. Im Januar waren hier mit 1797 lediglich 150 Menschen mehr arbeitslos gemeldet als vor einem Jahr. Die durchschnittliche Arbeitslosenquote betrug im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen 2023 wie im Landkreis Pfaffenhofen an der Ilm zwei Prozent und war damit geringer als in allen anderen bayerischen Landkreisen und kreisfreien Städten.

Informationen zum Job-Turbo unter https://www.arbeitsagentur.de/k/job-turbo.

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