Eine Wohnung auf der Theresienhöhe, drei Zimmer im Erdgeschoss, 87,7 Quadratmeter, zwei Bäder, Terrasse mit Gartenanteil. Ein bisschen dunkel vielleicht, eigentlich aber eine schöne Wohnung. Seit mehr als vier Jahren steht sie leer. Wie kann das sein, in München, wo Wohnraum Mangelware ist? Die Geschichte dahinter gibt Stoff für absurdes Theater.
Als im Jahr 2001 die Siedlung am Bavariapark gebaut wird, halten es die Käufer für eine gute Idee, dass ein Hausmeister in die Erdgeschosswohnung zieht. Den Kaufpreis schlägt der Bauträger anteilig den Eigentümern der Wohnungen auf, für die der Hausmeister zuständig ist. Etwa 80 Parteien, aufgeteilt auf mehrere Wohnblöcke und zwei Eigentümergemeinschaften, werden auf diese Weise an der Wohnung beteiligt. Bruchteilsgemeinschaft, so nennt man im Verwaltungsdeutsch die Summe der Eigentümer. Rechtlich verhält sie sich wie eine Erbengemeinschaft.
Wohnen in München:Mietpreisbremse: Ein Gesetz, das ein Witz ist
Fast zwei Jahre nach Einführung der Preisbremse erklärt sie ein Amtsrichter für nichtig. Eine neue Verordnung soll her - doch auch davon werden Mieter kaum profitieren.
Als der Hausmeister im Februar 2013 auszieht, sind sich die Eigentümer nicht einig, wie mit der Wohnung zu verfahren sei. Der neue Hausmeister einer externen Firma möchte nicht ins Haus ziehen. Die Mehrheit der Eigentümer stimmt schließlich für einen Verkauf. Doch das geht nicht so leicht. Einer sogenannten Teilungsversteigerung - sie funktioniert wie eine Zwangsversteigerung - müssen alle Eigentümer zustimmen. Das Problem: Einige von ihnen sind mittlerweile weggezogen, haben ihre Wohnungen weiterverkauft, auch vererbt. Die Anteile an der Hausmeisterwohnung sind dabei jedoch nicht mit verkauft oder vererbt worden - wegen eines Notarfehlers, glauben die Miteigentümer. Die Wohnung gehört also noch zu einem Bruchteil ehemaligen Eigentümern, die mit der Wohnanlage ansonsten gar nichts mehr zu tun haben.
Mithilfe eines Rechtsanwalts begeben sich die Verkaufswilligen auf die Suche nach den verschollenen Eigentümern. Eine langwierige Puzzle-Fleißarbeit. Die meisten Leute, einmal aufgespürt, wollen zunächst nicht glauben, dass ihnen der Bruchteil einer Hausmeisterwohnung in München gehört. Dass die Käufer die Spezialregelung beim Kauf nicht durchschaut hatten, findet der Rechtsanwalt Sebastian Landgraf verständlich. Die Konstruktion mit der Bruchteilsgemeinschaft sei zwar rechtlich korrekt, "aber praktisch ein absoluter Wahnsinn". Landgrafs Suche führt bis nach Spanien, wo einer der Eigentümer mittlerweile lebt. Schließlich stimmen alle aufgespürten Eigentümer einem Verkauf zu. Bis auf drei. Von nunmehr 103.
Am 30. Juni 2015 reicht Landgraf am Landgericht Klage gegen die Blockierer ein. Er vertritt 39 Kläger, die alle einen Anteil an der Wohnung haben und diese verkaufen wollen. Es geht Zeit ins Land. Viel Zeit. Erst sei der zuständige Richter krank gewesen, sagt Landgraf, doch auch danach passiert: nichts. Die Parteien schicken Schriftsätze hin und her. Darin sind die Anteile an der Wohnung detailliert aufgedröselt. Man liest von 24,56 Zweitausendsteln und ähnlichen Zahlenspielereien.
Im Sommer 2016 gibt es eine mündliche Verhandlung. Ein Vergleichsvorschlag des Richters findet keine Freunde. Wieder verstreichen Wochen und Monate. 20 Monate nach der Klageeinreichung, im Februar 2017, verkündet der Richter schließlich, dass das Landgericht gar nicht zuständig sei - und verweist die Kläger ans Amtsgericht. Weil sich Amtsgericht und Landgericht uneins sind, wer zuständig ist, muss nun das Oberlandesgericht entscheiden. Nicht über die Klage an sich. Sondern darüber, welches der beiden Gerichte überhaupt für den Fall zuständig ist. Der Großteil der Eigentümer kann darüber nur den Kopf schütteln. "Es ist ein krankhaftes Monster daraus geworden", sagt Gerhard Hetz. "Das ist wie mit Geisterfahrern auf der Autobahn", sagt sein Miteigentümer Christoph Braun. "Hier fahren 100, dort fahren drei, und man fragt sich, wer ist auf der falschen Spur unterwegs?"
Diejenigen, die auf der Gegenseite unterwegs sind, um im Bild zu bleiben, sehen das naturgemäß anders. Die Gründe ihrer Mandanten, nicht verkaufen zu wollen, seien vielfältig, teilt die Rechtsanwältin Tanja Kuchler auf Anfrage schriftlich mit. Kuchler vertritt drei Miteigentümer; inzwischen haben sich aber auch einige weitere gegen einen Verkauf positioniert. Ihre Mandanten, schreibt Kuchler, hätten sich bewusst für ein Objekt mit Hausmeisterwohnung entschieden. Ein Hausmeister im Haus bedeute einen persönlichen und wirtschaftlichen Vorteil. Die angestrebte Versteigerung sei "in letztendlicher Konsequenz eine Zwangsenteignung".
Außerdem hätten sich die Eigentümer in ihren Erwerbsverträgen verpflichtet, die Hausmeisterwohnung dauerhaft zu erhalten. Und Verträge, so der Unterton, seien schließlich einzuhalten. Ihre Mandanten präferierten einen Wechsel zurück zum Hausmeister im Haus. Auch eine Vermietung sei denkbar, "vor dem Hintergrund der Wohnraumsituation" wäre dies "mit geringem Aufwand unproblematisch umsetzbar". Ein Alleinstellungsmerkmal wäre diesem potenziellen Mieter auf jeden Fall sicher, mit 103 Vermietern.
Ortstermin in der Wohnung, der Hausmeister Dragan Avramovic sperrt die Tür auf. Seine Aufgabe ist es, einmal pro Woche zu lüften und die Wasserhähne aufzudrehen, wegen der Legionellenprävention. Im Winter dreht er die Heizung etwas hoch. Wenn man durch die Zimmer schlendert, kann man sich vorstellen, wie man das Apartment einrichten würde. Das hat vielleicht auch ein älteres Ehepaar aus Regensburg getan, als es einst die Wohnung besichtigt hat. Ist nun auch schon wieder vier Jahre her. Die beiden wollten in die Nähe ihrer Kinder ziehen und waren bereit, 450 000 Euro für die Wohnung zu zahlen. Dem Umzug stand nichts im Weg. Außer den Eigentümern, die nicht verkaufen wollten. Die Pläne zerschlugen sich.
Vom Fenster aus sieht man, wie im Haus nebenan gerade ein paar arabische Medizintouristen einziehen. Das sei hier an der Tagesordnung, erzählen die Miteigentümer. Die Weitervermietung an Medizintouristen gilt in München als Zweckentfremdung von Wohnraum. Zweckentfremdung ist es aber auch, wenn Wohnungen ohne guten Grund über längere Zeit leer stehen. Es droht ein Bußgeld von bis zu 500 000 Euro. Die Landeshauptstadt hat den Eigentümern im Bavariapark schon mehrmals mit einer Strafe gedroht. "Aber wir haben ja eine sinnvolle Entschuldigung", sagt Rechtsanwalt Landgraf. Bis das Gerichtsverfahren beendet ist, lässt die Stadt die Bußgeldankündigungen ruhen.
Der Zustand der Wohnung wird indes nicht besser, im Gegenteil. Der Leerstand verursacht Kosten und Arbeit. Der ehemalige Hausmeister habe einst Laminat über einem Teppichboden verlegt, berichten die Miteigentümer. Sie vermuten, dass sich darunter Schimmel ausgebreitet hat. Fenster, Türen, Decken und Wände müssten gestrichen, Fugen erneuert werden.
Falls die 39 Kläger die Klage gewinnen, gilt die für einen Verkauf nötige Zustimmung aller als ersetzt. Es würde dann ein Gutachten über den Wert der Wohnung angefertigt, anschließend fände eine öffentliche Versteigerung statt, sagt Landgraf, der Rechtsanwalt. Dann stünde nur noch eine Herausforderung bevor. Der Erlös müsste auf 103 Parteien aufgeteilt werden.