WM ohne Italien:"Weil wir wirtschaftlich so schwach sind, wird Fußball zu einer Art Revanche"

Lesezeit: 4 min

Giorgio Ballabeni in seiner Eis-Werkstatt. Beim Fußballschauen ist er lieber alleine. (Foto: Stephan Rumpf)

Giorgio Ballabeni ist nicht nur einer der bekanntesten Eismacher Münchens - er weiß auch, welche Rolle Fußball für Italiener spielt. Und warum für italienische Fußballfans gerade bittere Zeiten anbrechen.

Interview von Elisa Britzelmeier

Giorgio Ballabeni ist so etwas wie die Eis-Institution Münchens. 2006 hat er seine Eisdiele im Univiertel eröffnet, inzwischen gibt es eine weitere Filiale und einen Eis-Bus, aber die Schlangen vor dem Stammhaus werden trotzdem nicht kürzer. Ballabeni, 57, kommt aus Padua und lebt seit 1993 fest in München. Angefangen hat alles als Student, im Sommer 1983, der in München so wunderbar und sonnig war, dass er gar nicht verstehen konnte, wieso die Deutschen überhaupt nach Italien fahren. Ballabeni ist Fußballfan, natürlich, auch wenn er sagt, dass er sich Spiele analytischer anschaut, aus sportlicher Perspektive. Früher hat er selbst lange gespielt.

SZ: Signor Ballabeni, wie haben Sie das Ausscheiden Italiens verfolgt?

Giorgio Ballabeni: Ich wusste schon, dass ich leiden würde - dass wir weiterkommen, war ja so wahrscheinlich wie ein Lottogewinn. Also habe ich versucht, mich abzulenken, war parallel online, um mich nicht zu sehr mitnehmen zu lassen. So mache ich das inzwischen auch, wenn ich Formel 1 schaue. Ferrari, da leidet man ja auch oft.

Also saßen Sie nicht mit allen Freunden oder der Familie zusammen.

Oh nein, niemals! Das machen nur Fans.

Sie sind keiner?

Ich liebe Fußball aus sportlicher Sicht. Wer Fußball so wahrnimmt wie ich, als Sportler, der muss alleine sein dabei. Alleine genießen, alleine leiden.

Historisches WM-Aus
:Stunde null in Italien

Das WM-Aus gegen schwache Schweden bedeutet eine Zeitenwende. Binnen eines Jahres hat sich die italienische Mannschaft von innen zerfressen - Daniele De Rossi streitet sich sogar ums Aufwärmen.

Von Thomas Hummel

Welche Rolle spielt Fußball für Italiener?

Fußball hat eine große gesellschaftliche Bedeutung. Weil wir wirtschaftlich so schwach sind, wird Fußball zu einer Art Revanche. Wir sind G7-Mitglied, das ja, aber weder die italienische Wirtschaft noch der italienische Staat im Ganzen sind so weit entwickelt. Wir sind ein Volk von Individualisten. Man sagt ja, dass drei Deutsche, sobald sie aufeinandertreffen, gleich einen Verein gründen. Bei uns könnten es viel mehr sein und es gibt nicht einmal einen halben Verein. Das, was wir wirtschaftlich und politisch sonst gern hinkriegen würden, schaffen wir dann wenigstens im Fußball. Also, bis jetzt. So ähnlich hat das ja auch Gigi Buffon formuliert bei seinem Abschied: die fußballerische Niederlage als gesellschaftlicher Schaden.

Buffon kennt auch in Deutschland so ziemlich jeder. Er war bei gefühlt jedem Spiel dabei, und immer der Sympathieträger, während die italienischen Nationalspieler sonst gern mal als arrogant gelten.

Achja? Wenn das so ist, dann absolut verdient. Fast vierzig Jahre alt und so eine Karriere!

Wenn WM ist und Deutschland oder Italien spielen - wie reden Sie dann mit Ihren Kunden darüber in der Eisdiele? Also, wie war das in der Vergangenheit ...?

Ich tu' in den Zeiten immer so, als würde ich mich nur für Golf interessieren. Damit ich keine Meinung äußern muss. Meine Kunden schauen mich dann ganz ungläubig an, bis jetzt hat noch keiner herausgefunden, ob ich nun die Wahrheit sage oder nicht. Die Italiener in Deutschland reden nicht so gerne über Fußball, zumindest nicht mit den Deutschen.

Die Deutschen in Deutschland zeigen ihr Fan-Sein dagegen schon sehr gerne.

Absolut! Da hat sich seit 2006 viel geändert. Vorher gab es einen Wettstreit, aber einigermaßen moderat. Die WM 2006 hat eine Art Folklorismus hervorgebracht.

Was meinen Sie damit?

Wenn ich mir da manche Kunden anschaue: Am Tag vor einem Spiel kommt vielleicht einer, Geschäftsmann, elegant gekleidet, und macht womöglich einen Witz zum Thema WM. Wenige Stunden vor dem Spiel verwandelt sich dieser Mensch dann in einen komplett anderen. Verkleidet sich, zieht das Trikot an, bemalt sich die Wangen, setzt sich Blumen in Deutschlandfarben auf den Kopf und stürmt mit weit aufgerissenen Augen auf mich zu, überzeugt, dass die Deutschen gewinnen werden. Die Italiener ziehen vielleicht ein Trikot an, aber so durchorganisiert sind sie dabei nicht. Seit 2006 hat das in Deutschland Leute erreicht, die sonst nicht viel mit Fußball am Hut haben. Oft Frauen, die zur WM dann zu Fans werden. Viele, auch Männer, schauen nur Fußball, um zu feiern. Die Deutschen sind ja Profis im Feiern!

Dafür sind sie jetzt nicht gerade bekannt im Ausland.

Aber schauen Sie sich das doch mal an, allein was an Vorbereitung ins Oktoberfest gesteckt wird, die Kleidung, die Planung. Italiener dagegen improvisieren. Das, was bei Deutschen als "spontan" gilt, ist bei uns normal. Deswegen: Die Deutschen sind die Feier-Profis.

In Italien ist Public Viewing auch nicht so verbreitet wie in Deutschland.

Nein, eher laufen halt die Fernseher in den Bars. Der "maxischermo", also der Riesenbildschirm, kam erst in den vergangen Jahren nach und nach auf. Vor allem sind wir in Italien dabei nicht so gut organisiert. Die Deutschen sind da unschlagbar, hier wird ja sogar darauf geachtet, dass es keine Glasflaschen gibt. Wer Deutschland und Italien vergleicht, der hat keine Ahnung, es gibt einfach keinen Vergleich.

Und jetzt?

Dass wir jetzt raus sind, tut uns eigentlich gut.

Warum das denn?

Weil wir immer glauben, besonders toll zu sein. Jetzt merken wir mal, dass Fußball nicht einfach nur Improvisation ist. Dass Motivation nicht ausreicht.

Was werden die Italiener in München nun machen, bei einer WM ohne Italien? Sind sie dann für Deutschland?

Hoffentlich fangen sie an, nicht nur als Fan zu schauen, sondern aus sportlicher Sicht Spaß daran zu haben. Ich bezweifle aber, dass sie glücklich über einen möglichen deutschen Sieg wären oder dass sie Deutschland die Daumen drücken werden. Meine Hoffnung ist gerade ein bisschen, dass es komplette Überraschungen gibt. Dass es nicht immer nur um Brasilien und Deutschland geht, sondern um ganz andere Länder. Aber persönlich könnte ich schon auch glücklich damit werden, wenn Deutschland gewinnt. Ich lebe ja total gerne hier.

© SZ.de/ebri - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

München vs. Italien
:Due Cappuccinos, prego!

München ist die nördlichste Stadt Italiens? Von wegen! Zehn Gründe, warum der Münchner zwar gern so tut - aber nun mal kein Italiener ist.

Von SZ-Autoren

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: