Wintersemester mit doppelten Abi-Jahrgang:Die Massen sind abgefertigt

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Das Wintersemester ist vorbei - und damit die größte Herausforderung für das bayerische Hochschulsystem: Wegen des doppelten Abi-Jahrgangs war es so eng wie nie an den Unis. Die schlimmsten Prognosen aber haben sich nicht erfüllt. Und manch ein Provisorium könnte Zukunft haben.

Sebastian Krass und Martina Scherf

Jetzt ist es vorbei. An diesem Freitag endet an den Universitäten die Vorlesungszeit des Wintersemesters - die größte Herausforderung für das bayerische Hochschulsystem. Denn es hatte den doppelten Abiturjahrgang zu bewältigen. "Ein Kraftakt, den man nicht beliebig oft wiederholen kann", sagt Martin Wirsing, Vizepräsident für den Bereich Studium an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU).

Als vor vier Monaten das Wintersemester begann, hegten an den bayerischen Hochschulen viele die schlimmsten Befürchtungen, doch die erste Bilanz zeigt: Es war voll, doch die schlimmsten Befürchtungen sind nicht eingetreten. (Foto: Stephan Rumpf)

Diese hat 18 Prozent mehr Studenten aufgenommen als im Wintersemester zuvor. Knapp 50 000 Studenten hat die LMU nun, bei räumlichen Kapazitäten für etwa 30 000. Die Technische Universität (TU) hat zu diesem Wintersemester sogar 50 Prozent mehr aufgenommen im Vergleich zum Vorjahr.

"Wir waren schon ein bisschen unruhig", sagt W+irsing, wenn er an die Wochen vor Semesterbeginn zurückdenkt. Heute freue er sich, "dass es so gut gelaufen ist. Kein einziges wirklich großes Problem ist zu mir hochgeschwappt." Ähnliche Töne kommen von vielen Seiten.

Selbst Michelle Klein, Geschäftsführerin der stets kritischen LMU-Studentenvertretung, sagt: "Irgendwie hat es sich schon eingelaufen." Aber, schiebt sie nachdenklich hinterher, das gelte für den Blick auf das große Ganze. "Die vielen Einzelschicksale gehen in der großen Masse manchmal unter." Ein Rückblick auf verschiedene Bereiche des Studentenlebens:

Hörsäle

So schlimm wie am ersten Tag war es nicht mehr bei Severin Buchwald. Am 17. Oktober saß der BWL-Student aus Wörthsee in der Einführungsvorlesung im Audimax der LMU ganz außen, erste Reihe. Das war zwar besser, als in der Tür zu stehen wie viele andere. Aber vernünftig studieren konnte Buchwald an dem Tag nicht, weil er die Leinwand nicht sah und keinen Tisch zum Mitschreiben hatte. "Es hat sich schnell entspannt", sagt er nun. "Danach bekam man eigentlich immer einen vernünftigen Sitzplatz." Dieser Semesterzyklus ist ein bekanntes Phänomen.

Dass es nicht so schlimm kam wie befürchtet, lag auch daran, dass an allen bayerischen Universitäten Neubauten hinzukamen und Säle angemietet wurden. Außerdem sind die Stundenpläne mittlerweile durchgetaktet, sodass keine Minute mehr ungenutzt bleibt. Manche große Vorlesung wird zweigeteilt und per Video in einen anderen Hörsaal übertragen. Kontakt zum Professor bekommt man auf diese Weise nicht mehr. Aber, so sagt TU-Studentenvertreter Ari Wugalter, der im siebten Semester Physik studiert: "Das war in Fächern wie Maschinenbau früher auch nicht anders."

Und dann gibt es ja noch das Internet. 140 Vorlesungsstunden werden laut LMU-Vize Wirsing pro Woche online gestellt. "Das hat mir ganz gut gefallen, da kann man mal auf Pause gehen, wenn ein Rechenweg zu schnell ging", sagt Student Buchwald. "Vielleicht muss man dann künftig gar nicht mehr in die Vorlesung gehen." Die Tele-Uni, Notlösung oder Modell der Zukunft? Darüber gehen die Meinungen auseinander. Es gibt auch etliche Professoren, die sich gar nicht filmen lassen wollen - ein Auftritt vor der Kamera, dokumentiert für die Ewigkeit, das ist nicht jedermanns Sache.

Immer noch beklagen sich bei den Studentenvertretungen Leute darüber, dass ihr Bafög-Anträge - vier Monate nach Semesterbeginn - nicht bearbeitet sind. In der Regel trifft das jene, die es am nötigsten haben. "Die müssen dann noch mehr jobben oder die Eltern anpumpen, wenn es geht. Und im Extremfall einen Kredit aufnehmen", sagt Michelle Klein.

Oft rühren die Verzögerungen aber daher, dass Anträge zu spät oder unvollständig eingereicht werden. Ingo Wachendorfer, Sprecher des Münchner Studentenwerks, betont, der Bearbeitungsstand sei normal. Weil wegen des doppelten Jahrgangs die Zahl der Anträge um 13 Prozent gestiegen sei, müssten auch mehr Studenten warten als früher, obwohl die Abteilung um zehn Prozent aufgestockt wurde. "Für die Einzelpersonen ist das natürlich schlecht", sagt Wachendorfer.

Die Konjunktur in den Mensen verlief so ähnlich wie in den Hörsälen. In der ersten Woche war hier der Teufel los. "Danach hat sich die Nachfrage aber wieder auf das übliche Niveau eingependelt, nur leicht höher", berichtet Studentenwerks-Sprecher Wachendorfer.

Ein Student hat dafür eine süffisante Erklärung: "Böse Zungen behaupten, das Studentenwerk sei dem Ansturm mit einem schlechteren Speiseplan begegnet." Aber was wäre das Münchner Studentenleben ohne das Schimpfen auf die Mensen? So weicht man eben auf die Cafeterien oder die neu errichteten Imbissstände aus. Oder man behilft sich mit dem Butterbrot aus der eigenen Küche.

Der studentische Wohnungsmarkt bot in diesem Semester einige Mysterien. Hier waren die Befürchtungen besonders groß. Schließlich hat die meist wenig finanzkräftige Studentenschaft im Münchner Miet-Irrsinn besonders schlechte Karten. So groß war die Sorge, dass die LMU-Zentrale eine Rundmail an alle Mitarbeiter und Studenten schickte, mit der Bitte, ob sie nicht noch Austauschstudenten bei sich zu Hause unterbringen könnten.

Trotzdem war die Warteliste für Wohnheimplätze beim Studentenwerk kaum länger als sonst, wie Wachendorfer sagt. Auch die Nachfrage nach Notunterkünften, die im Herbst eingerichtet wurden, war nicht viel größer als sonst.

Nur, wo schlafen all die jungen Menschen? So genau weiß das niemand, es fehlen aktuelle Statistiken. Womöglich haben viele auf eine naheliegende Notlösung zurückgegriffen: das Kinderzimmer.

Denn den doppelten Abiturjahrgang gab es nur in Bayern. Die meisten zusätzlichen Studenten an LMU und TU kommen aus München und dem Umland - und hatten so die Möglichkeit, den Umzug in eine eigene Wohnung zu verschieben. Das Sommersemester wird ein wenig Entspannung bringen, dann werden die sanierten Hochhäuser im Olympiapark mit insgesamt 800 Plätzen eröffnet.

Wer in der schönen neuen Bibliothek auf dem Garchinger TU-Campus einen Sitzplatz bekommen will, muss schon vor der Öffnung Schlange stehen - auch sonntagmorgens um 10 Uhr oder abends um 22 Uhr. Überall wurden die Öffnungszeiten verlängert und mancherorts auch Bücher nachgekauft. Trotzdem tobt in Massenstudiengängen wie Lehramt ein regelrechter Wettkampf um die notwendigen Standardwerke.

Auch die Bayerische Staatsbibliothek verzeichnet einen enormen Zuwachs bei den aktiven Lesesaal-Nutzern: 18 000 mehr als im Vorjahr. Der Lesesaal ist täglich von 8 bis 24 Uhr geöffnet und trotzdem oft überfüllt, sodass niemand mehr hineingelassen werden kann. Weil aber die kostenfreien digitalen Angebote täglich steigen, gilt auch hier: Man kann auch zu Hause ganze Bücher aus der Stabi online lesen.

Der öffentliche Nahverkehr zum riesigen TU-Campus in Garching ist seit Jahren ein Problem. Jetzt hat die U6 abends wenigstens eine zusätzliche Verbindung bekommen. Doch zu den Stoßzeiten herrscht nach wie vor 20-Minuten-Takt. Vor allem vor der 8-Uhr- und vor der 10-Uhr-Vorlesung "wird es schon sehr warm in der U-Bahn", berichtet Studentenvertreter Ari Wugalter. Keineswegs optimal angebunden ist auch der Weihenstephaner Campus. Der Bus 638 vom Freisinger Bahnhof ist meist überfüllt. Viele Studenten reisen lieber mit dem Auto an.

Am Institut für Nordistik der LMU ist der Blick auf die zusätzlichen Studenten in diesem Semester ein anderer: freudestrahlend. Die Zahl der Studienanfänger sei nach der Bachelor-Einführung im Jahr 2009 drastisch eingebrochen, berichtet Wilhelm Heizmann, geschäftsführender Direktor des Instituts. "Aber jetzt hatten wir binnen eines Jahres einen Anstieg von 22 Erstsemestern auf 35 in diesem Semester."

Ob das mit dem doppelten Abiturjahrgang zusammenhängt, weiß man nicht. "Aber jetzt sind wir ungefähr da, wo wir hinwollen. So müssen wir uns keine Existenzsorgen um das Institut machen", sagt Heizmann. "Wir nehmen auch gern noch mehr Studenten auf."

© SZ vom 10.02.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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