Werksviertel:Lief wie geschmiert

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Wo die Optimolwerke für den Weltmarkt produzierten und später, im Kunstpark Ost, die Nächte durchgefeiert wurden, wird bald hoch in den Himmel gebaut

Von Renate Winkler-Schlang

Werksviertel ist ein Name, der passt, denn hinterm Ostbahnhof, wo derzeit das neue Quartier entsteht, waren Werke mit großen Namen angesiedelt. An Pfanni erinnert sich jeder, die Knödel und Kartoffelprodukte fanden sich in vielen Haushalten. Weniger bekannt, aber nicht weniger bedeutend: Südlich des Knödel-Imperiums hatte sich die Familie Maltz mit ihren schon 1920 gegründeten Optimol-Ölwerken zum Weltmarktführer für Hochleistungs-Schmierstoffe entwickelt, mit 54 Auslandsniederlassungen, 150 Angestellten in München und 350 weltweit - ehe das Unternehmen 1992 verkauft wurde. Mit Wolfgang Nöth und Mathias Schefffel kam dann der Kunstpark Ost, die Zeit des Nachtlebens und der ewigen Zwischennutzung, bis endlich klar war, wie es hinterm Ostbahnhof in die Zukunft geht.

Letzte Zuckungen: Am 13. Januar 2018 musste sich das Partyvolk von Clubs wie der "Tante Erna" verabschieden. Die Kultfabrik, vormals Kunstpark Ost, schloss für immer. (Foto: Florian Peljak)

Auf dem früheren Pfanni-Areal haben bereits große Veränderungen stattgefunden, das hippe Musical-Haus im alten Kartoffelspeicher ist nur das jüngste Beispiel. Dem Pfanni-Erben Werner Eckart ist wichtig, dass manches aus der Werks-Vergangenheit bewahrt wird und als Ausgangspunkt für Neues dient. Auf der Optimol-Fläche ist das anders: Produktionsstätten sind längst verschwunden, die bestehenden Gebäude sind zu niedrig, eignen sich nicht als Grundlage für die Bauten, die dort bald in den Himmel wachsen werden. Der Abriss steht bevor.

Der Sohn des Firmengründers, Heinrich Norbert Maltz (re., mit Wolfgang Roeck vor dem früheren Wohnhaus der Familie) erinnert sich an die guten alten Tage. (Foto: Wöhr + Bauer)

Grund genug für drei Generationen der Gründer-Familie Maltz, sich noch einmal zu treffen im früheren Speisezimmer des Vaters, Opas und Uropas an der Friedenstraße 7 mit Blick auf die Gleise des Ostbahnhofs - und sich mit Stolz zu erinnern. Da sitzen sie im Esszimmer einträchtig nebeneinander: Heinrich Norbert Maltz, 83, dessen Vater die Firma gründete, Heinrich Manfred Maltz, 57, der heute mit seiner Schwester Susanne ein Gestüt führt, und Maximilian Maltz, 32, der sich auf seine Schreiner-Meisterprüfung vorbereitet. Und Hund Agathe. Die Schiebetür zum Herrenzimmer ist geschlossen. Das Wort hat der Senior. Seine Augen leuchten, als er von seinem Vater Heinrich erzählt - ein Drogist, der die Zeichen der Zeit erkannte und sich auf Öle spezialisierte, der als "alter Lateiner" den Firmennamen ableitete aus optimum oleum: bestes Öl. 1932 kaufte er die Fläche hinterm Ostbahnhof, mit Gleisanschluss, 1935 richtete er ein Labor ein, erhielt bald die ersten Patente. Gleich nach dem Krieg bekam er von der amerikanischen Militärregierung die neue Produktionsgenehmigung. Ihre Nummer 18 zeigt, dass er einer der ersten war, der wieder durchstarten durfte.

Erinnerungen der Familie Maltz (Foto: Privat)

Seinen Sohn Heinrich Norbert schickte der Gründer, damals sehr weitsichtig, nach England zur Ausbildung, aber auch in deutsche Automobilfirmen. Irgendwann musste er ihn dann aber vor die Wahl stellen: der Sport oder die Firma. Der Sport, das waren Autorennen, in denen es Heinrich Norbert Maltz immerhin zur Europameisterschaft in der Formel Junior, vergleichbar mit der heutigen Formel 2, gebracht hatte. Aber das ist eine andere Geschichte. Heinrich Norbert jedenfalls wuchs langsam hinein in die Geschäftsführung. Die Finanzen hatte nach wie vor die Mutter unter sich, sodass er sich ganz aufs Fachliche konzentrieren konnte.

Die Vergangenheit der Optimolwerke (Foto: Privat)

Was er zu erzählen hat, ist die Geschichte vom stetigen, pragmatischen und pfiffigen Optimieren, Automatisieren und Spezialisieren, sei es die Abfüllung oder die vollautomatische Reinigung der Tanks, die er, um Platz zu sparen, hochkant lagern ließ. Anfangs war es offenbar gang und gäbe, dass es immer wieder mal brannte auf dem Gelände, doch die Sicherheit wurde immer besser. 1969 kam der erste Computer in die Firma: Heinrich Manfred Maltz erhebt sich, tritt ans Fenster und deutet zum Nachbarhaus: "Dort drüben war der untergebracht, brauchte zwei Räume und eine Riesenkühlung und konnte weniger als heute ein Smartphone." Auch dieser dritte Maltz gehörte bald zur Firma, auch er bodenständig ausgebildet mit Werkzeugmacherlehre und Erfahrungen in einigen Unternehmen. Beide berichten von den rekordverdächtigen technischen Fortschritten, die mit ihren Messgeräten und ihren Ölen, Fetten und Pasten in verschiedensten Branchen möglich waren, von der Bahn über die Autoindustrie bis zu Militärhubschraubern, von Zeitungsrotationen bis zu Backstraßen. Es lief "wie geschmiert". Das Testgerät SRV ist bis heute internationaler Standard beim Untersuchen von Reibung und Verschleiß.

Die Optimolwerke: eine Fabrik für Schmierstoffe am Ostbahnhof mit 54 Niederlassungen im Ausland. (Foto: Privat)

Irgendwann aber wurden die Verantwortung und der Druck zu groß, zu viele Industrien waren abhängig von diesem vergleichsweise kleinen Münchner Monopolisten. Man sorgte sich über Entschädigungsforderungen bei Lieferengpässen. Inzwischen lag diese Industrie mit ihren Gefahrenstoffen auch längst nicht mehr am Stadtrand. Konnte der Firmengründer noch bis zu den Bergen schauen und rundum Schafe weiden sehen, war die Stadt inzwischen näher gerückt. "Mein Vater hat auf dem Höhepunkt der Firma verkauft", sagt Heinrich Manfred anerkennend.

Die Familie, die immer noch dort wohnte, wollte das Gelände anders nutzen, neue Häuser hinstellen. Doch die damalige Stadtbaurätin Christiane Thalgott hatte bereits den Traum von einem Konzept aus einem Guss "Rund um den Ostbahnhof", kurz "Rost". "Direkt gefragt worden sind wir nicht", erzählt Heinrich Manfred Maltz. Jahrelang versuchte die Stadt, elf Eigentümer unter einen Hut zubringen, doch deren Interessen waren zu unterschiedlich. Die für drei Jahre geplante Disco-Phase dauerte viel länger als geplant, dem Senior Heinrich Norbert war sie ein Dorn im Auge. Erst als Werner Eckart mit Planer Johannes Ernst vorschlug, abschnittsweise vorzugehen und nicht Tabula rasa zu machen, platzte der Knoten.

Wo die Familie nun zum vielleicht letzten Mal versammelt ist, wo die Kinder auf dem langen Flur das Radeln lernten, wo die Mutter in der Optimol-Kantine das Essen selbst abschmeckte: All diese Orte wird es bald nicht mehr geben. "Jetzt ist es entschieden", sagt Heinrich Norbert. Wehmütig schauen die jüngeren Familienmitglieder. Aber die Familie will es schaffen, den "Mut von damals" in die Architektur von morgen einzubringen. Einen Teil der Neubauten, die sie mit Wolfgang Röck von Wöhr + Bauer realisieren und deren Pläne sie bald öffentlich machen wird, will sie in ihrem Eigentum behalten.

© SZ vom 17.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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