Wachstum im Münchner Westen:Fest im Griff der Investoren

Lesezeit: 3 min

In Pasing wird gebaut, gebaut, gebaut. Bei der Bürgerversammlung gibt es Kritik an den massiven Eingriffen ins Stadtbild und an der Verwaltung, die bislang keine nachhaltigen Verkehrskonzepte für den rasant wachsenden Stadtbezirk vorgelegt habe

Von Jutta Czeguhn, Pasing

Warten auf das neue Kulturbürgerhaus: Nicht erst seit Schließung des Postsaals am Marienplatz gastiert die Pasinger Bürgerversammlung in der Aula des Bertolt-Brecht-Gymnasiums. Derzeit entsteht auf dem ehemaligen Stückgutgelände ein Bau, der auch über einen Veranstaltungssaal mit 180 Plätzen verfügen soll. Aber würde der ausreichen? (Foto: Privat/OH)

Für die Bürgerversammlung war schon die Schlussrunde eingeläutet, nicht wenige Besucher waren bereits in Aufbruchstimmung, da übergab Bürgermeisterin Christine Strobl (SPD) das Mikrofon an Franz Josef Maier. Der ist in der Lokalbaukommission für den Bezirk West zuständig und hatte sich in der Aula des Bertolt-Brecht-Gymnasiums gerade viel Lamento anhören müssen über die hemmungslose Bauwut von Investoren, über gesichtslose Eingriffe ins Pasinger Stadtbild und eine Verwaltung, die tatenlos zuschaue. Maier ergriff das Mikro, und mancher blieb in der Tür stehen. Auch für Verwaltungsangehörige sind Bürgerversammlungen zuweilen Gelegenheiten, Tacheles zu reden und ihre Rolle im Münchner Immobilien-Hype darzustellen.

"Bauträger treten sehr massiv auf. Mit denen haben wir auch sehr schwer zu kämpfen", begann Maier. "Gehen Sie davon aus, dass ein Bauantrag, der bei uns von einem Bauträger gestellt wird, erst einmal nicht stimmt, er ist immer zu groß. Und es ist ein hartes Ringen, die auf eine Größe zurückzuführen, die planungs- und baurechtlich auch geht. Das bestimmt nicht die Lokalbaukommission, das geht nach Gesetz. Wenn es einem Investor nicht gefällt, dass wir zu streng sind, hat der immer einen Anwalt dabei und sagt uns, was wir genehmigen müssen, und wenn wir uns nicht daran halten, dann landet der Fall bei Gericht." Insofern, so Maier, sei es immer "eine Gratwanderung", ob sich die Lokalbaukommission durchsetze, oder ob womöglich das Gericht entscheide, dass die Behörde zu streng sei.

Das künftige Kulturbürgerhaus ist vielen ein Anliegen. (Foto: privat/oh)

Über dieses Stadium längst hinaus sind jene aktuellen Pasinger Bauprojekte, die Bezirksausschuss-Chef Romanus Scholz (Grüne) der Versammlung bei einem "Spaziergang" via Beamer vorstellte: das "Pasing Central" südlich des Bahnhofsplatzes (78 Wohnungen, Läden), das Areal des ehemaligen Hotels Post am Marienplatz (bis zu 90 Mietwohnungen und neuer Stadtort des Alten- und Service-Zentrums), vis-à-vis das ehemalige Pappschachtel-Grundstück (zwei Supermärkte, Gastronomie), das Gelände an der Offenbachstraße 2 (200 Eigentumswohnungen, Gewerbeflächen), das Kuvertfabrik-Gebiet (Sanierung des Denkmals, fünf Punkthäuser, 175 Eigentumswohnungen) und im Anschluss ein neues Hochhaus am Knie. Dann erfuhren die Besucher noch von einem neuen Bauvorhaben an der verkehrsreichen Ecke Bodensee-/Lortzingstraße, dessen Namen - "Plaza Pasing" - der Lacher des Abends war. Freude herrschte über die Nachricht, dass auf dem ehemaligen Stückgutgelände nahe der Offenbach-Unterführung ein Kulturbürgerhaus entsteht, mit einem 180 Quadratmeter großen Saal und Übungsräumen.

Die Mehrzahl der Anträge und Anfragen der Pasinger hatte dann auch mit dieser massiven Bautätigkeit zu tun, die vor etwa zehn Jahren über den Stadtbezirk hereingebrochen ist. Ebenso lange ist Heinz Schirdewahn ein Rufer in der Wüste bei Bürgerversammlungen. Er wohnt an der Nusselstraße nahe dem entstehenden Großquartier Paul-Gerhardt-Allee. Seit Jahren warnt er vor dem Verkehrskollaps, den ihm dort die bis zu 6000 neuen Nachbarn bescheren würden. Im Moment seien es die staubigen Baulaster, die alle angrenzenden Wohnstraßen "in Grau" legten. Schirdewahns Antrag: Die Staubschleudern sollen künftig durch Wasserwannen fahren, ehe sie die Baustellen verlassen.

Das neue Quartier an der Paul-Gerhardt-Allee beschäftigt viele Bürger. (Foto: privat/oh)

Die Pasinger - da sind sie sich einig mit ihren Vertretern im Bezirksausschuss - wollen den Planern in den Münchner Amtsstuben und den Stadträten auch künftig keine Ruhe lassen: Angesichts der Neubaugebiete fordern sie ein strapazierfähiges, nachhaltiges Verkehrssystem; als da wären eine Tunnel- oder Straßenverbindung zwischen der Landsberger Straße und dem Paul-Gerhardt-Quartier, das zudem einen eigenen S-Bahn-Halt nötig habe. Auch müsse endlich das Verkehrskonzept für Pasing Nord auf den Tisch, an dem seit 2013 gefeilt werde. Der Schleichverkehr sei dort rasant angewachsen. Die Villenkolonie nördlich des Bahnhofs steht auch im Fokus, was die Rahmenplanung der Stadt für Gartenstädte angeht. Ein laut Romanus Scholz "rechtlich unverbindliches" Werkzeug, um den Charakter der Kolonie zu erhalten. Eine Einschätzung die viele "Kolonisten" teilen, die aktuell immer wieder Zeugen von nicht genehmigten Baumfällungen auf Baugrundstücken werden. Vorzugsweise freitags, wenn sich die Behörden schon ins Wochenende verabschiedet haben. "Rufen Sie die Polizei", riet da Romanus Scholz.

Ein ungewöhnliches Thema für eine Bürgerversammlung brachte schließlich der Videokünstler Christoph Brech - er lebt in Pasing - auf den Tisch: Er warnte vor dem neuen Mobilfunkstandard 5 G, für dessen Einführung die Anzahl an Funkstationen extrem ansteigen müsse, was nicht nur Risiken für die menschliche Gesundheit mit sich bringe, sondern auch unkontrollierbare Überwachungsmöglichkeiten schaffe. Brech forderte einen Stopp der Ausbaupläne und eine öffentliche Diskussion zu 5 G im Münchner Stadtrat.

© SZ vom 02.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: