Wohnungssuche:Wenn das Los über das eigene Zuhause entscheidet

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Zurzeit bewohnt die vierköpfige Familie eine Zwei-Zimmer-Wohnung. (Foto: Robert Haas)

Das Ehepaar Hochmuth ist mit seinen zwei Kindern berechtigt, eine Wohnung über das München-Modell zu beziehen. Doch die Familie wartet seit Jahren darauf. Denn die Vergabe basiert auf dem Lotterieprinzip.

Von Anna Hoben

Jeden Abend zwischen acht und halb neun bringen die Hochmuths ihre beiden Kinder ins Bett: Calvin, 10, und den zweijährigen Diego. Doch bis wirklich Nachtruhe ist, dauert es - die beiden wohnen im gleichen Zimmer, und Diego hat Probleme beim Einschlafen. Deshalb ist auch Calvin oft bis zehn Uhr wach. Nachts wacht der Kleine auf, mindestens einmal, eher zweimal, und schreit. Die Mutter springt dann gleich auf und macht ihm eine Milchflasche. Calvin ist trotzdem schon wach - und am nächsten Morgen geht er völlig übermüdet in die Schule.

Die nächtlichen Unterbrechungen gehören zum Alltag der Familie. Die Hochmuths wohnen seit Jahren in einer Zwei-Zimmer-Wohnung im Westend. "Als wir zu dritt waren, ging das noch", sagt Terry Hochmuth, 32. Aber nachdem Diego geboren war, wurde es eng. Im Jahr 2015 hatten sie zum ersten Mal im Amt für Wohnen und Migration einen Antrag auf eine Wohnung mit drei Zimmern im München-Modell gestellt. Das ist ein Fördermodell für Haushalte, die zu viel verdienen für eine Sozialwohnung, sich zugleich aber eine Wohnung auf dem freien Markt nicht leisten können. Je nach Lage liegen die Kaltmieten zu Beginn bei etwa elf Euro pro Quadratmeter. Nach Diegos Geburt bekamen die Hochmuths eine Berechtigung für vier Zimmer. Mietwohnungen im München-Modell sind rar und begehrt, und so standen sie lange auf einer Vormerkliste - zum Zug kamen sie allerdings nicht.

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Vor etwa einem Jahr dann wurde die Vergabe umgestellt, seitdem entscheidet bei den beiden städtischen Wohnungsbaugesellschaften Gewofag und GWG das Los. Der Arbeitsaufwand mit den Wartelisten sei hoch gewesen, erklärte die Gewofag zur Einführung des automatisierten Verfahrens. Wenn eine Wohnung frei wurde, schrieb der Hausverwalter zuvor die Interessenten an. Häufig waren sie in der Zwischenzeit jedoch umgezogen oder nicht mehr berechtigt, oder die angebotene Wohnung war mittlerweile zu klein. Das Losverfahren sollte die Vergabe beschleunigen und zudem transparenter gestalten.

Was sich nicht geändert hat: dass die Vergabe der München-Modell-Wohnungen ausschließlich auf den Einkommensverhältnissen basiert. Es reicht, sich beim Wohnungsamt einen Berechtigungsschein ausstellen zu lassen. Das kann jeder tun, der ein entsprechendes "mittleres Einkommen" hat, wie die Stadt es nennt - völlig unabhängig von der aktuellen Wohnsituation. Eine vierköpfige Familie mit zwei Kindern darf etwa nicht mehr als 93 200 Euro brutto im Jahr haben. Und auch bei der Vergabe spielt es keine Rolle, ob jemand aktuell viel zu beengt wohnt oder wie lange er schon wartet. Ende 2017 gab es laut dem Sozialreferat 4067 Haushalte mit einer gültigen Bescheinigung, aber nur 1976 entsprechende Wohnungen. Mehr als die Hälfte der Berechtigten waren also zu dem Zeitpunkt noch nicht zum Zug gekommen.

Die Gewofag stellt die Wohnungen bei Immobilienscout24 ein; Interessierte können sich direkt bewerben. Durch das Los werden für jede Wohnung fünf Interessenten angeschrieben und zur Besichtigung eingeladen. "Alle Bewerber haben die gleichen Chancen", sagt Klaus-Michael Dengler, Geschäftsführer der Gewofag. Erst wenn es danach immer noch mehrere Interessenten gebe, werde nach Dringlichkeit entschieden. Den Vorzug bekomme dann etwa, wer wegen einer Eigenbedarfskündigung von Wohnungslosigkeit bedroht ist, wer wegen Alter oder Krankheit dringend umziehen muss oder wer mit seiner Familie in einer viel zu kleinen Wohnung lebt.

"Man sollte doch erst die nehmen, die eines der Dringlichkeitskriterien erfüllen"

So wie Familie Hochmuth. Bei ihnen ist es jedoch bisher gar nicht so weit gekommen, dass die Dringlichkeit eine Rolle gespielt hätte. Eine Familie in ihrem Bekanntenkreis habe allerdings eine München-Modell-Wohnung in Laim erhalten, erzählen sie, obwohl sie davor bereits in einer Genossenschaftswohnung mit vier Zimmern gelebt habe. "Man sollte doch erst die nehmen, die eines der Dringlichkeitskriterien erfüllen", findet Melanie Rosner-Hochmuth. Nicht nur für sich: "Ich gehe davon aus, dass andere Familien in der gleichen Situation sind", sagt Terry Hochmuth. Wenn es überhaupt so weit kommt, dass nach Dringlichkeit unterschieden wird, verlangt die Gewofag keinen Nachweis dafür, dass eines der Kriterien erfüllt ist; es reicht, wenn Bewerber dies mündlich angeben. Für frei finanzierte städtische Wohnungen, die auf ähnliche Weise vergeben werden, hat die SPD im Stadtrat gerade vorgeschlagen, dieses Verfahren zu ändern. Das Planungsreferat solle neue Regeln erarbeiten, eine Fachjury solle entscheiden. Derzeit sei es nicht möglich, Härtefälle für eine Wohnung vorzuschlagen, "weil abschließend das Los entscheidet".

In den vergangenen Jahren haben die Hochmuths all ihre Hoffnungen auf ein Neubauprojekt der Gewofag auf dem ehemaligen Postgelände in der Arnulfstraße in Neuhausen fokussiert. Regelmäßig haben sie sich über den Baufortschritt erkundigt, sind zum Mieterzentrum gegangen. Und haben alles getan, was ihnen empfohlen wurde. Melanie Rosner-Hochmuth ist als Bürokauffrau in der Verwaltung eines Forschungsinstituts fest angestellt; weil sie für Diego keinen Krippenplatz fanden, verlängerte sie ihre Elternzeit. Um nicht aus der Einkommensspanne für das München-Modell herauszufallen, suchte sie sich einen Nebenjob. Jeden zweiten Abend arbeitet sie nun im Residenztheater.

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Wenn sie nach 23 Uhr nach Hause kommt, schläft ihr Mann schon. Das Bett steht im Wohnzimmer. Er ist Soldat bei der Bundeswehr, sein Wecker klingelt um fünf Uhr. Um sieben steht sie auf, macht dem übermüdeten Calvin Frühstück und lässt Diego nochmals schlafen. Wenn ihr Mann nachmittags von der Arbeit kommt, muss sie schon fast wieder los. "Ich bin an meine Grenzen gegangen", sagt Melanie Rosner-Hochmuth, "aber ich wusste, wofür ich es tue." Für eine größere Wohnung. Die beengte Situation zehrt an den Nerven. Als im vergangenen Winter einmal alle vier gleichzeitig krank waren, schlief der Vater auf einer Matratze auf dem Küchenboden.

Natürlich haben sie parallel auf dem freien Markt gesucht. Aber 1800 bis 2000 Euro für eine Vier-Zimmer-Wohnung können sie sich nicht leisten. Am 3. Januar war es soweit, die Wohnungen an der Arnulfstraße waren online auf Immobilienscout24. Die Hochmuths bewarben sich auf acht Wohnungen. Eine Woche später kam die Absage - für jede einzelne Wohnung. "Das war wie ein Schlag ins Gesicht." Laut Gewofag haben sich allerdings auch je 350 Personen auf die einzelnen München-Modell-Wohnungen beworben; üblicherweise besitzt etwa die Hälfte der Bewerber keine gültige Berechtigung. Bleiben immer noch sehr viele Interessenten. Trotzdem - oder gerade deshalb verstehen die Hochmuths nicht, warum das Vergabesystem auf dem "Lottoprinzip" basiert. Andere geförderte Wohnungen würden schließlich auch nach Wartezeit und Dringlichkeit vergeben.

© SZ vom 29.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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