München:Zwei Leben ausgelöscht

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Zwei Menschen kamen im August 2022 bei dem Unfall an der Moosacher Straße ums Leben. (Foto: Berufsfeuerwehr München)

Vier Freunde fahren nachts an eine Tankstelle, um Bier zu holen. Auf der Rückfahrt wird der Fahrer angeblich durch einen Streit im Fond so stark abgelenkt, dass er bei Rot in eine Kreuzung fährt. Zwei Männer sterben.

Von Susi Wimmer

"Die Toten kommen in meinen Traum", sagt Kiril T. mit gesenktem Kopf auf Bulgarisch. Er meint damit seine Freunde Svetoslav I. und Radostin A. Beide sind tot, beide starben bei einem Verkehrsunfall im August vergangenes Jahr. Und Kiril T. trägt mit seinen gerade einmal 23 Jahren die Schuld. Über die weltliche Strafe muss Amtsrichterin Betina Dettenhofer mit ihren beiden Schöffinnen richten.

Was wäre wenn - dieses Gedankenspiel kann man bei dem Unfall in der Nacht auf den 7. August an der Moosacher Straße bis ins Unendliche fortschreiben: Was, wenn Kiril T. sich nicht von seinen Freunden hätte breitschlagen lassen, nachts einen Kasten Bier an der Tankstelle zu holen? Was, wenn seine Freunde auf dem Rücksitz den Sicherheitsgurt angelegt hätten? Was, wenn Kiril T. nicht 1,0 Promille Alkohol im Blut gehabt hätte - hätte er dann die rote Ampel an der Kreuzung zur Riesenfeldstraße gesehen?

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Verteidiger Alexander Esser erklärt zum Prozessauftakt, sein Mandant trage Schuld, er möchte sich bei den Familien der Verstorbenen entschuldigen, "es vergeht kein Tag, an dem er nicht an seine Freunde denkt". Man wolle diese Reue nicht konterkarieren, aber man wolle klarstellen, dass nicht Alkohol ursächlich für den Unfall war, sondern ein massiver Streit im Auto.

Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft hatten die drei Freunde vor ihrem Wohnheim in der Tubeufstraße den Abend mit Alkohol ausklingen lassen. Kiril T. behauptet, er hätte von allen am wenigsten getrunken, etwa drei Bier. Und als um 2 Uhr früh die Getränke ausgingen, sollen die Freunde ihn gedrängt haben, zur Tankstelle zu fahren. Kiril T. ist Bauhelfer, er chauffierte seine Freunde des öfteren auch mit auf die Baustelle.

Der 23-Jährige sagt vor Gericht, er habe die Spritztour zunächst abgelehnt, dann willigte er doch ein. Das Schicksal nahm seinen Lauf. Kiril T. schnallte sich an, Yordan A. auf dem Beifahrersitz ebenso, in den Fond des Opel-Vectra drängten sich Svetoslav I., 26, und Radostin A., 37. Einer navigierte mit Hilfe des Handys zur Allguth-Tankstelle an der Triebstraße. Dort kaufte man einen Kasten Bier, "ich hab dort zwei, drei Schluck genommen", sagt T.

Auf der Rückfahrt soll es zwischen den Männern im Fond wegen eines Mädchens zu einem heftigen Streit gekommen sein. Kiril T. sagt, der eine habe mit der Faust auf den anderen eingeschlagen, dann habe einer eine Bierflasche aus dem Kasten gezogen und zum Wurf angesetzt. Der Beifahrer habe versucht zu schlichten, er selbst habe sich umgedreht und gerufen: "Hört endlich auf."

Die Richterin setzt den Haftbefehl aus

In diesem Augenblick muss der Wagen bei Rotlicht in die Kreuzung gefahren sein, mit etwa 70 km/h, statt der erlaubten 60. Von rechts kam ein 21-jähriger Auszubildender mit seinem VW. "Ich habe eine Vollbremsung gemacht, sonst wäre er in meine Fahrerseite gedonnert", erzählt er vor Gericht. Durch das Bremsen knallte nun sein Auto gegen die linke Seite des anderen Fahrzeugs. Der Wagen mit den vier Männern schleuderte über die Kreuzung gegen einen Ampelmasten.

Svetoslav I. wurde durch die Heckscheibe aus dem Auto geschleudert und starb gut eine Stunde nach dem Unfall. Radostin A. erlitt schwere Verletzungen an Kopf und Wirbelsäule, denen er zehn Tage später in einer Klinik erlag. Alle anderen, angeschnallten Unfallbeteiligten kamen mit Prellungen und Schürfwunden davon.

Fahrlässige Gefährdung des Straßenverkehrs, fahrlässige Tötung in zwei Fällen und fahrlässige Körperverletzung, das wirft die Staatsanwaltschaft dem Unfallfahrer vor. Kiril T. sagt, er sei abgelenkt gewesen durch den Streit, habe deshalb die rote Ampel nicht gesehen. "So ein Unfall ist auch denkbar, wenn ein Nüchterner gefahren wäre", meint sein Anwalt. Die Ampel an der Kreuzung sei bereits seit 20 Sekunden auf Rot gestanden, hält der Staatsanwalt dagegen. "Mit einmal Umdrehen kann man die lange Zeitspanne nicht erklären."

Der Beifahrer Yordan A. könnte Wesentliches zum Unfallgeschehen beitragen, allerdings lebt er mittlerweile wieder in Bulgarien - und wurde nicht zur Verhandlung geladen. Also muss im April fortgesetzt werden.

Maria Miluscheva, weitere Verteidigerin von T., sagt, man habe versucht, mit den Angehörigen der Opfer Kontakt aufzunehmen, sich zu entschuldigen, eine Geldzahlung anzubieten. Bislang vergeblich. Kiril T. will sich verpflichten, nach der Haftentlassung jeden Monat für die je zwei Kinder seiner Freunde 100 bis 150 Euro monatlich zu zahlen, bis zu ihrem 18. Lebensjahr.

Damit kann er gleich beginnen: Denn Amtsrichterin Dettenhofer setzt seinen Haftbefehl außer Vollzug, die Familie von T. im Zuschauerraum zückt die Taschentücher. Kiril T. kann gehen, die Albträume aber werden wahrscheinlich bleiben.

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