Trudering:Zusammengetrommelt

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Integration auf und hinter der Bühne: 100 Buben und Mädchen studieren ein Jahr lang das Kindermusical Magic Drum im Kulturzentrum Trudering ein

Von Renate Winkler-Schlang

Patrick ist ein stiller, ernster Junge. Es ist, als ginge ein Licht auf, wenn er mal lacht und seine weißen Zähne in dem dunklen Gesicht blitzen. Aber auf der Bühne kann er so richtig laut werden, wenn die Rolle des Masala es erfordert. Muss er auch: Der Neunjährige aus Ghana, dessen Familie übers Mittelmeer nach Europa floh und der nun in der Asylbewerberunterkunft an der Stolzhofstraße lebt, ist der Star von "Magic Drum", dem Kindermusical, für das seit fast einem Jahr im Kulturzentrum Trudering geprobt wird. Er kann nicht nur prima Deutsch, obwohl er erst seit einem Jahr und sieben Monaten in Kirchtrudering zur Schule geht. "Er beherrscht auch seinen Text wie aus dem Effeff und verpasst keinen Einsatz", lobt Regisseurin Nicole Böttcher.

Böttcher hat im Gegensatz zu ihrem kleinen Helden jede Menge Temperament: Wenn sie Maus und Mausi sagt, was sie zu tun haben oder der Hyäne zeigt, wie sie noch schriller werden kann, sind Hände und Füße im Einsatz und die Bühne wackelt. "Ich stamme aus Worms am Rhein", sagt sie zur Erklärung. Im Berufsleben arbeitet sie im Kommunikationsbereich, entwirft Slogans für eine Bank. Privat liebt sie das Laienspiel und ihren Chor, den Jörg Göller leitet. Göller war es auch, der ihr diese besondere Aufgabe übertragen hat, aus all den lebhaften Kindern und Jugendlichen ein Ensemble zu machen.

Du bist mein Freund: Selbst das Herz des Hasen (Elisabeth Plorin) erobert Patrick (links) in seiner Rolle als Masala mit seinem zauberhaften Instrument bei der Reise um die Welt. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Die Truderinger kennen Jörg Göller als engagierten Chorleiter und Musikpädagogen des Kreativ Musikforums, der 2013 mit einem begeisterten Projektchor aus 200 Sängern zwischen fünf und 73 Jahren Carl Orffs Carmina Burana auf die eigens erweiterte Bühne des Truderinger Kulturzentrums gebracht hat und frenetisch bejubelt wurde. Das hat in Göller, der meist Kinder unterrichtet, den Wunsch nach einem eigenen Kinderprojekt wachsen lassen. Am liebsten hätte er es selbst geschrieben, hatte bisher aber keine Zeit. Doch dann verzauberte ihn die Magic Drum und er wusste: "Das müssen wir machen."

Magic Drum ist ein integratives Kindermusical des Autorenduos Veronika te Reh und Wolfgang König. Masala bekommt von seinem sterbenden Opa Babu zum Abschied ein Geschenk: eine magische Trommel. Auf seiner Suche nach Babu und seiner Reise um die Welt - mit Storch-Air in der Luft, übers blaue Meer und quer durch die Erde entlang der Wurzeln - stellt er fest, dass die Menschen und die Tiere wie der schlaue Hase und der quirlige Affe, die Hummel mit ihrer Geige, die Fische und Seepferdchen und Schmetterlinge ihm folgen müssen, wenn er trommelt. Sie erleben Abenteuer, werden Freunde und wehren sich gegen die hungrige Hyäne Fisi, die die Trommel klauen möchte. Am Ende siegt das Gute, und Masala erkennt, dass er seinen Babu für immer im Herzen trägt.

"Es ist schön, wenn die Teile sich zusammenfügen wie ein Puzzle", sagt Göller nach der ersten Probe mit allen, denn das Projekt funktioniert nach dem Baukastenprinzip: Chor, Orchester und Schauspieler haben lange Zeit getrennt geübt. Das alles war in mehrerer Hinsicht ein gewagtes Experiment: Kulturzentrumsleiterin Christina Hesse wollte ein integratives Projekt und suchte auch mit Hilfe von Karin Taupert von der Stiftung Kleine Hilfen und Christoph Heidenhain vom Stadtteilmanagement, die die Idee unterstützten, in zwei Truderinger Unterkünften nach kleinen Schauspielern: "Wenn wir die Kinder haben, kommen auch die Eltern", so ihr Kalkül. Weil eine der Unterkünfte inzwischen wieder geschlossen wurde, sind es nicht sehr viele Flüchtlingskinder, die hier über die Kunst den Kontakt zu den kleinen Truderingern finden, aber es klappt. In den Chor hat Göller jeden aufgenommen, der wollte, "ohne Vorsingen". Er lacht: "Was das für ein Lotteriespiel war." Aber Göller hat es in seiner herzlich-geduldigen Art gefügt: Jetzt singen sie ihre schönen Lieder auf Deutsch, Englisch, Kisuaheli und Indonesisch. Für die Band habe er "niemanden abgewimmelt", da hat er lieber die Partitur passend gemacht, auch wenn mancher ein Instrument erst hier "von der Pike auf" gelernt hat: "Das war eine starke Erfahrung. Man darf keine Perfektion erwarten." Nun proben sie endlich gemeinsam, und die insgesamt rund hundert Kinder, denen wirklich hohe Konzentrationsfähigkeit abverlangt wird, sind neu motiviert, zumal die Schauspieler inzwischen fantasievolle Kostüme bekommen haben und von fleißigen Händen ausdrucksstark geschminkt werden. Und wenn die kleinen Frösche ihren Einsatz verpassen, der Floh Kutukiroboto den Text nicht kann, hilft Souffleuse Valentina. In der Pause teilt Böttcher Süßigkeiten aus und kehrt dann die Krümel zusammen, befestigt Schwänze und Mützen, hat für alle ein aufmunterndes Wort. So viele helfen zusammen, holen die Flüchtlingskinder ab, trösten, suchen, lachen mit den Kindern. Böttcher ist jetzt schon traurig, wenn es vorbei ist. Göller ist sicher, dass er irgendwann selbst ein Kindermusical schreibt. Und Patrick weiß, was er einmal werden will: "Schauspieler!" Er strahlt.

Das Musical wird am 20. und 21. Mai aufgeführt, doch alle Karten sind ausverkauft. Vielleicht aber gibt es eine weitere Vorstellung - sie sind ja alle so gern zusammen.

© SZ vom 05.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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