Trudering:Der schwere Weg zurück

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Das Projekt "Avanta" kümmert sich um die Stabilisierung und kaufmännische Qualifizierung langzeitarbeitsloser Frauen. Dort wird ihnen auf allen Ebenen geholfen, teure Bewerbungsfotos aber müssen selbst bezahlt werden - für manche der Betroffenen ein unüberwindbares Hindernis

Von Renate Winkler-Schlang, Trudering

"Wir spielen hier nicht Arbeit, wir arbeiten." Dieser inhaltliche Unterschied bedeutet Katharina (Name geändert), Bettina und Nicole sehr viel, denn es stärkt ihr Selbstbewusstsein und gibt ihnen die Sicherheit, es schaffen zu können. Sich selbst und ihren Kindern mehr bieten zu können als nur die Möglichkeiten, die Hartz IV bietet, bestenfalls Arbeit in einem Büro zu finden. Ihr Sprungbrett heißt "Avanta", ein Projekt für die Beschäftigung, Stabilisierung und kaufmännische Qualifizierung langzeitarbeitsloser Frauen. Avanta, das am Stahlgruberring seinen Sitz hat, wurde 1994 von Birgit Fendt gegründet, die in der Psychiatrie gearbeitet und festgestellt hatte, dass das Fehlen einer beruflichen Perspektive auch die allerbeste Therapie im Keim erstickt.

Nicole ist 32 Jahre alt. Die ruhige Frau mit den blauen Augen und den dunklen glatten Haaren arbeitete nach der Schule in der Gastronomie. Da ihr Sohn als Frühchen mit nur 990 Gramm und 31 Zentimeter klein - "wie ein Schullineal" - auf die Welt kam, waren zahlreiche Behandlungen überlebenswichtig. Zehn Jahre kümmerte sich Mutter Nicole nur um ihn: "Und dann bin ich krank geworden." Die bittere Diagnose lautete Schilddrüsenkrebs, mittlerweile hat sie die Erkrankung glücklicherweise überstanden.

"Elf Jahre Wahnsinn", sagt sie rückblickend. Niemand stand ihr in dieser schweren Zeit zur Seite, dem Vater ihres Sohnes kommt erst jetzt in den Sinn, den Buben kennenlernen zu wollen - "dann zahl' erst einmal Unterhalt für ihn", habe sie ihm entgegengehalten. Zur regelmäßigen AHDS-Therapie bringt sie ihren Sohn nach wie vor selbst: "Das kann schon alles anstrengend werden." Deshalb macht sie die Umschulung zur Kauffrau für Büromanagement verbunden mit Teilzeitarbeit, sie kommt 32 Stunden pro Woche ins Büro. Doch die Umschülerinnen müssen in zwei Jahren lernen, wofür normale Auszubildende drei Jahre Zeit haben - da muss sie beharrlich konsequent sein und immer tiptop organisiert. Das Gute für sie ist: Avanta hilft. Zuerst bei der Orientierung, dann mit Stützunterricht, bei Bedarf mit sozialpädagogischen Gesprächen.

Die zweite Chance: In den "Avanta"-Räumen feilen die Frauen gemeinsam an ihren Bewerbungen. (Foto: Robert Haas)

"Wenn man fällt, wird man aufgefangen", sagt auch Bettina, 37. Die ehemalige Verkäuferin leidet an einer Fibromyalgie, einer chronischen Krankheit, die Muskelfaserschmerzen verursacht. "Als würden einem Messer in die Knochen gestoßen", beschreibt sie es. Sie war oft krank, depressiv, verlor ihre Jobs. Sie macht bei Avanta nicht die Umschulung, sondern hat sich hier als Aufstockerin zur Empfangschefin des einrichtungsinternen Lettershops hochgearbeitet, bessert so das magere Hartz VI-Einkommen auf, von dem sie und ihr 16-jähriger Sohn leben müssen. Er ist in der Pubertät und hat viele Wünsche, die sie ihm oft genug verwehren muss. Obendrein wurde bei ihm Morbus Crohn diagnostiziert, eine Autoimmunerkrankung der Darmschleimhaut. Dieser weitere Schicksalsschlag hat Bettina getroffen - aber nicht umgeworfen; eine Sozialpädagogin stand bereit, wenn sie reden wollte.

"Wir schauen nicht pausenlos, wie es allen geht, das macht auf dem Arbeitsmarkt draußen auch keiner. Die Frauen müssen einfach lernen, sich rechtzeitig selbst Hilfe zu holen", erklärt Avanta-Geschäftsführerin Gabriele Fues. Diese zurückhaltende Fürsorge wird auch in der Übergangszeit noch angeboten, damit die Frauen den Wechsel schaffen und gut im Büroalltag Fuß fassen. Und das tun die meisten: "Wir haben eine tolle Quote - jede, die von uns zur Prüfung geht, hat bestanden. Und 90 Prozent der Absolventinnen konnten wir vermitteln", freut sich Gabriele Fues. Darunter sind einige Frauen, die neben den Computer- und Textverarbeitungsprogrammen Word und Excel und Outlook noch korrektes Deutsch lernen mussten: "Aber der Motivationsgrad der Frauen ist extrem hoch."

Auf ein gutes Zeugnis hofft auch Katharina, 29, die ihre beiden Kinder bekam, bevor sie eine Ausbildung abschließen konnte. Sie hat bei "Avanta Steps" erst einmal den Computerführerschein gemacht, um zu sehen, ob sie klarkommt mit der Doppelbelastung; auch sie erzieht ohne Partner. Sie schafft es, paukt fleißig, kommt nun bald ins zweite Lehrjahr: "Wir haben vielleicht weniger Bildungserfahrung, aber eine ganze Menge Lebenserfahrung", sagt sie. Und der Erfolg der Kolleginnen macht ihr zusätzlich Mut: "Ich will unbedingt den Abschluss für den ersten Arbeitsmarkt. Dann habe ich mehr Geld für die Wünsche der Kinder."

Sie lernen viel - über sich, für sich und für einen künftigen Job. Damit potenzielle Arbeitgeber das auch goutieren, macht Avanta für die Frauen auch professionelles Bewerbungscoaching möglich, obwohl die Finanzierung des ganzen Projektes immer wieder einem Puzzle gleicht, bei dem auch mal ein Teilchen fehlt. Geld kommt aus vielen Töpfen von Stadt und Jobcenter, dem Europäischen Sozialfonds und nicht zuletzt aus eigenen Erlösen des Lettershops, in dem sie für externe Auftraggeber Serienbriefe versenden, Geschenke verpacken oder Papierprodukte herstellen wie Kalender und kunstvoll gefalteten Christbaumschmuck.

Das Geld für professionelle Bewerbungsfotos müssen die Teilnehmerinnen allerdings selbst aufbringen. "Ein Billig-Bild aus dem Bahnhofsautomaten macht keinen guten Eindruck", weiß Nicole. Daher wünscht sich Avanta Spenden für richtig gute Bewerbungsbilder. Sie sollen die Frauen ins rechte Licht setzen - und ein echter Lichtblick sein auf ihrem mühevoll-tapferen Weg zurück in den Arbeitsmarkt.

© SZ vom 22.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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