Trudering:Das Wunder auf der Weide

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In Neu-Trudering fanden einst Münchner und Vertriebene eine neue Heimat. Die Siedlergemeinschaft erinnert zur Hundertjahrfeier an die große Solidarität

Von Renate Winkler-Schlang, Trudering

"Gemeinsam sind wir stark", so lautet das Motto zur Hundertjahrfeier der Siedlergemeinschaft Neu-Trudering am Sonntag, 26. Mai. Die vom Vorsitzenden Robert Hartwich aus diesem Anlass liebevoll zusammengestellte Chronik zeigt, wie sich die großen sozialen und politischen Ereignisse im Alltag der "kleinen Leute" in Trudering widerspiegelten. Ein jedes Jahrzehnt hatte seine eigenen Herausforderungen. In all diesen Epochen aber galt, dass sich die Probleme mit Zusammenhalt leichter lösen ließen. Und mehr Spaß macht das Leben - und das Feiern - in einer großen Gemeinschaft allemal, 1919 genauso wie 2019.

1919 war Trudering noch ein eigenständiges Dorf, als immer mehr Menschen der Wohnungsnot etwa in Haidhausen entflohen und ihr Glück vor den Toren der Stadt auf den mageren Schafweiden suchten. Die Versorgung mit Wasser und Strom musste gesichert werden, Straßen wurden nötig. Sieben Familien beidseits der Solalindenstraße schlossen sich zusammen, der Verein war gegründet. 1922 stand der Wasserturm, ein Erfolg. Pflanz- und Saatgut teilen - und die Mäuseplage in den Griff bekommen, das war nun wichtig. 1920 hatte der Verein bereits 78 Mitglieder, zum Zehnjährigen stiftete er den Drudenbrunnen. Vor allem in den harten Kriegsjahren ging es um Selbstversorgung mit Kartoffeln, Hühnern und Kaninchen.

Noch größer wurden die Aufgaben, als nach dem Krieg die Flüchtlinge kamen, etwa aus der Batschka. Nach diesem Landstrich im heutigen Dreiländereck zwischen Serbien, Ungarn und Rumänien gelegen, haben die fleißigen Menschen, die nun gemeinsam mit ihren Händen in der neuen Heimat Haus für Haus errichteten, sogar eine Straße benannt. Die wenigen Baustellen-Fotos aus jener Zeit zeigen unzählige Helfer, sagt Hartwich stolz. Jeder brauchte ein Dach über dem Kopf und wollte eigene vier Wände. Man sprach vom "Batschkawunder". Wieder wurde gemeinsam Druck erzeugt, zum Beispiel für eine Straßenbeleuchtung. Für den Winter wurde ein Schneepflug angeschafft. "Wer da welchen Dialekt hatte, das war egal", erinnert sich der Vorsitzende.

In späteren Jahren war es der Verleih von Gartengeräten oder die unglaubliche Solidarität beim großen Hagel von 1984, der Kampf gegen den Riemer Flughafen, heute sind es Vorträge und Kurse in Obstbaumschnitt, Prozente beim örtlichen Bau- oder Blumenmarkt, Versicherungsschutz: Die Siedlergemeinschaft hatte und hat immer viel zu bieten. Mehr als 500 Mitglieder zählt der Vorsitzende heute. Der Verein wurde mehrfach umbenannt, irgendwann geteilt, aufgegeben haben sie nie. Wo genau örtlich die Grenzen von Neu-Trudering sind, vermag Hartwich gar nicht zu sagen. Darauf komme es nicht an, denn alle Siedler- und Eigenheimervereine in Stadtteil und Umgebung halten zusammen, man gehört zum selben Verband.

Zu den schönen Erinnerungen gehört für die Siedler dieser überörtliche Zusammenhalt. Der in vielen Vereinen engagierte Edmund Wiesböck hatte in den goldenen Zeiten der Siedler in den Achtzigerjahren noch ganze Sonderzüge bestellt: "Die Truderinger Großfamilie verreist" - und alle waren dabei. Auch heute noch organisieren sie Feste und Ausflüge, Hartwich achtet auf die richtige Mischung aus Lehrreichem und Geselligem. Sorge bereit dem Verein die Nachverdichtung. Die Zuzügler in den Mehrparteienhäusern haben einen Hausmeister - sie brauchen die Gemeinschaft nicht mehr so sehr. Doch noch immer können die Siedler politischen Druck aufbauen, sich etwa einsetzen für den Erhalt von Grünflächen, sich stark machen für Carsharing-Flächen oder bessere Busverbindungen. Ihr Festakt am Sonntag um 10 Uhr im Truderinger Kulturzentrum ist eigentlich eine interne Veranstaltung, ebenso wie das gesellige Beisammensein von 12 Uhr an im benachbarten Festzelt. "Aber wir lassen die Türen offenstehen", sagt Hartwich. Neue Mitglieder seien stets willkommen: "Es lohnt sich."

© SZ vom 24.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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