Trudering:Brandbrief aus dem Rektorat

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Weil die Stadt Sozialarbeit an der Forellenschule ablehnt, sucht die Schulleitung Unterstützung beim Bezirksausschuss

Von Renate Winkler-Schlang, Trudering

Was tun, wenn Kinder weinen bei einer Drei, weil das in den Augen ihrer Eltern eine schlechte Note ist. Wenn sie Unterschriften fälschen, weil sie Angst haben, dass die Eltern sie schlagen, oder wenn sie deshalb nachts ins Bett machen? Gabriele Pelzl, die Rektorin der Grundschule an der Forellenstraße und ihre Stellvertreterin Waltraud Boltz beobachten, dass manche Eltern immer aggressiver ihre Interessen und ihre überzogenen Bildungsansprüche bei der Schulleitung durchzusetzen versuchen. Und gerade den Eltern aus anderen Kulturen sei, auch wenn sie in ihren Heimatländern einer gehobenen Schicht angehörten, das deutsche Bildungssystem trotz aller Informationsveranstaltungen fremd geblieben.

Die beiden Pädagoginnen sehen auch mit Sorge, dass sich weniger reiche Kinder ausgegrenzt fühlen und mit Ausreden und Lügen kleinere Diebstählevertuschen. Als sie dann noch Eltern mit rechtsextremen Modelabels gekleidet auf dem Schulhof bemerkten, war ihnen endgültig klar: Es muss ein Schulsozialarbeiter her.

Weil die Stadt dies jedoch laut Pelzl ohne besondere Begründung ablehnte, suchten sie nun Hilfe beim Bezirksausschuss Trudering-Riem. Die Lehrerinnen erwähnen in ihrem Brief den wegen der großen Neubaugebiete rund um die Schule stark steigenden Teil von Kindern mit ausländischen Wurzeln. Er liege bereits bei 47,8 Prozent, Tendenz steigend. Es ist ihnen aber ganz wichtig, die Probleme differenziert zu schildern. Überehrgeizige Eltern gebe es zuhauf auch unter den Einheimischen - Eltern, die keine Geduld haben mit ihren Kindern, die nicht einsehen, dass der eine oder andere Durchhänger nicht gleich das Ende der Schülerkarriere sind. Im Antrag aber mussten sie alle möglichen Argumente ins Feld führen, denn mit ihrem Anliegen nach Schulsozialarbeit ist es ihnen sehr ernst.

Trudering sei da nicht vorn in der Prioritätenliste der Stadt, doch die vermeintlich heile Welt, die habe sich stark verändert. Kaum ein Kind gehe mittags noch heim, denn die Mutter arbeite: "Und die Oma auch. Es gibt das klassische familiäre Netz nicht mehr." Kinder aus Migrantenfamilien seien vielfach noch etwas behüteter, wüchsen aber auch strenger auf. Erst dank einer interkulturellen Fortbildung wüssten sie, was Eltern etwa aus der Türkei wollen: Dort ist der Lehrer mehr Autorität. Er regelt alles schulische alleine, ohne Eltern. Gleichzeitig falle es den Eltern schwer zu akzeptieren, dass man hier in einen Beruf nicht über Beziehungen hineinwachse. So bekommen Noten ein unheimliches Gewicht. Sie zahlen Nachhilfe und sind frustriert, wenn sie nicht gleich "wirkt".

Waltraud Boltz hat einige Jahre in Haar unterrichtet, an einer Schule mit Sozialarbeiter, und hat damit die besten Erfahrungen gemacht: Eine andere Perspektive könne auch den Lehrern helfen. Einer Person, die nicht die Noten vergibt, könne sich eine Mutter leichter anvertrauen. Das sei für Eltern viel niederschwelliger als der Besuch einer Erziehungsberatung. Die Schule arbeite gut zusammen mit der SOS-Beratungsstelle in Berg am Laim, doch die habe auch Wartezeiten. Ein Sozialarbeiter könne ein Problem spontan angehen - oder den Termin bei der externen Stelle bei Bedarf beschleunigen helfen. Weil Bildung und Erziehung für die Kleinen nach wie vor fest in weiblicher Hand seien, wäre auch ein männlicher Ansprechpartner wichtig, ergänzen sie.

Da haben sich zwei Gedanken gemacht. Sie glauben nicht, dass sie "die Flöhe husten" hören, wie Boltz es ausdrückt. Sie haben noch keine Misshandlung dem Kinderschutz melden müssen. "Wir kommen zurecht. Noch. Wir haben möglichst offene Türen für alle Anliegen, aber wir haben jetzt schon 21 Klassen mit rund 500 Kindern und unsere Schule wächst. Wir wollen nicht hinterher gefragt werden, warum habt ihr denn nicht früher Alarm geschlagen", sagt Pelzl.

In einem Punkt immerhin hat die Stadt bereits reagiert: Das Stadtjugendamt schickte ihnen einen Experten zum Thema Nazi-Klamotten. Sie haben gelernt: "Lonsdale" sei eine Sportmarke, die sich wehre gegen die Vereinnahmung von rechtsradikaler Klientel. Kleidung von "Thor Steinar" aber sei verboten und Eltern, die so etwas tragen, könne man des Schulgeländes verweisen. Seltene Fälle seien das, betonen die beiden, aber ein Sozialarbeiter an ihrer Seite würde sie auch hierbei beruhigen.

Der BA sieht den Bedarf: Einstimmig erklärte dieser, es sei wichtig, rechtzeitig einzugreifen und professionell gegenzusteuern.

© SZ vom 02.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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