Trudering:Beethoven auf dem Campingstuhl

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Musiker des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks geben ein Konzert "da hoam" im Garten eines Abonnentenpaares. Auf vielen neuen Wegen nähern sich die Künstler wieder ihrem Publikum

Von Jutta Czeguhn, Trudering

Beim Menuetto Allegro molto Scherzo kann der Zilpzalp oben in der alten Kiefer nicht mehr an sich halten und erweitert Beethovens Trio C-Dur Opus 87 für zwei Oboen und Englischhorn selbstbewusst zum Quartett. Und auch der Bus Nummer 192 scheint durch dumpfes Dröhnen beim Anfahren an der nahen Haltestelle mittun zu wollen bei diesen ungewöhnlichen Nachmittagsklängen, die da aus einem Garten an der Ottilienstraße in Neu-trudering zu hören sind. Musiker des Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks (BRSO) spielen ein "Hofkonzert" im geräumigen Garten von Familie Gotschlich. Wenn die Abonnenten schon nicht zum Orchester kommen können, dann kommt das Orchester eben zu ihnen.

Natürlich nicht zu allen 9000 oder so Abonnenten. Da muss man schon wie Franz Josef Gotschlich, 80, ein wenig initiativ werden und natürlich das Glück auf seiner Seite haben. Der IT-Experte im Ruhestand hat ein Formular ausgefüllt und bei dieser speziell für die Abonnenten aufgelegten Aktion eines von insgesamt zehn Konzerten für "da hoam" gewonnen. Gotschlich und Ehefrau Heide, 76, haben seit Jahren ein Samstagsabo, und man braucht sie gar nicht erst zu fragen: Sie vermissen die regelmäßigen Konzertabende schrecklich.

Musiker des Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks (BRSO) spielen im geräumigen Garten von Familie Gotschlich. (Foto: Catherina Hess)

Eine halbe Stunde bevor es im Garten an der Ottilienstraße losgehen soll, sitzt der Hausherr ausgesprochen gelassen mit einem Glas Weißwein in einem Camping-Klappstuhl. Was soll schon auch schief gehen? Drei Musiker eines Weltorchesters werden gleich spielen, die wissen, was sie zu tun haben. Und sie als Gastgeber haben alles Nötige vorbereitet. Was an beweglichen Sitzmöbeln zu finden war, steht nun in braver Abstandswahrung auf dem Rasen, der Wein ist gekühlt, und - ein kurzer Blick zum Himmel - das Wetter sollte auch halten. Franz Josef und Heide Gotschlich müssen einen Moment nachdenken, ihr letztes Konzert, hmm, das könnte vor Weihnachten gewesen sein. Lange her, zu lange. Für den 12. März hatten sie Tickets für den Gasteig, der Beethoven-Zyklus mit den Wiener Philharmonikern, Andris Nelsons am Pult. Ausgefallen wie so vieles seither.

Stimmen reißen die beiden aus dem Grübeln, die ersten Konzertbesucher tröpfeln ein. Franz Josef Gotschlich hat Familie, Freunde und Nachbarn eingeladen, "auch solche, zu denen wir bislang nicht so richtig Kontakt hatten", erzählt er, etwa der Nachbar von gegenüber, der dort gerade ein Haus baue und bald einziehen werde. "Eine gute Gelegenheit, sich kennen zu lernen." Auch Tochter Julia ist mit den Enkeln Felix und Katharina gekommen. Sie haben zwei Camping-Stühle dabei. "Noch nie benutzt, die lagen irgendwo im Keller", lacht die Tochter des Hausherren, die sich mit ihren Eltern über dieses spezielle Ereignis freut.

Jesús Pinillos Rivera. (Foto: Jutta Czeguhn/oh)

Die Gotschlichs meistern ihre Aufgabe als Platzanweiser, Caterer und Inspizienten souverän. Im großen Hallo-lange-nicht-gesehen-hätte-Euch-fast- nicht- erkannt-Begrüßungskonzert der Gäste bleibt fast unbemerkt, dass drei Männer in Schwarz unter der gelbweißen Terrassenmarkise Position bezogen haben. Tobias Vogelmann, Ramón Ortega Quero und Jesús Pinillos Rivera packen routiniert ihre Instrumenten-Kästen aus, betrachten ihr übersichtliches Publikum. Und auch ihnen scheint die Freude über das Ganze hier im Gesicht zu stehen.

Begonnen hatten die Hofkonzerte des BRSO anfangs, während der harten Phase der Pandemie, im privaten Rahmen. Musikerpaare, die in einem Gebäudekomplex über verschiedene Stockwerke verteilt wohnen, verabredeten sich zu Balkonkonzerten, die natürlich prima ankamen in der Nachbarschaft. Medien berichteten. Immer im Einklang mit den Möglichkeiten, die sich mit der schrittweisen Lockerung der Auflagen bieten, wurden mittlerweile vom Orchester etliche kleine Formate entwickelt - etwa "Watch this space" im Werksviertel-Mitte - die Musiker und ihr Publikum wieder zusammenbringen. Die Hofkonzerte, die auch für Krankenhäuser, Alten- und Pflegeheime gegeben werden, gehören auch dazu.

Franz Josef Gotschlich, hier mit Frau Heide, hat ein Hofkonzert des Symphonieorchesters de Bayerischen Rundfunks gewonnen. (Foto: Catherina Hess)

"Ich muss gestehen, vor so vielen Zuhörern hab' ich zuletzt im Februar live gespielt, ich bin sehr nervös", begrüßt an diesem Nachmittag Tobias Vogelmann sein Publikum. Ein guter Eröffnungssatz. Dann setzt er sein Englischhorn an, holt tief Luft, und zusammen mit seinen Kollegen an den Oboen schickt er nun Beethovens heitere Musik in den Garten, in dem nun erwartungsvolle Stille herrscht. Manchmal will der Wind die Notenseiten umblättern, dann versucht Solo-Oboist Ramón Ortega Quero ihn mit einer Wäscheklammer zu bändigen. Die letzten Klänge, dann viel Applaus und Johann Sebastian Bachs "Air" als Zugabe. Die BRSO-Musiker haben mittlerweile wieder das Proben begonnen, in kleinen Einheiten, mit Dirigenten wie Simon Rattle, Daniel Harding oder Franz Welser-Möst. Doch wann sie wieder im großen Orchester zusammen spielen können, vor großem Publikum? "Wir sehen uns vielleicht im Gasteig", ruft Tobias Vogelmann den über 20 Zuhörern im Truderinger Garten zu. Franz Josef und Heide Gotschlich wollen dann auf alle Fälle dabei sein.

© SZ vom 22.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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