OEZ:Amoklauf in München: Wie die Justiz mit Trittbrettfahrern umgeht

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Blumen und Kerzen erinnern im Juli 2016 am Olympia-Einkaufszentrum in München an die Opfer des Amoklaufs. (Foto: Sven Hoppe/dpa)
  • Die Staatsanwaltschaft München I führt etwa drei Dutzend Ermittlungsverfahren gegen sogenannte Trittbrettfahrer nach dem Amoklauf in München.
  • Etwa gegen Merima C.: Sie verschickte wenige Tage nach der Tat am OEZ eine ähnliche Drohung - angeblich aus Langeweile.

Von Christoph Dorner, München

Sie muss länger warten, draußen vor Saal 132 des Amtsgerichts. Und das auch noch an ihrem 19. Geburtstag. Dann wird Merima C. aufgerufen. Auf der Anklagebank nimmt, halb geduckt, eine junge Frau mit Nasenring und blondierten Haaren Platz. Die blassgrüne Fellkragenjacke behält sie gleich an. Das liegt nicht allein daran, dass sich die Justiz nur 30 Minuten für ihren Fall nimmt. Die Frau ahnt wohl, dass es gleich ungemütlich für sie wird.

Am Abend des 27. Juli 2016 ist Merima C. mit ihrer Cousine, die wie ihre Familie aus Bosnien stammt, alleine in der elterlichen Wohnung in München. "Uns war halt langweilig, ich weiß auch nicht", sagt die Frau in Saal 132, als sie erklären soll, warum sie einen Polizeieinsatz auslöste, bei dem die Beamten wieder mit dem Schlimmsten rechnen mussten.

Die zwei Frauen scrollten an jenem Abend durch die Kontaktliste des Smartphones, das Merima C. von ihrem Vater bekommen hatte, und riefen schließlich mehrmals einen Freund der Familie an: "Scheiß Ausländer, komm ins OEZ. Ich bring dich um", ließen sie die Computerstimme des Programms "Google Übersetzer" ins Telefon sprechen.

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Der Mann am anderen Ende der Leitung war so verschreckt, dass er die Polizei rief. Nur fünf Tage zuvor hatte am Olympia-Einkaufszentrum David S. neun Menschen erschossen.

Etwa drei Dutzend Ermittlungsverfahren gegen sogenannte Trittbrettfahrer hat die Staatsanwaltschaft München I in den Wochen nach dem Amoklauf des 18-jährigen Schülers anstrengen müssen. Im Dezember stand ein 53-jähriger Australier vor Gericht. Er hatte sich vor dem Blumenmeer am Olympia-Einkaufszentrum fotografiert und bei australischen Behörden per Mail angekündigt, in München Menschen zu töten. Weil der Mann unter paranoider Schizophrenie leidet und nachweisen konnte, dass er medikamentös nun besser eingestellt ist, wurde die Unterbringung in einer Psychiatrie zur Bewährung ausgesetzt.

Die Trittbrettfahrer sind in der Regel polizeilich unauffällig und männlich. Ebenfalls im Dezember wurde in Regensburg aber ein 14-jähriges Mädchen zu 80 Sozialstunden verurteilt, die Jugendliche hatte bei Facebook im Stil von David S. dazu aufgerufen, in den McDonald's im Einkaufszentrum Arcaden zu kommen. Der Post hatte einen Polizeieinsatz mit 50 Beamten ausgelöst.

Auch Merima C. ist noch unbescholten, als die Polizei bei ihr zu Hause klingelt und am Ende nicht sie mitnimmt, sondern nur ihr Smartphone. Die Cousine ist da schon wieder in ihrer Heimat Bosnien. Wie Zwölfjährige hätten die Frauen sich benommen, sagt die Richterin streng. Immerhin habe Merima C. sich bei ihrem Opfer entschuldigt und mache vor Gericht einen vernünftigen Eindruck. Tatsächlich hat sie im zweiten Anlauf den Hauptschulabschluss geschafft, sie mag Musik, Tanzen, Reisen. Beruflich will die Tochter eines Altenpflegers und einer Küchengehilfin später einmal etwas mit Sprachen machen.

Vorher wird sie einen Trainingskurs der Stadtjugendhilfe besuchen müssen. Bei "Korrekt im Web" sollen Jugendliche Gesetze und rechtliche Aspekte der Internetnutzung lernen. Merima C. ist erleichtert, dass das Verfahren vorläufig eingestellt wird. Eine Sache interessiert sie aber noch: "Mit dem Handy, krieg ich das noch mal wieder?", fragt sie die Richterin. Die schaut angestrengt in ihre Akten: Der Asservatenzettel fehlt, das Handy ist wohl verloren gegangen.

© SZ vom 18.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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