"Tokio Hotel" vor Auftritt in München:"Wir haben gefeiert wie nie zuvor"

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Partys in L.A. haben ihre Musik verändert, sagen "Tokio Hotel". Kritiker zerreißen ihr neues Album. Jetzt tritt die Band in München auf.

Von Christina Koormann

Vor ziemlich genau zehn Jahren mussten die Jungs von Tokio Hotel "durch den Monsun" und eroberten mit ihrer Debütsingle die deutschen und österreichischen Charts sowie Millionen Teenagerherzen. Nicht nur der deutschsprachige Raum war den damals noch sehr jungen Musikern verfallen, auch weltweit hatten Tokio Hotel als eine von wenigen deutschen Bands großen Erfolg. Genauso leidenschaftlich, wie sie von den einen geliebt wurden, haben andere sie auch immer schon gehasst - die Band um den Paradiesvogel Bill Kaulitz polarisierte damals wie heute stark. Lange waren die Zwillinge Bill und Tom, Georg und Gustav zwischenzeitlich von der Bildfläche verschwunden - für eine Auszeit gingen sie in die USA, wo sie volle fünf Jahre untertauchten und durchatmen konnten.

Mit ihrer Europatour "Feel it all - Part I - The Club Experience" sind Tokio Hotel jetzt wieder zurück: Seit Anfang März ziehen sie durch insgesamt 15 europäische Städte, bevor es im Sommer auf Welttournee geht. Am Mittwoch, 18. März, bespielen sie das Kesselhaus in München. Die Zeit in Amerika hatte offenbar großen Einfluss auf ihre musikalische Weiterentwicklung: "Das war für uns sowohl privat als auch für die Karriere, musikalisch und für die Kreativität genau die richtige Entscheidung", sagt Bill rückblickend ein paar Tage vor Beginn der Europatournee, die am 6. März in London gestartet ist.

"Wir haben diesmal keine Kompromisse gemacht"

Was in Los Angeles entstand, erschien im vergangenen Oktober auf dem vierten Album der Band: "Kings of Suburbia"; "Könige der Vorstadt", ist eine Platte mit elf beziehungsweise 15 Songs (in der Deluxe Version), die so gar nicht mehr nach Pubertät klingt, sondern durch starken Elektro-und Clubsound eine ganz neue Seite von Tokio Hotel ans Licht bringt. "Ich würde sagen, wir haben diesmal keine Kompromisse gemacht", betont Bill. Die Band habe ein Album machen wollen, auf das sie Lust gehabt habe, in einer Art und einem Stil, den sie persönlich gut findet.

"Kings of Suburbia" ist von Tokio Hotel komplett selbst aufgenommen und produziert worden. Der Titel des Albums sei aus einem Lebensgefühl heraus entstanden: "Wir haben uns dabei erinnert an die ersten Aufnahmen, die wir zusammen gemacht haben, die ja schon 14 Jahre her sind", reflektiert Bill. "Wo wir geträumt haben von unseren Videos, die im Fernsehen laufen, und von Erfolg und großen Bühnen und so, und dabei sind wir ja total in der Provinz aufgewachsen und hätten nie gedacht, dass das mit unserem Traum mal klappen würde."

"Kings of Suburbia" spiegele dieses Gefühl wider, der König seiner eigenen kleinen Welt zu sein, ein Freiheitsgefühl, das zwar "normalerweise kein Schwein interessiert", sagt Bill, aber das jeder kenne. Dass die Songs auf dem neuen Album alle in Englisch sind, ist ebenfalls Teil der Kompromisslosigkeit: "Wir haben jetzt viel lieber auf Englisch geschrieben, wir wollten nichts künstlich erzwingen, nur um jemandem gerecht zu werden", sagt der Sänger. "Natürlich sind wir mit Deutschland total verbunden, und es kann auch sein, dass wir mal wieder einen deutschen Text schreiben, aber momentan ist es nicht so."

Die zahllosen Verrisse des Albums scheinen keine Spuren hinterlassen zu haben

Neben der Sprache ist auch die Musik nicht mehr das, was Tokio Hotel bisher waren: "In L.A. waren Tom und ich unglaublich viel weg, wir haben gefeiert wie noch nie zuvor in unserem Leben, und natürlich wurde in den Clubs viel Elektro gespielt - das hat uns einfach inspiriert", sagt Bill. Auch die Zusammenarbeit mit verschiedenen DJs und Einflüsse von Elektrofestivals haben zu dieser Richtung beigetragen. "Es war aber auch gar keine bewusste Entscheidung, sondern es ist einfach entstanden: Tom hat eher den Synthesizer genommen statt der Gitarre, wir haben mit tausend Effekten rumgespielt, und das ist natürlich in den Arbeitsprozess mit eingeflossen."

Die bisherigen Reaktionen auf "Kings of Suburbia" in Deutschland empfinden die Weltenbummler als positiv. Die zahllosen Verrisse des Albums scheinen keine Spuren hinterlassen zu haben. Bill sagt: "Erfolg funktioniert nur so rum: Man kann nicht einfach einen Hit schreiben, sondern man muss erst mal sich selbst mit der Musik glücklich machen - dann kann man auch andere Leute damit glücklich machen."

Die Band sei erwachsen geworden, sagt Tom

Wie glücklich die Fans von Tokio Hotel mit der neuen Platte und der Tournee tatsächlich sind, ist noch nicht zu sagen - einige Konzerte sind bisher nicht ausverkauft, der Ansturm auf Eintrittskarten ist wohl kein Monsun. Das hängt aber vielleicht auch mit dem stolzen Preis der Tickets zusammen. Was bietet die ehemalige Teenieband ihren Fans auf der neuen Tournee? "Wir versuchen, auf dieser Tour etwas zu machen, was es in der Form vorher noch nicht gegeben hat", sagt Bill, "wir wollen aus kleinen intimen Venues eine Riesenparty machen."

Ob die "Kings of Suburbia" dort anknüpfen können, wo sie vor fünf Jahren aufgehört haben? Ist die Band erwachsen geworden? "Ich glaube, das passiert ganz automatisch, notgedrungen", sagt Tom. "Man will ja gar nicht unbedingt älter werden. Man verändert sich, die Band verändert sich, der eigene Geschmack verändert sich. Ich glaube, mit dem neuen Album ist es wie mit Tokio Hotel - eine lange Reise, die man vor sich hat. Und eine Entwicklung, die man als Band durchmacht." Trotz der Veränderungen bleiben sich Tokio Hotel offenbar treu - klar zu erkennen am Lieblings-Live-Song der Band, der "Stormy Weather" heißt. Das knüpft an alte Traditionen an.

© SZ vom 18.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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