Tierpark Hellabrunn:"Ein Tiger ist nicht so gefährlich wie eine Antilope"

Lesezeit: 5 min

Michael Zametzer mit Yuma. (Foto: Mark Siaulys Pfeiffer)

Michael Zametzer ist seit 45 Jahren Tierpfleger, davon 20 als Chef im Raubtierhaus. Jetzt kümmert er sich um Zebras, Kudus - und Bienen. Welche Tiere unterschätzt werden und woran er erkennt, dass eines gleich wild wird.

Von Philipp Crone

Die Hand kommt ganz am Ende. Aber auf die kommt es an. Michael Zametzer steht an einem Augusttag im Gehege der Zebras und Antilopen und hat zwei Probleme. Er war im Urlaub und hat keine Hellabrunn-Jacke dabei. Erst am nächsten Tag ist der Mann mit der Statur eines aufrechten Berglöwen wieder als Tierpfleger im Dienst. Heute spricht er über seine Hände, wozu er die braucht und was die können müssen. Mit dem Reporter, der zunächst ein wenig krakelig die ersten Buchstaben in seinen Notizblock kritzelt, "krasser Händedruck", die Finger müssen sich von dieser Beißzange alias rechte Pranke Zametzers erst erholen. Und diese Hände sollen Tiere pflegen?

Yuma, die ranghöchste Stute in der kleinen Herde, weiß nichts von einem Pressetermin. Die bemerkt nur, dass da jemand ins Gehege reinkommt, dessen Stimme sie länger nicht gehört hat und der anders angezogen ist als sonst. Zametzer bekommt vom Kollegen aus der Presse-Abteilung noch eine Weste und sagt beim Anziehen: "Wenn das Zebra will, macht es dich platt, mit Hufen und Zähnen. Da hast du keine Chance." Die Entgegnung des Zoo-Reporters von wegen Fluchttiere muss warten, denn gerade hat Yuma den Kopf gehoben und bewegt sich auf Zametzer zu. Der sagt dann noch: "Das ist ein Wildtier" und hebt die Hände.

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Für die üblichen Tätigkeiten, die in diesem Moment außerhalb des Geheges zwei Kollegen Zametzers ausführen, Fegen mit einem Strohbesen, Reinigen der Anlage mit einem Wasserschlauch, kann man Pranken durchaus gebrauchen. Der Beruf des Tierpflegers ist eben einer großen physischen Bandbreite unterworfen. Harte körperliche Arbeit, und dann aber immer wieder filigrane Einätze. Auch bei Zametzer, der sich im Nebenberuf um die Bienen in Hellabrunn kümmert. Die streichelt er nicht, was er im Idealfall gleich mit Yuma macht, aber er baut ihnen ein Zuhause. Und das mit einer Bohrmaschine.

"Brüllen, groß machen, das Tier richtig verjagen, bis es abhaut."

Yuma nähert sich nun, die anderen Zebras machen Platz, Zametzer sagt: "Sie ist die Einzige, die einem nicht in den Finger beißt", und nimmt ein Stück Möhre in die Hand. Natürlich seien das Fluchttiere, sagt der Pfleger, aber eben nicht so wie die Elenantilopen oder die Kudus. "Und ich muss bei meiner Arbeit immer auf die Anlage." Das ist anders als in seinen zehn Jahren als Chef-Pfleger bei den Raubtieren. "Ein Tiger ist nicht so gefährlich wie eine Antilope", sagt Zametzer, denn bei dem müsse man nicht ins Gehege reingehen. Aber so ein Hornträger mit 500 Kilo und Wut im Bauch?

Ein guter Tierpfleger braucht Fingerspitzengefühl, mit der Betonung auf Gefühl. "Du musst die Tiere lesen", sagt Zametzer. Erkennen, wann sie aggressiv werden gegeneinander. Denn in so einem Fall unterscheidet eine Antilope oder ein Zebra nicht zwischen Freund und Rivale, zwischen Mensch und Artgenossen. "Wenn ein Antilopenbock mit den Hörnern im Sand schabt, dann wird gleich geforkelt." Also mit den Geweihen gegeneinander gekämpft.

Und wenn das passiert und ein Pfleger oder eine Pflegerin ist im Gehege, gibt es nur noch eins: "den Hermann machen." Zametzer meint: bluffen. Sich aufmandeln, wie man hierzulande sagen würde. Und zwar so richtig. "Brüllen, groß machen, das Tier richtig verjagen, bis es abhaut. Wenn man das nicht schafft, merkt es sich das, und man hat für immer verloren", sagt Zametzer, als Yuma weiter antrabt.

Michael Zametzer. (Foto: Mark Siaulys Pfeiffer)

Dann bleibt sie kurz vor dem Pfleger stehen. Trotz erschwerter Umstände lässt sie sich von Zametzers verbalem Balzen einfangen. Er macht immer wieder "klickklickklick", wie man das bei Pferden kennt, nennt Yuma eine "Schnippelnase", bis sie nach der Möhre schnappt und Zametzer seine Hände einsetzen kann. Er klopft Yuma mit der möhrenlosen Hand so auf den Hals, wie andere ihre Teppiche ausklopfen. Aber das ist genau die Kraft, die so ein Tier mag.

Seine Finger schieben Möhrenstücke vorsichtig bis zu den Zähnen. "Sie mag es auch, wenn man sie am Ohr oder im Ohr krault." Kurze Krauleinheit, dann ist Yuma wieder entlassen und Zametzer sagt mit einem Lachen: "Auch diese Hände können zärtlich sein. Los, ich zeige euch die Insektenhotels."

"Auch diese Hände können zärtlich sein", sagt Zametzer. (Foto: Mark Siaulys Pfeiffer)

Denn jetzt geht es nicht mehr um Machtgehabe, sondern um Millimeter. Der Tierpark versteht sich ja längst als Edukationszentrum für die Artenvielfalt und als Ort, an dem man sowohl fürs Leben lernt, als auch fürs Überleben des Planeten. Da gehören Wildbienen auf jeden Fall dazu. Und deshalb bohrt der Tierpfleger, der seit dem Jahr 1978 in Hellabrunn arbeitet, nun auch seit ein paar Jahren Löcher. Viele kleine Löcher, mit System.

"Mir war immer klar: Förster oder Tierpfleger."

Zametzer hat einen dieser Lebensläufe, bei denen man hinterher oft sagt: War ja klar. Der 62-Jährige stammt aus Krefeld, dann ging es "ins Schwabenländle", und egal, wo er lebte, es gab immer Tiere daheim. In seiner ersten eigenen Wohnung hatten die mehr Platz als er selbst. "Mir war immer klar: Förster oder Tierpfleger."

Es verschlug ihn nach Rosenheim, und in seinem Slang hört man, dass er nirgends lange war. Kein Dialekt ist übrig, dafür noch immer viel Energie für seinen Job. Er bewarb sich aus Rosenheim naheliegenderweise in München, bekam einen Platz, war zunächst nach der dreijährigen Lehre neuneinhalb Jahre bei den Antilopen und Zebras, dann eineinhalb Jahre Springer, also für verschiedene Bereiche und Tierarten zuständig, dann 20 Jahre Chef im Raubtierhaus und danach wieder hierher, das war aber auch schon 2013.

"Diese Hände haben schon auch mal einen Tiger gekrault", sagt er. Entscheidend ist bei einem Tierpfleger die ruhige Hand. Es ist eben wie bei einer forkelnden Antilope. Man muss Ruhe und Autorität ausstrahlen, jedem Tier zeigen, dass man ranghöher ist. Da darf die Hand halt nicht zittern. Und beim Bohren besser auch nicht.

Wofür braucht man beim Löcherbohren Gefühl in den Händen? Da lacht Zametzer. (Foto: Mark Siaulys Pfeiffer)

Sieben bis acht Zentimeter tief, im Durchmesser von drei bis acht Millimetern, für verschiedene Bienenarten. Und dann fragt man sich irgendwie schon: Wofür braucht man beim Löcherbohren Gefühl in den Händen? Zametzer lacht. Man könnte jetzt sagen: Diese antrainierte Souveränität beim Umgang mit den Tieren hat er auch bei den eigenen Artgenossen. Das stimmt schon. Es ist aber auch ein Teil baumfällerhafte Herzlichkeit dabei. Und so lässt man sich gerne belehren, was bei so einem Loch alles relevant ist. Viel.

Man muss das richtige Holz nehmen, Pappel oder Weide sind zu weich, Eiche und Buche sind besser. Man darf nicht auf der Stirnseite bohren, weil sonst die Löcher aufreißen. Man darf die Löcher nicht zu nah aneinander bohren. Und natürlich, das gilt überall im Zoo: Alles muss sauber sein. "Ist ein Holzspreißel noch am Rand, geht die Biene nicht rein, sie würde sich ja die Flügel zerreißen." Auch da gilt, wie so oft, die Perfektion kommt aus der Natur. "Käfer können die besten Löcher bohren."

Man muss sie dann abschleifen, das Sägemehl rausschütteln, ein Dach bauen, nie zur Wetterseite drehen. 10 000 Bienenplätze hat Zametzer schon gebohrt, und die Quote der Belegung gibt ihm recht. Die Wildbienen fühlen sich bei Zametzer und seinen sanften Pranken offenbar genauso wohl wie Yuma.

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