Musical und Oper:Lust und Leid - und eine gefräßige Pflanze

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Kontrolle und Gehorsam: Die "Rote Laterne" bringt die Klasse Oper/Musiktheater der Theaterakademie August Everding im Prinzregententheater zur Aufführung. (Foto: Jean-Marc Turmes)

"Der kleine Horrorladen" und die "Rote Laterne": Der Nachwuchs der Theaterakademie August Everding stellt Masterclass-Stücke im Prinzregenten- und im Deutschen Theater vor.

Von Sabine Leucht

Ja, die Natur! Man kann Raubbau an ihr betreiben, bis sie sich ihrer Raubbauer entledigt. Man kann sie schützen und sich von ihr Heil und Segen erhoffen. Aber man kann sich auch mächtig in ihr täuschen. Doch stopp! Kann die "abartige" oder "ganz außergewöhnliche Pflanze", die der von Delia Bauen gespielte Seymour als Kundenmagnet ins Schaufenster von Mr. Mushniks Blumenladen stellt, noch als Natur bezeichnet werden? Oder ist sie eher eine Art Frankensteins Monster in Pflanzengestalt, das seinem Erfinder über den Kopf wächst?

In der Inszenierung der Musical-Masterclass der Theaterakademie August Everding sieht "Audrey II" anders als in Frank Oz' Film von 1986 nicht wie eine anthropomorphe Kreuzung zwischen fleischfressender Pflanze und warziger Avocado aus, sondern ähnelt zumindest anfangs eher einem kleinen giftig-türkisfarbenen Kaktus, der mit pinkfarbenen Stacheln sticht sticht sticht. Und nicht nur das. Fans des Kultmusicals "Der kleine Horrorladen" wissen, dass die paar Tropfen Blut, die Seymour ihr nicht ganz freiwillig opfert, nur der Anfang sind. Was folgt, ist mörderisch, gemein und eine Fetzn-Gaudi für alle, die es trashig mögen.

Zum 40. Bühnenjubiläum des von Alan Menken und Howard Ashman geschriebenen Broadway-Musicals, das auf ein B-Movie von 1960 zurückgeht, versuchen sich die Master-Studenten des Musical-Fachbereichs an einer Art Kammerspiel-Version des Klassikers. Premiere ist am 19. März im Silbersaal des Deutschen Theaters, mit dem die Theaterakademie die jährliche Reihe "Masterclass im Silbersaal" koproduziert.

Bereits einen Tag zuvor feiert die Masterklasse Musiktheater/Operngesang im Prinzregententheater Premiere. Das Münchner Rundfunkorchester begleitet die deutsche Erstaufführung von Christian Josts Oper "Rote Laterne", deren Titel spontan eher an Tantra-Massagen denken lässt, jedoch auf der Erzählung "Wives and Concubines" des chinesischen Schriftstellers Su Tong basiert. Die beklemmenden und letztlich in eine Katastrophe mündenden Erlebnisse der vierten Ehefrau des Master Chen sind vor allem durch das düstere Film-Meisterwerk von Zhang Yimou aus dem Jahr 1991 bekannt geworden. Jost, der große internationale Orchester dirigiert und dessen Werke sonst Häuser wie die Oper Zürich, die Wiener Philharmoniker oder das Shanghai Chinese Orchestra zur Aufführung bringen, steuert nicht nur seine magische, ins Albtraumhafte lappende Musik und Dramaturgie bei, sondern wird den Abend auch musikalisch leiten. Regie führt der Leiter des Studiengangs Balázs Kovalik.

Mit dem "kleinen Horrorladen" stellt sich die Musicalklasse der Theaterakademie im Deutschen Theater vor. (Foto: Lioba Schöneck)

Die Regie beim "Horrorladen" übernimmt zum zweiten Mal in Folge ein Regiestudent der Theaterakademie. Benjamin Truong hätte bereits 2021 die Stückentwicklung "Palast des Lächelns" auf die Bühne bringen sollen, die dann coronabedingt ausfiel. Umso größer ist die Vorfreude auf die neue Premiere, die die Kräfte der diversen Studiengänge bündelt.

Der Bretterverschlag Marke Geräteschuppen, den traurige Blumentöpfe mit Grünzeug im Staubfänger-Look zieren, stammt wie die (bei der inoffiziellen Sneak Preview noch nicht gezeigten) Kostüme von den Bühnenbild-Studierenden Esther Abdelghani und Onno Gaissmaier und lässt den Choreografien von Anastasia Andreeva nicht besonders viel Platz, die wie der Regisseur selbst vom Hip-Hop-basierten Freestyle kommt, und die sich auch für diese Arbeit von urbanen und zeitgenössischen Tanzformen inspirieren ließ. Und so heutig wie die Bewegungen sollte auch der Umgang mit den Figuren sein. Darum fließt vor dem Blumenladen ein "Soul-Girl" wie Dalis geschmolzene Uhr von einer Bank, vor der sich ein zweites in einer grotesken Po-zum-Himmel-Stellung eingeruckelt hat, während drinnen drei alte Telefone und eine Registrierkasse die Achtzigerjahre zitieren. Der Kontrast zu dem Schwung, der durch die Körper geht, wenn sie "Blumenshop" auf "Bop She Bop" reimen und sich den Frust über das Dasein in der "Skid Row" von der Seele tanzen, "wo's nach Armut stinkt", könnte kaum größer sein.

Eine große Klassismus-Debatte wird der auch musikalisch abgespeckte Abend - statt des großen Rock'n'Roll-Musicals mit entsprechender Besetzung gibt es hier nur den musikalischen Leiter Christoph Weinhart am Klavier und Anton Roters an der Violine - wohl kaum aufmachen. "Wir haben aber unsere eigene Farbe gefunden", verspricht Dramaturgin Katharina Engel. Die schlägt sich unter anderem in den "musikalischen Besonderheiten" nieder, die Engel geheimnisvoll ankündigt und die damit zu tun haben, dass sich die zunächst schwer verkäuflichen Pflanzen selbst in dieser Version des Kultmusicals auf eine besondere Weise äußern. Warum eine von ihnen wie Daft Punk klingt (und darum nicht gekauft wird) und wie Audrey II aussieht, wenn ihre Darstellerin Danai Simantiri gierig "Gib's mir!" singt, wird nicht verraten.

"Rote Laterne", Premiere: 18., März, 19.30 Uhr, bis 22. März im Prinzregententheater; "Der kleine Horrorladen", Masterclass im Silbersaal des Deutschen Theaters, 19. bis 28. März, jeweils 20 Uhr

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