Thalkirchen:Wider die Spekulation

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Initiatoren einer neuen Wohnform: York Runte und Agnes Becker. (Foto: Florian Peljak)

Die Mitglieder der Initiative "El Caracol" wollen auf einem städtischen Grundstück an der Fraunbergstraße ein sozial gerechtes und selbstverwaltetes Wohnprojekt realisieren. Die Reaktion der Lokalpolitik ist eher verhalten

Von Jürgen Wolfram, Thalkirchen

Sie nennen ihre Initiative "El Caracol", die Schnecke. Rückschlüsse auf das Tempo, in dem diese Fraktion des Vereins "Selbstbestimmtes Wohnen" ein Vorhaben in Thalkirchen verwirklichen möchte, sollte man von ihrem Namen jedoch nicht ableiten. An der Fraunbergstraße hat die Gruppe einen der attraktivsten Leerstände in München ausgemacht und würde dort nur zu gern bald ein "gemeinschaftliches, sozial gerechtes und selbstverwaltetes" Projekt aufziehen. Durch hohe Eigenleistungen, etwa die Übernahme der Hausverwaltung durch die Mitglieder, könnten die Kosten im Zaum gehalten und Kaltmieten von zehn Euro erreicht werden, stellt "El Caracol" in Aussicht. Leitgedanke: "Grund und Boden dauerhaft der Spekulation zu entziehen."

Auf dem Grundstück an der Fraunbergstraße 4 hatte bis vor ein paar Jahren ein Rolladen- und Jalousienbetrieb seinen Sitz, heute gehört es der Stadt München. Die hielt das Areal zunächst als Standort für den Bau einer Kindertagesstätte in Reserve. Doch der Bedarf an Kita-Plätzen ist mittlerweile an anderer Stelle gedeckt worden. "Dadurch bietet sich an, das Gelände für ein genossenschaftsähnliches Wohnprojekt zu nutzen", sagt York Runte, einer der Initiativensprecher. Würden zukünftig dennoch weitere Kita-Plätze gebraucht und ein Laden oder eine Werkstatt, die in Thalkirchen noch fehlen, könne sich seine Gruppe auch eine kombinierte Lösung vorstellen: "Ergänzungen wären sogar erwünscht." Groß genug sei das Grundstück, auf dem derzeit noch ein Firmengebäude sowie mehrere Schuppen stehen, dafür allemal. Dem Kommunalreferat habe man bereits eine Kooperation angeboten. So sei beispielsweise auch denkbar, das kommunale Grundstück in Erbpacht zu übernehmen.

Runte und seine Sprecherkollegin Agnes Becker haben ihre Pläne kürzlich auch dem Bezirksausschuss (BA) Thalkirchen-Obersendling-Forstenried-Fürstenried-Solln vorgestellt. Die Reaktion war eher verhalten - erst mal müsse geprüft werden, ob die Stadt das Areal an der Fraunbergstraße nicht doch weiterhin als Ersatzstandort für Einrichtungen der Kinderbetreuung braucht, sagte Michael Kollatz (SPD), Sprecher des BA-Unterausschussers Bau und Planung. Schließlich sei Thalkirchen seit Jahren ein Brennpunkt der baulichen Nachverdichtung. Letztlich müsse das Planungsreferat entscheiden, wie es weitergeht. Der BA könne "wenig in Aussicht stellen". Nach der Sitzung wunderte sich Agnes Becker über die "unklare Haltung" des Gremiums: "Warum ärgern die sich nicht darüber, dass in einem potenziellen Wohngebiet seit Jahren überhaupt nichts passiert?"

Die Projektinitiative hat sich nicht entmutigen lassen und plant mit Elan weiter. Denn Runte, Becker und ihre Mitstreiter glauben, gute Argumente für ein "nichtkommerzielles, gemeinschaftliches Wohnen" zu haben. Gemeinsame Nutzung sei generell ein Trend, da ist sich York Runte sicher. Aber vor allem wolle man die Türen für Menschen aller Altersgruppen und Einkommensschichten öffnen. Mehr als Geld sei Engagement gefragt, die interessierte Mitwirkung bei allem, was die Wohngemeinschaft angeht. Jeder Beteiligte soll sich "ohne Zwang", nach seinen Wünschen und Fähigkeiten in das Projekt einbringen. Regelmäßige Versammlungen für Eigentümer und Mieter dienten als Plattform für den Austausch. Viele Vereinsmitglieder hätten bereits einschlägige Erfahrungen, überdies tausche man sich intensiv mit genossenschaftlich organisierten Projektträgern aus wie etwa der Wogeno. "Man muss das Rad ja nicht unbedingt neu erfinden", meint Runte.

Das Kapital kommt für das Modell von "El Caracol" primär in Form von Direktkrediten aus dem Freundeskreis der Organisation. Nur das Grundstück könne man nicht auch noch bezahlen, das müsste die Stadt in irgendeiner Vertragsform zur Verfügung stellen. Im Gegenzug verspricht die Initiative "genau jene soziale Durchmischung", die München sich wünsche. Runte und Becker versprechen ferner den Thalkirchnern eine gute Nachbarschaft, ein Miteinander, das bis zur Erörterung stadtteilspezifischer Verbesserungsvorschläge reicht. "Wie in einem Dorf sollen unterschiedliche Lebensbereiche zusammengeführt werden und Vereine ihre Ideen umsetzen können", heißt es im Konzept von "El Caracol". Eventuell ließe sich ein runder Tisch organisieren, an dem die Bürger Thalkirchens ihre Belange diskutieren. Mit Einkommensgrenzen werde man "elastisch umgehen", damit auch Geringverdiener und sogar Hartz-IV-Empfänger nicht ausgeschlossen bleiben, verspricht die Gruppe. "Wir planen ein soziales, einfaches Wohnprojekt, keinen vornehmen Salon", so Runte.

Der Initiativensprecher selbst wohnt mit elf anderen Bewohnern bereits in einem vergleichbaren Haus im Münchner Westend. Unter anderem ein Kfz-Mechaniker, eine Ärztin, Studenten und ein Arbeitsloser bildeten dort eine gut verträgliche Wohngemeinschaft. Ihr Konzept sei flexibel und berücksichtige familiäre Bedürfnisse ebenso wie im Bedarfsfall eine altersgerechte Ausstattung. Zur Gesinnung des Vereins "Selbstbestimmtes Wohnen" gehöre ebenso, dem Fahrrad, Car-Sharing-Konzepten und dem öffentlichen Personennahverkehr den Vorzug vor Privatautos zu geben. So lasse sich möglicherweise ein akzeptabler Stellplatzschlüssel vereinbaren.

Ziel der Projektinitiative ist nicht zuletzt die Mitgliedschaft im "Mietshäuser Syndikat", einem nationalen Verbund autonomer Hausprojekte. Unter dem Motto "Selbst organisiert wohnen, solidarisch wirtschaften" dominiert in dem Syndikat der "kollektive Wunsch, selbstbestimmt in bezahlbaren Räumen zu leben, ohne dass irgendwann die Zwangsräumung oder Abrissbirne winkt". In diesem Geist sind bereits mehr als 70 Projekte und 23 Projektinitiativen verflochten. Die Kooperation reicht von der Beratung bis hin zu einem finanziellen Solidarfonds. Humor haben sie auch beim "Mietshäuser Syndikat". Der Titel einer ihrer Broschüren: "Rücke vor zur Schlossallee".

© SZ vom 19.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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