Thalkirchen:So lebt es sich in einer Groß-WG

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Dienstag ist Putztag, und zum Abschluss schaut die ganze Runde dann "Game of Thrones". (Foto: Florian Peljak)

Sieben Bewohner, drei Kaninchen: Wer mit vielen Leuten unter einem Dach wohnt, muss Kompromisse machen. Aber wie viele verträgt man?

Von Carolina Heberling

Ein ockerfarbenes Einfamilienhaus. Auf dem Esstisch steht ein Strauß frischer Blumen. Hinten im Garten: eine himmelblaue, akkurat gestrichene Laube wie aus Omas Zeiten. Es ist ruhig hier an der Alfred-Schmidt-Straße. So ruhig, dass man morgens mit etwas Glück das Trompeten der Elefanten aus dem nahegelegenen Tierpark Hellabrunn hören kann. Ein guter Ort, um Kinder groß zu ziehen.

Doch hier wohnt keine Familie. Hier wohnt Lukki, 24. Dunkle Haare, voller Bart, einnehmendes Lachen. Ein Typ, der einiges studiert und manches davon wieder verworfen hat. Erst Jura, dann Grundschullehramt, aktuell Werbepsychologie und Geschichte. Viereinhalb Jahre ist es her, da überließ sein Vater ihm das Haus, in dem er aufwuchs. Viereinhalb Jahre, in denen der Garten verwilderte und sich im Flur die Schuhe stapelten, denn seitdem lebt Lukki hier mit seiner WG.

Sieben Leute unter einem Dach. An der Tür zum Haus stehen zwei Worte: "Die Basis". Es ist der Name, den sich die Bewohner selbst gegeben haben. Die WG als Basis für das Leben.

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Sieben Persönlichkeiten mit ganz eigenen Vorstellungen vom Leben. Das erfordert Toleranz. Doch wird man mit der Zeit spießiger, wenn wieder mal keiner putzt? Wenn irgendwer mittags besoffen heimkommt, die zehn neuen besten Freunde aus dem Harry Klein im Schlepptau?

Es ist ein lauer Dienstag im Juni. Lukki und seine Mitbewohner hocken mit einem Bier an einem verwitterten Gartentisch. Sie sind etwas erschöpft, denn Dienstag ist Putztag. Da säubert jeder einen Bereich: Küche, Gang, Wohnzimmer, Esszimmer oder das Klo. Wenn alles fertig ist, wird gemeinsam die neue Folge von "Game of Thrones" geguckt.

Leo, der 24-jährige Physikstudent mit dem roten Haar, hat dieses Ritual eingeführt. "Als wir eingezogen sind", sagt Lukki, "gab es die Regel: Wen etwas stört, der räumt es weg. Dann hatten wir eine Zeit lang sogenannte Aufpasser, die jeden ermahnt haben, dass er sein Zeug nicht aufräumt. Aber da ist einer mal so richtig ausgerastet, das ging also auch nicht."

Besonders nach großen Partys sah es wüst aus. Und Partys gehören in Lukkis WG dazu. Im ersten Jahr habe man jede zweite Woche gefeiert, erzählen die Bewohner. Im eigenen Partykeller mit professionellem DJ-Pult, oft mit mehr als 100 Gästen bis in die Morgenstunden. Legendär, das Wort fällt öfter, wenn es um diese Feiern geht.

"Anfangs waren wir wie eine Kommune", sagt Lukki, "wir haben alles miteinander geteilt." Moe ergänzt: "In den ersten Monaten hatten wir nicht einmal Internet. Das war gut, um eine Gemeinschaft zu werden." Der 24-Jährige hat früher hier gewohnt und ist an diesem Abend als Gast da.

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Die Partys gibt es immer noch. Nur nicht mehr alle zwei Wochen, eher einmal im Monat. Die Familienmöbel wurden inzwischen größtenteils ersetzt, jeder hat ein Stück eigenes Wohngefühl mitgebracht. Wem der Trubel im Haupthaus doch mal zu viel wird, der zieht sich zurück in die Gartenlaube, ein Ort der Stille inmitten von selten gemähtem Gras.

Vergangenes Jahr haben die Bewohner sie aufgestellt. Solche Veränderungen seien nötig, um frischen Wind ins WG-Leben zu bringen, auch wenn das für manche gar nicht so einfach ist, sagt Lukki. "Jeder Gegenstand hier hat Geschichte"; sich davon zu trennen, fällt manchmal schwer.

Vor nicht allzu langer Zeit haben sie sich Kaninchen angeschafft. Mehmet Scholl, Eleonore von Aquitanien und Lorenzo von Matterhorn hoppeln in einem Freiluftgehege durch den WG-Garten. Jeder kümmert sich ein bisschen. Ob sie spießiger geworden sein über die Jahre? "Nein, nicht wirklich", sagt Lukki. "Na ja", entgegnet Leo, der gerade den Beamer anmacht, "das heute ist schon spießig. Erst mit dem Swiffer geputzt und jetzt Fernsehen." Spießig sein hat auch seine schönen Seiten.

Es gibt eigentlich kein Thema, bei dem die Basis-Bewohner einer Meinung sind. Sie necken einander. Machen sich lustig darüber, wie einer der Mitbewohner immer die Klotür offen lässt. Erzählen, wie sie sich mal alle kollektiv die Haare abrasiert haben. Packen die Anekdote aus, wie Leo für zwei Kästen Bier den ganzen Faust auswendig lernte und in der U-Bahn vortrug.

Viereinhalb Jahre WG, da kommt viel zusammen. Circa 20 Leute haben hier gewohnt, nicht an alle erinnert man sich mit der gleichen Begeisterung. Was macht man, wenn jemand des Öfteren die Miete prellt? Wenn einer der Mitbewohner ein schwerwiegendes Drogenproblem hat?

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Doch zu jedem, egal, ob er hierher passte oder nicht, gibt es die eine Geschichte. Es ist ein bisschen so, als säße man auf der Goldenen Hochzeit eines sehr alten Ehepaars und lauschte der Rede des tattrigen Bräutigams. Und jeder hat seine Charakterisierung weg. Melissa zum Beispiel: "Also die ist schon die Mama in der WG, weil sie Sachen in Angriff nimmt. Die hat zum Beispiel das Gartenhaus gebaut."

Man merkt, sie kennen einander gut. Einige der Bewohner sind sogar gemeinsam zur Schule gegangen, viele, die hier einziehen, sind langjährige Freunde des Hauses. Das schweißt zusammen. Kommilitonen, Partner, Freunde - immer ist irgendwer da. "Man muss abends nicht unbedingt rausgehen, um noch ein Sozialleben zu haben", sagt Kaba, 21. Sie hat die Basis über ein WG-Casting gefunden.

Diese Häuslichkeit macht zufrieden. Gemeinsam "Game of Thrones" gucken, das ist nicht das große Abenteuer an einem Dienstag. Doch was macht das schon? Schön ist es, für den Moment. Nur: "Auf die Dauer mit einem Vollzeitjob hier zu wohnen, ginge nicht", sagt Ex-Mitbewohner Moe. "Mit 40 würde ich auch nicht mehr in einer WG wohnen wollen", stimmt Kaba zu. Lukki sieht das anders: "Ihr seid doch wie meine Familie."

© SZ vom 16.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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