Teufelsrad auf dem Oktoberfest:Archaische Attraktion

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Zähe Luder auf der Drehscheibe: Frauen vergnügen sich beim Ritt auf dem Teufelsrad. (Foto: dpa)

"De kennan lang sitzen, des san schließlich Beamte": Im Teufelsrad kriegt jeder sein Fett weg. Doch so sehr Rekommandeur Wiggerl auch schimpft und beleidigt, die Deppen kommen immer wieder.

Von Eva Limmer

Sie hat es nicht kommen sehen, als der Helfer sie mit dem Lasso vom Teufelsrad runterzog. Nun steht sie da und zeigt ihrer Freundin die Wunde auf ihrer Hand, eine Träne in den Augen. Das Seil hat Brandspuren hinterlassen. Wenig später spuckt an gleicher Stelle ein schmächtiger Junge in ein Taschentuch und fährt sich über die blutverkrustete Nase.

Am Zelteingang vor Feldls Teufelsrad sammeln sich die Verwundeten.

Das Geschäft ist eine der ältesten Attraktionen auf dem Oktoberfest - und eine der archaischsten. Wer Eintritt zahlt, kann zuschauen, wie sich ein bis zwei Dutzend Leute auf ein drehende Scheibe stürzen. Sieger ist, wer es am längsten dort aushält, wenn sie sich zu drehen beginnt. Zu gewinnen gibt es nichts, außer ein paar Minuten Ruhm.

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Und eines ist sicher: Wer sich auf das Teufelsrad wagt, geht nicht nur mit blauen Flecken aus der Arena. Rekommandeur Ludwig Kugler, genannt Wiggerl, schlägt auch verbal zu. Mit blauer Samtweste thront der Neffe der Teufelsrad-Besitzerin auf dem Podium über der Arena, wie ein Richter. Ob Held oder Depp - darüber entscheidet er.

"Ned jeder, der im Sitzen bieselt, ist auch eine Frau"

Bubenrunde auf dem Teufelsrad. Zwanzig Knaben zwischen elf und 17 Jahren hocken auf der Scheibe, zwicken und schubsen den Nachbarn, damit er von der Scheibe fliegt. Wiggerl hat da subtilere Methoden. "Wer von euch geht denn aufs Gymnasium, beide Hände hoch?", fragt er und grinst diabolisch. Zwei Jungs reißen die Hände hoch - und zack, schon zieht es sie von der Scheibe. Wiggerl: "Komisch, dass ihr auf'm Gymnasium seids." Das Publikum johlt, die Jungs gucken bedröppelt. Obwohl Wiggerl sie gerade vor gut 150 Zuschauern blamiert hat, hüpfen sie bei der nächsten Runde wieder als Erste auf die Scheibe.

Wer auf dem Teufelsrad bestehen will, muss geschickt sein, kühn, stark und clever, denn hier lautet das Prinzip: jeder gegen jeden. Jubel für die, die den Nachbarn rauskicken. Fairplay? Fehlanzeige. Dabei geht es eigentlich um die Ehre. Und auf die hat Wiggerl es abgesehen.

Ob gegen 50-jährige Damen oder Grundschüler - die bairischen Kraftausdrücke des Rekommandeurs sitzen. Ein Mann, der mit blutender Nase von der Scheibe segelt, kriegt zu hören, dass sein Zinken vorher auch schon nicht schön war. Zu den vier Polizeibeamten, die gerade auf dem Rad Platz genommen haben, sagt er: "Werds seng, de kennan lang sitzen, des san schließlich Beamte." Füllige Mädchen fragt er gerne, was sie daheim alles zu essen kriegen. Männer, bei denen die Lederhose ein wenig spannt, nennt er "gwampert". Wenn sich bei einer "Blondinen-Runde" zwei Italiener unter die Frauen drängeln, wird er böse. "Etz hau ab, du schwule Ananas. Ned jeder, der im Sitzen bieselt, ist auch eine Frau."

Auch vor dem Alter hat Wiggerl keinen Respekt. "Geh weida Mama, geh mit deim Oidn mid, der gfreid se doch", sagt er zu einem älteren Pärchen, das gerade darüber diskutiert, ob es aufs Rad will oder nicht. Die Frau mag nicht, ihr "Oida" setzt sich in die Scheibenmitte. Nach und nach kullern die silberhaarigen Herren von der Scheibe, zwei bleiben übrig. Zum Einsatz kommt nun: ein grün-roter Ball. Er donnert wie eine Abrissbirne auf die Rentner nieder. "Mama, bist du immer no do?", schreit Wiggerl. "Bist a zaches Luada." Die Zuschauer grölen, klatschen für die "Mama". Als sie von der Scheibe brettert, rutscht ihr Dirndl hoch, darunter: ein hellblauer Schlüpfer. "A saubane Unterhosn host o, Mama", sagt Wiggerl.

Von außen wirkt es etwas unscheinbar, das "Teufelrad". Aber innen geht es archaisch zu. (Foto: Stephan Rumpf)

Material für den Deppenhaufen

Männer sind bei Wiggerl grundsätzlich "Deppen" oder "Damische". Die Deppen kommen besonders gerne zu später Stunde, dann bilden sie immer größere "Deppenhaufen", Türme aus Lederhosenträgern. Bei so einer Männerrunde reißen Hosenträger, springen Trachtenknöpfe davon. Frauen dagegen versuchen ihr Dirndl als Unterhosen-Sichtschutz zwischen die Beine zu klemmen.

Gegen zehn kommt es noch einmal zum Showdown auf dem Teufelsrad. Denn hin und wieder wird auch geboxt auf der rotierenden Scheibe. Diesmal: Rosenheim gegen Heimstetten. Rosenheim läuft athletisch in seiner speckigen Lederhose auf das Teufelsrad. Heimstetten rumpelt vorwärts und knallt dann rücklings auf den Boden. "Wir wollen koan Pausenhofkampf sehen", brüllt Wiggerl. Die Kontrahenten springen erneut aufeinander zu, Rosenheim weicht einem Haken von Heimstetten geschickt aus. Der verliert wieder das Gleichgewicht und fällt der Länge nach hin. Wiggerl bescheinigt den Amateur-Boxern "völlige Untauglichkeit" und erklärt den "beschissenen Kampf" für unentschieden. Eine Schmach für beide, die die Handschuhe mit hängenden Schultern zurückgeben und Pfiffe aus dem Publikum ernten.

Trotz Beleidigungen und Blessuren stehen die Wiesn-Besucher an der Kasse Schlange. In den Zelten ist schon Schankschluss, als ein Betrunkener nach dem Weg zum Teufelsrad fragt. Passanten zeigen hinter ihn auf den rot-blinkenden Schriftzug. Er torkelt in Richtung Kasse. Unbedingt will er noch reingelassen werden. Als Material für den Deppenhaufen wäre er sicher gut genug.

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