Wiesn und Wasen im Vergleich:Sirtaki mit Schwaben

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Beim Schunkeln mit Schwaben im Göckelesmaier. (Foto: Martin Stollberg)

Was unterscheidet den feiernden Schwaben vom feiernden Bayern? Zunächst einmal ein Minderwertigkeitskomplex - findet unser Wiesn-Reporter auf dem Stuttgarter Wasen. Ein interkultureller Vergleich.

Von Franz Kotteder

War ja klar. Der Fotograf, den einem die Kollegen von der Stuttgarter Zeitung mitgegeben haben, taucht von seiner Tour durchs abendliche Wasen-Lichtermeer exakt dann wieder auf, wenn man selber mit einem nicht näher bekannten Schwaben auf einer Bierbank steht und den Sirtaki aus "Alexis Sorbas" tanzt. Natürlich grinst der Fotograf jetzt dreckig und drückt auf den Auslöser. War ja klar.

Was unterscheidet den feiernden Schwaben vom feiernden Bayern? Zuerst einmal, das muss man ganz hart so sagen, ein Minderwertigkeitskomplex. Wo man auch hinkommt, mit wem man auch spricht über Wiesn und Wasen: Stuttgarter vergleichen sich automatisch mit dem anderen großen Volksfest und ziehen eilfertig den Kürzeren. Nur die Wasen-Veranstaltungsgesellschaft "in.Stuttgart" eröffnet ihre Wasen-Broschüre tapfer mit dem Gruß: "Willkommen beim größten Schaustellerfest".

Was ja im Klartext nichts anderes heißt als: In München gibt's mehr Fläche (fast doppelt so viel), mehr und größere Bierzelte, mehr Buden, mehr Bier und mehr Besucher. Aber bei den Schaustellern sind wir ganz gut mit dabei. Was allerdings auch nur stimmt, wenn man den prozentualen Anteil am Festgelände als Maßstab wählt und nicht die absolute Zahl, aber mit solchen Feinheiten lassen sich keine Werbesprüche klopfen.

Statistik
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Wie viele Besucher hat der Wasen? Und wie viel Bier wird hier getrunken? Die Statistik zum Stuttgarter Volksfest.

Kommt man als Münchner dieser Tage am Stuttgarter Hauptbahnhof an, so ist man erst einmal froh, dass das auch für München geplante Konzept des Tiefbahnhofs schon im Vorfeld wegen Geldmangels abgeblasen wurde. Denn was man derzeit von Stuttgart 21 sieht, erinnert eher an Bilder vom Gaza-Streifen als an den Bahnhof einer Landeshauptstadt. Vertraut aber wirken die Mädchen in Plastiklederhosen und Discounterdirndln, die gibt es derzeit geradeso daheim in München.

Überhaupt die Tracht: Sie ist auf dem Wasen noch nicht ganz so verbreitet wie auf der Wiesn und vor allem ein Jugendphänomen. Aber es ist schon absehbar, dass man sich auch in Stuttgart bald wird rechtfertigen müssen, wenn man in normaler Alltagskleidung kommt. Es ist ja nun auch nicht verwunderlich, dass sich die Trends angleichen bei zwei Volksfesten, die so viele Gemeinsamkeiten und Überschneidungen aufweisen wie die Wiesn und der Wasen.

Sogar eine 192-seitige Doktorarbeit ist darüber geschrieben worden (Andrea Hartl: Oktoberfest und Cannstatter Volksfest, Herbert Utz Verlag München). Beide Feste entstanden Anfang des 19. Jahrhunderts als eine Art Stiftung des jeweiligen Königshauses, um den Nationalgedanken zu fördern, und waren von Anfang an mit einer landwirtschaftlichen Leistungsschau verbunden, die noch heute alle vier Jahre abgehalten wird. Beide Feste haben ihr Wahrzeichen: München seine überlebensgroße Bavaria am Rande der Theresienwiese, Stuttgart seine "Fruchtsäule", eine 26 Meter hohe, bunte Holzsäule, deren Spitze ein überdimensionaler Früchtekorb krönt.

Wahrzeichen des Wasn: die sogenannte Fruchtsäule. (Foto: Martin Stollberg)

Sie sieht ein bisschen aus wie die vergessene Kulisse eines italienischen Sandalenfilms der späten Fünfzigerjahre, aber als DDR-Remake. Und wenn sie auch längst von verschiedenen Fahrgeschäften überragt wird - die sind hier übrigens gerne noch eine Nummer größer und höher und nervenaufreibender als in München -, so erfüllt sie doch ihren Zweck als Treffpunkt der Wasen-Besucher.

Ein Zelt wie eine finnische Großraumsauna

Den Gast aus München interessieren natürlich in erster Linie die Bierzelte. Sie haben hier nicht ganz die gleiche Bedeutung und sie sind kleiner als in München. Die fünf großen fassen so zwischen 4000 und 5000 Gästen, in den 16 Münchner Hauptzelten sind eher 9000 die Regel. Nein, mit den Bayern wolle man sich gar nicht vergleichen, sagt Daniela Maier vom Göckelesmaier bescheiden: "Aber wir haben doch auch ein schönes Zelt, oder?"

Das kann man so sagen. Ihr Festzelt ist eine elegante Designer-Hütte mit stilvoller Holzverkleidung und Kaminscheiten als Deko-Element. Man fühlt sich fast wie in einer finnischen Großraumsauna, wenn auch mit bekleideten Menschen. So etwas stünde der Wiesn durchaus auch gut.

In Stuttgart vor allem ein Jugendphänomen und nicht ganz so verbreitet: Tracht. (Foto: Martin Stollberg)

Lustigerweise hat ein Vorfahr der Maiers sein Handwerk bei der Hendlbraterei Ammer auf dem Oktoberfest gelernt und das Hendl, hier Göckele genannt, auf dem Wasen erst eingeführt. Nicht ohne Schwierigkeiten: "Die Stuttgarter haben sich die Hühnerbraterei zuerst zwar gerne angeschaut", sagt Daniela Maier, "aber dann doch wie üblich eine Wurst bestellt." Heute ist das anders, da ist das Göckele längst Wasen-Pflicht.

Ansonsten herrscht architektonisch die Landhauskultur an der Grenze zum Kitsch vor. Eine Ausnahme macht das Fürstenberg-Zelt von Peter Brandl. Der Festwirt hat ein schlichtes, lichtes Zelt hingestellt, das er in neun Wochen mit nur zehn Festangestellten und zwei Fremdfirmen aufbaut. Er kommt aus dem Münchner Vorort Karlsfeld und kennt die Unterschiede zwischen Wiesn und Wasen gut. "Der Schwabe ist ein treuer Patron", sagt er, "es dauert etwas, bis man seine Skepsis überwunden hat." Aber, fügt er hinzu und lacht: "Wenn du ihn mal gewonnen hast, kriegst du ihn nicht mehr los."

Brandl weiß, was er an seinen Schwaben hat. Die feiern auch gerne, aber die Stimmung ist nicht ganz so aufgeheizt wie auf der Wiesn. Was auch daran liegen mag, dass das Wiesnbier mit sechs Prozent Alkohol doch deutlich stärker ist als das Festbier auf dem Wasen und dass die Zelte in Stuttgart nicht ganz so übervoll sind wie in München.

Voll, aber nicht ganz so voll wie die Wiesn in München: Die "Schwabenwelt" auf dem Stuttgarter Wasen. (Foto: Martin Stollberg)

Schwer im Hintertreffen ist Stuttgart freilich, was die Prominenten angeht. Der schwäbische Promi hat es, anders als der bayerische, nicht so mit der Öffentlichkeit. Wo man in München zumindest einen Roberto Blanco, einen Peter Kraus oder die TV-Moderatorin Uschi Dämmrich von Luttitz problemlos auf jede Gästeliste kriegt, tut man sich mit der Schickeria in Stuttgart schwer.

Niemand weiß das besser als Promi-Wirtin Sonja Merz. Sie betreibt das Cannstatter Wasenzelt, eine schwäbische Light-Version von Käfers Wiesn-Schänke oder Kufflers Weinzelt auf dem Oktoberfest. Nicht ohne Grund hat sie sich aus München Eric Pölzl als Betriebsleiter geholt, der diesen Job jahrelang im Weinzelt machte. "Abends ist es hier gut ausgebucht", sagt er, und: "Stuttgart ist am Aufholen." Im Vergleich zu München, natürlich.

"Die Wiesn darf sich warm anziehen!"

Am Dienstagabend ist davon noch nicht viel zu bemerken. Sonja Merz hat zum Charity-Event "Herzrasen - Der Automobiltag mit Herz" in ihr Zelt geladen. Die Prominenz ist eher lokal, immerhin ist ein Herr vom Hockenheimring da, und auch Stuttgarts für Kultur und Bildung zuständige Bürgermeisterin Susanne Eisenmann (CDU) ist gekommen.

Sie sagt forsch: "Die Wiesn darf sich warm anziehen!" Aber dann muss sie selber lachen und meint: "Wenn man sieht, wie der Wasen vor zehn Jahren war, dann ist eine echte Entwicklung erkennbar. Es sind deutlich mehr Touristen da als früher."

Sonja Merz und Eric Pölzl sind so etwas wie die Promi-Wirte auf dem Wasen. (Foto: Martin Stollberg)

Es wird ja auch viel getan, um die Stimmung zu heben: Wenn die Showbands in den Zelten Pause haben, läuft Musik vom Band oder vom DJ, Videoleinwände sorgen für permanente Unterhaltung im gesamten Zelt, man kann sogar mit dem Handy seine Selfies auf die Videowände posten. Technisch ist man da der Wiesn weit voraus.

Was aber macht den Unterschied, warum kommen immer noch gut zwei Millionen Menschen mehr nach München als nach Stuttgart, warum sind es zur Wiesn 30 Prozent Nicht-Bayern, in Stuttgart aber nur etwa vier Prozent Nicht-Baden-Württemberger? Manche Stuttgarter sagen, die Bayern profitierten halt vom saftigen, barocken Lebensgefühl, da könne der pietistische Schwabe nicht mithalten. Manche Münchner behaupten, auf der Wiesn würden Fremde nach dem "Setz-di-her-Prinzip" sofort an den Biertisch gebeten, in Stuttgart sei man reservierter.

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Doch das ist nicht wahr, jedenfalls nicht auf dem Wasen. Denn genau auf diese Weise kam der Münchner in Stuttgart ja auf die Bierbank, um mit einem ihm völlig unbekannten Schwaben Sirtaki zu tanzen. Nach dem Auftritt des Fotografen will der Stuttgarter dann wissen, warum man abgelichtet wurde und staunt: "Ein Münchner kommt extra auf den Wasen, obwohl er die Wiesn hat!" Und bescheiden fügt er hinzu: "Aber mir kennet au feiern! Wenn au net ganz so wild."

War ja klar.

SZ-Redakteur Franz Kotteder ist vor 51 Jahren am ersten Wiesn-Samstag in München geboren worden - er hält dies für den entscheidenden Teil seiner Sozialisation.

Lesen Sie morgen: Was ein Wasen-Reporter auf dem Münchner Oktoberfest erlebt hat.

© SZ vom 02.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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