Schausteller auf dem Oktoberfest:Jahresurlaub für die Wiesn

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Ludwig Kugler ist nicht auf den Mund gefallen: Mit derb-lockeren Sprüchen heizt er die Stimmung im Teufelsrad an. (Foto: Stephan Rumpf)

Das Teufelsrad ist eine der ältesten Wiesn-Attraktionen, und Ludwig Kugler sein Star. Was er und drei andere Schausteller machen, wenn keine Wiesn ist.

Von Thierry Backes, Ingrid Fuchs und Franz Kotteder

Feldls Teufelsrad erfordert ganz eigene Fertigkeiten. Sowohl von den Besuchern, als auch von den Rekommandeuren, die für manche Besucher die eigentliche Attraktion sind. Denn Feldls Teufelsrad ist ein Zelt mit Sitztribünen zur Linken und zur Rechten, in der Mitte befindet sich eine Arena mit einer großen Scheibe, die sich langsam und schnell drehen lässt.

Auf einem erhöhten Sitz befindet sich eben jener Rekommandeur, der bestimmt, wer auf die Scheibe darf und wie lange er dort bleibt. Darum geht es: Sieger ist, wer es am längsten aushält, bis ihn die Helfer vom Teufelsrad mit Seilen und einer großen, an einem Seil hängenden Gummikugel von der Scheibe pflücken.

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:"Kannst du was organisieren?"

Kein vernünftiger Münchner geht am mittleren Wochenende auf die Wiesn - es sei denn, er hat Besuch. Den muss er natürlich ins Zelt bringen. Die Frage ist nur: wie?

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Die Sprüche des Rekommandeurs aber sind Legende. Nirgendwo auf der Wiesn wird man so schwach angeredet, und das ist auch bitter nötig, denn darauf warten die Leute. Einer der besten seines Fachs ist Ludwig Kugler, Mitte 30, der Neffe der heutigen Besitzerin des Teufelsrads, Elisabeth Polaczy. Das Fahrgeschäft ist schon länger in der Familie, die ursprüngliche Besitzerin, eine Frau Feldl, ist damit bis in die Achtzigerjahre hinein durch Deutschland und Österreich getourt. Als sie sich dann zu alt dafür fühlte, ließ sie es nur noch in München aufstellen, und die Familie, die das gute Stück erbte, hielt das ähnlich, weil jeder noch einen anderen Beruf hatte.

So auch Ludwig Kugler, genannt Wiggerl. Der gebürtige Pasinger, der das Münchner Pestalozzigymnasium besuchte, ist im Außendienst einer Tontechnikfirma beschäftigt und berät Tonstudios in ganz Deutschland, was ihre Ausstattung angeht. Zur Oktoberfestzeit aber nimmt er sich vier Wochen Urlaub, um die Leute im Teufelsrad zu unterhalten und ihre akrobatischen Verrenkungen auf der Scheibe zu kommentieren.

Die Kunst liegt vor allem darin, treffende Bezeichnungen zu finden für Leute, die man nicht näher kennt. Aber wenn Wiggerl Kugler sagt: "Hock di hi, du schwule Ananas!", dann weiß man gleich, dass der Typ mit den schlecht blondierten Stoppelhaaren gemeint ist. Am meisten freut sich Kugler, "wenn's mal wieder einen Bus voller Preißen gibt". Da ist schnell Hochstimmung im Zelt, wenn er Witze reißt: "Wenn dann 200 Bayern da sind, dann verstehen 40 nix und 200 alles, das macht einen Riesenspaß." Die Gratwanderung zwischen Gaudi und Beleidigung gefällt ihm, und deshalb sagt er auch: "Solange ich es machen kann, werde ich das weitermachen."

Ulrich Keller hat einen Beruf, der mit Volksbelustigung recht wenig zu tun hat - oder eigentlich gar nicht weiter davon entfernt sein kann. Er ist nämlich Pastoralreferent beim Erzbischöflichen Ordinariat und dort "Fachreferent für Trauer und Trauma". Bevor er diesen Posten übernahm, war der studierte Theologe als Seelsorger in der HIV- und Aidskranken-Hilfe tätig. Und natürlich ist es von dort bis zu einem Fahrgeschäft auf der Wiesn ein eher weiter Weg.

Das scheint aber nur auf den ersten Blick so zu sein. Denn die Hexenschaukel ist ein sehr altes Gerät, das 1894 zum ersten Mal auf der Wiesn war, bis zum Zweiten Weltkrieg. Ein Spezl von Ulrich Keller entdeckte die kaputte Hexenschaukel viele Jahre später in einer alten Scheune in Niederbayern wieder und restaurierte sie. Es wird darin auf verblüffend einfache Weise mit der menschlichen Wahrnehmung gespielt, und ein wichtiger Bestandteil ist der Rekommandeur im Kassenhäuschen, der die Leute anlockt. Für diesen Job hatte Kellers Spezl, als er die Hexenschaukel vor etwa 20 Jahren erneut auf die Wiesn brachte, an ihn gedacht: "Mit Menschen reden, das kannst du doch eh!" Keller ließ sich breitschlagen.

Im normalen Leben ist Ulrich Keller Pastoralreferent. (Foto: Stephan Rumpf)

Im ersten Jahr brachte er es auf insgesamt 200 Stunden Einsatzzeit: "Da weiß man, was man getan hat." Es hat aber andererseits auch großen Spaß gemacht, erzählt er, und so blieb er dabei. Ein paar Jahre später stieg er dann ganz mit ein, und heute ist er also nebenberuflicher Schausteller. Er hat sich inzwischen eine Truppe aus jungen Theologen und Studenten zusammengestellt, die sich mit ihm abwechseln beim Rekommandieren. "Die scharren schon jedes Jahr mit den Hufen", sagt er, "und freuen sich auf die Wiesn. Das hat doch was!"

Abends, wenn die Lederhosen aus den Zelten torkeln, dann bricht er oft über sie herein, der Übermut. Dann stellen sie sich vor dem Toboggan in die Schlange, um ihren Damen zu beweisen, dass sie es - immer noch - draufhaben. Der Toboggan, das ist ein 21 Meter hoher Turm mit einer 40 Meter langen Rutsche. Doch die Attraktion dabei ist das 10,6 Stundenkilometer schnelle Laufband, auf dem sich die Besucher halten müssen, um die Rutsche zu erreichen.

Abends ist nun zu bewundern, mit welcher militärischen Präzision die Ordner Betrunkenen erklären, wie sie auf das Laufband zu hüpfen haben, um sich nicht hinzulegen. Wie sie Hunderte Besucher in einer Stunde hochlotsen und hinter ihnen aufräumen, wenn es sie doch zerbröselt.

Fünf Wochen Schausteller, sonst Berufssoldat: Claus Rudolf Konrad. (Foto: Catherina Hess)

Das ist womöglich kein Zufall. Denn mit Ordnung kennt Claus Rudolf Konrad, 46, sich aus. Wenn er mit seinem Fahrgeschäft nicht gerade auf der Wiesn steht, ist er Berufssoldat in Lechfeld bei Augsburg. Fünf Wochen nimmt er sich jedes Jahr frei, um das Traditionsgeschäft in vierter Generation weiterzuführen, das seit 1933 Jahr für Jahr auf der Theresienwiese steht, seit 1959 sogar ausschließlich hier. Zwei Wochen Aufbau, zwei Wochen Action, eine Woche Abbau. "Außerhalb davon führen wir ein ganz normales Leben", sagt Konrad. So normal das Leben eben sein kann für einen, der seinen kompletten Jahresurlaub auf der Wiesn verbringt. Und das seit Jahren: Konrads Sohn hilft längst aus als Ordner, wenn die Übermütigen aus den Zelten strömen.

Ein Mann, zwei Leben. Von April bis Oktober dreht sich bei Matthias Niederländer alles um die Krinoline. Das 90 Jahre alte Traditionsfahrgeschäft beansprucht seine Aufmerksamkeit, es wird repariert, geschraubt, ausgebessert - bis zur Wiesn muss das Karussell reibungslos laufen. Das Oktoberfest ist das einzige Volksfest, auf dem die Krinoline im Einsatz ist, kleinere Feste rentieren sich nicht mehr, weil die Kundschaft fehlt. Kann man davon leben? Nicht mehr, erzählt der 43-Jährige, die Arbeit sei mittlerweile nur noch ein Zubrot, mal besser, mal schlechter. "Die Krinoline ist eine reine Familienangelegenheit. Wir betreiben sie in vierter Generation."

In den Wintermonaten arbeitet Niederländer als freiberuflicher Dozent in der Erwachsenenbildung. Seine Fachbereiche: IT, EDV und Mathematik. Eigentlich hat er eine Ausbildung zum Bankkaufmann gemacht, musste sich dann aber immer seinen Urlaub für die Wiesn aufheben. Jetzt kann er sich seine Zeit frei einteilen. Wenn er sich für eine Sache entscheiden müsste? Die Antwort kommt ohne Zögern: "Die Krinoline". Schließlich bekomme er von dem Traditionsgeschäft auch viel zurück. "Manchmal singt das ganze Karussell mit, das sind Gänsehautmomente. Man merkt, dass auch die Kunden an der Krinoline hängen. Es gab schon einen Heiratsantrag in einer der Gondeln, das Paar kommt immer wieder vorbei."

Während der Wiesn ist Niederländer das Mädchen für alles, er kümmert sich um Personal, Technik, Verwaltung oder steuert das Karussell selbst. "Natürlich nehme ich von diesen 16 Tagen auch etwas in mein anderes Leben mit. Das Oktoberfest ist eine Schule für den Umgang mit Menschen. Es gibt ja bekanntlich nichts, was es auf der Wiesn nicht gibt."

© SZ vom 26.09.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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