SZenario:Biopics vom Operationstisch

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500 Stunden Material standen für den Dokumentarfilm über Aksel Lund Svindal zur Verfügung. Zur Premiere kam der Skifahrer nach München. (Foto: Stephan Rumpf)

Skifahrer Aksel Lund Svindal zeigt sich bei der Premiere des Dokumentarfilms "Aksel" äußerst unprätentiös.

Von Thomas Becker

Für Luzia, Clara und Carolina hat sich der Sonntagsausflug in die Innenstadt gelohnt. Die drei jungen Mädels vom Alpinen Skiclub Höhenfried aus Pasing strahlen in ihrer Vereinskluft übers ganze Gesicht, als ihr Idol ihnen zu Füßen liegt und Autogramme auf Filmplakate pinselt. Aksel Lund Svindal, der mehrfach gekrönte Ski-König, kommt zwar von der Vertikalen, es macht ihm aber nichts aus, vor seinen Fans auch mal in die Horizontale zu gehen. Dafür ist er erstens viel zu unprätentiös, zweitens zu nett und drittens zu pragmatisch: Wer auf der Bühne eines Filmtheaters wie dem am Sendlinger Tor steht und gerade keinen Autogrammtisch zur Hand hat, kniet sich halt zum Schreiben flott auf den Fußboden, Weltstar hin oder her.

Der im Februar 2019 mit 35 vom Profisport zurückgetretene Norweger ist als zweifacher Olympiasieger, fünffacher Weltmeister und Sieger des Gesamt-Weltcups einer der erfolgreichsten Skirennläufer der jüngeren Geschichte. Beliebt war und ist der Mann aus Oslo aber nicht wegen all der Siege und Medaillen, sondern erstens wegen seines sympathisch-bescheidenen Auftretens, zweitens wegen des unbedingten Bekenntnisses zum Teamgeist, das so weit geht, dass er dem Mannschaftskollegen auch dann noch Tipps gibt, wenn es sich dabei um den ärgsten Konkurrenten um Olympiasieg oder Weltmeistertitel handelt. Und drittens: Wegen seiner nur schwer nachvollziehbaren Widerstandsfähigkeit, die ihn selbst nach den übelsten Stürzen und Verletzungen immer wieder zurückkommen ließ. Insofern nimmt es nicht Wunder, dass ein beträchtlicher Teil des Dokumentarfilms "Aksel", der von 2. Dezember an in den deutschen Kinos läuft, in Krankenhäusern und Arztzimmern spielt.

Biopics nahe am Protagonisten sind gerade schwer angesagt, aber so unverstellt und unmittelbar wie "Aksel" dürfte kein anderes sein. 500 Stunden Material haben die Macher über vier Jahre gesammelt, waren sogar an diversen OP-Tischen dabei, was davon zeugt, wie groß das Vertrauen Svindals in den ewigen Begleiter mit der Kamera war. "Er ist mein Freund", sagt er, "er sieht aus wie 15, wie ein Kind, ist aber total schlau." Da bei Olympischen Spielen alle Bildrechte beim IOC liegen und die Filmemacher keine Akkreditierung bekamen, gab der Kameramann 2018 in Pyeongchang den fröhlich knipsenden Touristen, filmte derweil aber die ganze Zeit. Bei einem Weltcuprennen stellte er sich im Starthaus einmal bildfüllend vor den offiziellen Kameramann des übertragenden Senders - Frechheit siegt. Aber auch modernste Technik kam zum Einsatz: Wenn die Drohne dem Speed-König beim Abfahrtstraining hinterherrast - spektakulärer geht es nicht. Und zugleich nicht unspektakulärer: Wenn Svindal nach einem Weltcup-Triumph in sein finsteres Hotelzimmer kommt, den Knieverband löst und zum Ausstrampeln gleich wieder auf den Hometrainer steigt, ist das an Tristesse schwer zu überbieten. Svindal sagt: "Ski-Weltcup ist wenig Rock'n'Roll, viel normales Leben: Klamotten in die Waschmaschine und ab zum nächsten Rennen."

Auch knapp drei Jahre nach dem Karriereende verfolgt er den Weltcup immer noch minutiös. Als der Film läuft und er draußen im Café Interviews gibt, chattet er zwischendurch mit den Teamkollegen, die gerade in Kanada im Fairmont Chateau Lake Louise sitzen, einem Traum gewordenen Hotel am See. 20 Jahre lang war er da auch immer Ende November, danach Beaver Creek, Val d'Isère, Gröden - immer die gleiche Abfolge, nie etwas anderes. Die bei Touristen beliebte Sella Ronda in den Dolomiten ist er noch nie gefahren, erzählt er, worauf eine Zuschauerin schreit: "Ich mach' dir den Guide!" Immerhin kann er nach all den Verletzungen noch Sport treiben, wenn auch in gemäßigter Form: "Früher habe ich gegessen, bis ich satt war - und dann noch ein bisschen mehr, denn als Abfahrtsläufer brauchst du Gewicht. Jetzt habe ich zwölf Kilo abgenommen und konnte zuletzt sogar joggen gehen - zum ersten Mal seit 2016." Auch das Pasinger Mädels-Trio wird ihm das gönnen, aber ihnen wird es wohl auch so gehen wie den norwegischen Nachwuchsfahrern, die im Film zu Wort kommen. Einer meinte: "Skirennen ohne Aksel? Da fehlt was. Wir brauchen ihn doch als Vorbild!"

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