SZenario:Beschlussfähig

Lesezeit: 3 min

Gedränge, Gespräche, Gebräuche: Warum das Zicklein-Essen des Anwalts Stavros Kostantinidis jede Menge Münchner Entscheider anlockt

Von Philipp Crone

Eine knappe Milliarde schustere ich dir zu", raunt Hubert Aiwanger am Eingang Wolfgang Heckl ins Ohr. Der bayerische Wirtschaftsminister blickt noch einen Moment ernst, dann grinst er breit. Heckl, Direktor des Deutschen Museums und derzeit mit horrend steigenden Sanierungskosten konfrontiert, spielt sofort mit. Er nickt nur kurz. Eine knappe Milliarde ist ja auch das Mindeste. Dann erst klopfen sich die beiden Herren in Anzug am Montagabend in der Reitschule auf die Schultern, lachen breit und machen sich im Gedränge auf zu weiteren ergiebigen Gesprächspartnern. Was passiert hier? Was ist das für ein Abend?

Die zweite Frage ist schnell beantwortet. Der Münchner Anwalt Stavros Kostantinidis lädt seit 13 Jahren kurz vor Weihnachten zum Zicklein-Essen. Was mal mit 30 Gästen begann, ist längst eine der exklusivsten Einladungen der Stadt für 300 Handverlesene. Das bayerische Kabinett kommt in Mannschaftsstärke, der Ministerpräsident spricht, Gastronomen, Unternehmer, Verleger oder Banker sind auf dem Begleitheft notiert, das Kostantinidis mittlerweile auslegt, damit sich alle zurechtfinden. Und sich im Zweifel jederzeit vergewissern können, in welchem erlesenen Kreis sie den Abend verbringen.

Die andere Frage, was hier passiert, ist vordergründig auch sehr einfach zu beantworten: Man isst und spendet. Als Menü gibt es immer das sogenannte Zicklein und gespendet wird an diesem Abend an den Verein Brotzeit von Schauspielerin Uschi Glas, der seit Jahren Frühstück in Schulen anbietet. Aber um zu essen und zu spenden, kommen diese Gäste nicht: Evi Brandl, die eher scheue Vinzenzmurr-Chefin, Alexandra Schörghuber von der vom Bauen bis zum Bier involvierten Schörghuber-Gruppe oder Augustiner-Eigentümerin Catherine Demeter.

Schörghuber sagt: "Man kann hier kurz vor Weihnachten an einem Abend sehr viele verschiedene Menschen treffen." Zum Beispiel auch René Benko, der sich um kurz nach halb acht genauso wie Schörghuber mühsam durchs Gedränge schiebt. Der österreichische Milliardär übernahm unter anderem Galeria Karstadt Kaufhof und nun auch Sport Scheck. "Ich gehe ja kaum auf Abendveranstaltungen", sagt Benko und formuliert damit zugleich seine eigene Exklusivität wie auch ein Lob an den Gastgeber, der es offenbar geschafft hat, ihn doch zum Ausgehen zu bewegen. Aber es schadet eben auch nie, selbst wenn der designierte österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz doch noch abgesagt hat, sich einen Abend lang mit den bayerischen Kabinettsmitgliedern auszutauschen, gerade wenn man wie Benko mit seinem Unternehmen in München so expandiert. Der 42-Jährige lächelt genüsslich, dass sich der Dreitagebart leicht krümmt, und sagt: "Ach, ich treffe hier einfach gerne Bekannte aus München." Davon gibt es reichlich. Vor allem Männer. Anzüge, so weit das Auge reicht, da irritiert das grüne Glitzerkleid von Uschi Glas zwischendrin beinahe.

Wie wichtig vor allem der Beginn des Abends für die Gäste ist, zeigt auch die Zeit, zu der die meisten bereits da sind: deutlich vor der Uhrzeit auf der Einladung. Für beiläufige Gespräche ist der Start entscheidend, wenn man sich die gewünschten Gesprächspartner noch suchen kann und nicht bereits an den Tafeln sitzt, mit Glück oder Pech bei den Nebensitzern.

Kostantinidis hat das elegante Zusammenführen in München perfektioniert, es durch eine Kombination aus Verbindlichkeit und einem absurd guten Gedächtnis geschafft, zu jedem seiner Gäste eine Best-Buddy-Brüderschaft zu etablieren. Hier wird eigentlich nur geduzt. Als es dann doch mal ans gesetzte Essen geht, ruft Kostantinidis auch mit großer Freude seine Gäste vornamentlich zur Ordnung. "Victoria!" mahnt er Frau Swarovski vom gleichnamigen Schmuckunternehmen, die noch im Gang steht und ein "Ich finde aber meinen Platz nicht" ruft. Da hat Aiwanger längst im Stile des frühen Stoibers jede Menge Gespräche hinter sich, immer in nach vorne gebeugter Pose eindringlich auf die Schulterpolster des Gegenüber einredend. Die Aperitifi bleiben auf den Tabletts, keine Zeit und kein Platz für Glühwein-Sprizz. Man muss sich schnell bei den Mitgästen in Erinnerung rufen und die mit Visitenkarten ausgebeulte Hemdtaschen leeren.

Theo Waigel steht am Rand und beobachtet, da ist er nicht der einzige. Er möchte schließlich nicht nur im Heftchen nachlesen, wer noch alles da war, sondern möglichst viele auch begrüßen. Bis Kostantinidis dann auch noch "Alfred!" zur Ordnung ruft, Sauter, früherer Justizminister, und "Gregor!", Biebl, Büroleiter der Staatskanzlei. Es ist eben dieses Kumpelige, mit der Kostantinidis Münchner Entscheider erfolgreich anlockt.

Wahrscheinlich gibt es keinen kürzeren Dienstweg als der zum Zickleinessen vor Weihnachten in die Reitschule. Und wenn Kostantinidis zur Begrüßung sagt: "Wir sind wie immer beschlussfähig", ist das natürlich ein Witz - aber auch sehr wahr.

© SZ vom 18.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: