SZ-Serie: Münchner Schmuckkunst:Eine Klasse für sich

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In kaum einer anderen Stadt leben so viele Goldschmiede und Schmuckkünstler wie in München. Trotzdem finden ihre Arbeiten im öffentlichen Leben nicht die Anerkennung, die sie verdienen. Grund genug, genauer hinzusehen

Von Ira Mazzoni

Manche nennen München die Hauptstadt des Schmucks. Aber der Schmuck - gemeint ist zeitgenössischer Autorenschmuck - ist in der Stadt weitgehend unsichtbar. Wenn, wie in diesem Pandemie-Jahr, die Internationale Handwerksmesse und damit die seit 1959 kuratierte Sonderausstellung mit dem schlichten Namen "Schmuck" abgesagt werden muss, dann fehlt der Stadt ein internationales Publikum, das auffällt, weil es nicht nur ausgewählt gekleidet ist, sondern selbstbewusst Ringe, Broschen oder Ketten trägt, die handwerklich, materiell und ästhetisch so anders sind, dass jeder hinschauen muss. Fällt die Messe aus, bleibt das Straßenbild Münchens irgendwie fad. Eher erregt dann ein außergewöhnliches Ganzarmtattoo Aufsehen als Schmuck, der für ein persönliches Bekenntnis zur Kunst und zum Leben steht.

Dabei leben in kaum einer anderen Stadt so viele Goldschmiede und Schmuckkünstlerinnen und -künstler wie in München. Was hier in Hinterhöfen und Kellerwerkstätten entsteht hat Weltniveau, ist teilweise längst Sammelgut internationaler Kunstmuseen.

Die Klasse für Schmuck und Gerät an der Akademie der Bildenden Künste gilt als eine der erfolgreichsten Ausbildungsstätten. Als Hermann Jünger die Klasse 1972 übernahm, begann dort eine neue Ära für den Schmuck, der seinen Platz in der zeitgenössischen Kunst hat. Von Anfang an war Jüngers Klasse international. Wegen Jüngers Persönlichkeit und seinem unglaublichen Können und Einfallsreichtum kamen Otto Künzli und Therese Hilbert aus Zürich nach München. Die beiden streng ausgebildeten Goldschmiede ließen sich dazu überreden, seine ersten Studenten zu werden. Es kam Erico Nagai aus Tokio, Jan Wehrens aus Maastricht und Daniel Kruger aus Kapstadt. Alle haben sich einen Namen gemacht, viele haben als Lehrende Generationen von Studenten auf ihren Weg gebracht, viele sind des Netzwerkes wegen in München geblieben. Auch Therese Hilbert und Otto Künzli sind dem Akademie-Viertel treu geblieben - weil sie die Stadt, wie sie sagen, nicht auffrisst, wie London oder New York. Aber das ändert sich gerade.

Otto Künzli war Student und später Professor an der Kunstakademie, mit großem Erfolg. (Foto: Miriam Künzli)

Otto Künzli hat in seiner Zeit als Professor für Schmuck und Gerät zwischen 1991 und 2014 viel dafür getan, dass Schmuckkunst in München sichtbarer wurde. Er hat es geschafft, dass Florian Hufnagl zusammen mit der Danner-Stiftung und unterstützt durch Schenkungen von Peter Skubic und der Galerie Spektrum eine hochkarätige Sammlung aufbaute und in der Pinakothek der Moderne implementierte. Aber es gibt immer noch viele, auch regelmäßige Besucher des Staatlichen Museums, die noch nie den Weg in der Danner-Rotunde gefunden haben. Künzli hat mit seinen Studenten verrückte Ausstellungen inszeniert, erstmals 1993 mitten in der Stadt. Zum 200-jährigen Bestehen der Akademie zeigte er 2008 des "Wahnsinns fette Beute" in der Pinakothek der Moderne. Aber danach verschwand die fette Beute wieder weitgehend aus der Öffentlichkeit.

Die Klasse Schmuck und Gerät ist bei Weitem der erfolgreichste Studiengang an der Akademie, hat die seit 2015 dort lehrende Karen Pontoppidan evaluieren lassen. Fast 92 Prozent der Diplomanden der letzten 20 Jahre sind weiterhin in einem künstlerischen Beruf tätig. Viele gehören zur Weltspitze: Etwa die Australierin Helen Britton, die in München lebt und arbeitet. Der enorme Erfolgsquote des Studiengangs mag auch daran liegen, dass alle Bewerber bereits mit einer fundierten, abgeschlossenen Ausbildung, meist als Goldschmied, an die Akademie kommen. Die Klasse für Schmuck und Gerät bietet luxuriöse fünf Jahre Freiheit, seinen eigenen Weg in die Kunst zu finden. Das kann ganz schön anstrengend sein. Und es wird immer anstrengender, weil der Raum für Kunst und Leben in der Stadt immer knapper und teurer wird.

Dennoch, München bietet immer noch viel für die Schmuckkünstler: Preise wie den Danner-Preis, der nächste Woche wieder an eine Schmuckkünstlerin geht, den Bayerischen Staatspreis, den Herbert-Hoffmann-Preis, Förderpreise der Stadt. Es gibt Ausstellungs- und Orientierungsmöglichkeiten in der Galerie Handwerk, in den Räumen des Bayerischen Kunstgewerbevereins und in kleinen, meist versteckten Galerien, die aber immer weniger werden. Die berühmte Galerie Spektrum, von der Schmuckkünstlerin Marianne Schliwinski und ihrem Mann Jürgen Eickhoff 1981 gegründet, musste ihr Geschäft in München schließen und nach Karlsruhe verlagern. Die einen geben aus Altersgründen auf, die anderen, weil der Hinterhof neu bebaut werden soll. So wird die Schmuckkunst in München noch ein wenig unsichtbarer. Anlass genug, neun Schmuckkünstler vorzustellen, die in München leben und arbeiten: Berühmte, Ausgezeichnete und solche, die gerade erst anfangen, sich selbständig zu behaupten. Sie alle sind Botschafter der Kunststadt, die sie kaum wahrnimmt. Das sollte sich - ein halbes Jahrhundert nach der ersten Münchner Schmuckrevolution - ändern. Bevor im November im Stadtmuseum Münchner Goldschmiedekunst des 19. Jahrhunderts den Arbeiten der jüngsten Klasse Schmuck und Gerät gegenübergestellt wird. Dann heißt es MUC/Schmuck.

Hinweis der Redaktion: In einer früheren Fassung wurde nur die Schließung der Galerie Spektrum in ihren Münchner Räumen erwähnt. Diese Schmuckgalerie bestand und besteht weiterhin - allerdings in Karlsruhe.

© SZ vom 08.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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