SZ-Serie: München natürlich, Folge 2:Frühflieger mit Frostschutzmittel

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Flatterhaft: Naturschützer Manfried Siering schaut im Isartal nach Zitronenfaltern. (Foto: Claus Schunk)

Der Zitronenfalter flattert schon an der Isar, wenn die Natur gerade erst aus dem Winterschlaf erwacht

Von Thomas Anlauf

Grausame Frühlingssonne,

Du weckst mich vor der Zeit,

Dem nur in Maienwonne

Die zarte Kost gedeiht!

Ist nicht ein liebes Mädchen hier,

Das auf der Rosenlippe mir

Ein Tröpfchen Honig beut,

So muß ich jämmerlich vergehn

Und wird der Mai mich nimmer sehn

In meinem gelben Kleid.

Der schwäbische Lyriker Eduard Mörike (1804 - 1875) hat in seinem kleinen Gedicht "Zitronenfalter im April" schön den letzten Lebensabschnitt des Schmetterlings beschrieben, der zurzeit durch München flattert. Denn der Falter, der zur Familie der Weißlinge gehört, ist ein echter Frühflieger. "Ich liebe ihn, weil er bei uns der erste frische Frühjahrsbote gemeinsam mit den Leberblümchen ist", sagt Manfred Siering.

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Er ist als Vorsitzender der Ornithologischen Gesellschaft Bayern und stellvertretender Vorsitzender des Bund Naturschutz München exzellenter Kenner vieler Lebewesen der Lüfte. Der Zitronenfalter hat es dem 73-jährigen Naturschützer unter den Insekten besonders angetan. Kein Wunder, denn der Tagfalter wird mit einer Lebensdauer von zwölf Monaten älter als jeder andere Schmetterling in Mitteleuropa. Und er hat einen genialen Trick, wie er selbst eisiger Kälte trotzt.

Denn der Zitronenfalter ist, nun ja, ein wenig aus den Jahreszeiten gefallen. Er fühlt sich auch im Winter ganz wohl, das liegt am eingebauten Frostschutzmittel und eingelagerten Zuckerkristallen, die ihm Kraft im Winter geben. Im Spätherbst futtert er sich noch einmal durch die Gärten und Auen, dann rüstet er sich für die kalte Jahreszeit: Erst pumpt der Zitronenfalter fast sämtliche Körperflüssigkeit heraus, damit auch nichts gefrieren kann. Unterstützt wird der Falter mit der zitronengelben Färbung von seinem körpereigenen Glyzerin, ähnlich wie es beim Auto in der Scheibenwaschanlage verwendet wird. Wenn es dann eisig kalt wird, hängt sich der Zitronenfalter einfach an einen Grashalm oder ein Blatt und hält so lange still, bis ihn die ersten warmen Sonnenstrahlen wieder wecken.

"Ich habe mal einen gesehen, der saß in meinem Garten im Schnee an einer Stechpalme", sagt Siering. "Der lebt seit der Eiszeit bei uns, Kälte spielt bei ihm überhaupt keine Rolle." Die meisten anderen Schmetterlingsarten in der Region - im Münchner Stadtgebiet wurden in den vergangenen 20 Jahren etwa 70 von bayernweit 176 nachgewiesen - überleben den Winter nicht oder machen es sich in Höhlen oder Dachstühlen gemütlich. Dem Zitronenfalter hingegen scheint es egal zu sein, wo er Schneestürme und eisigen Regen über sich ergehen lässt.

Jetzt im Frühjahr sieht man die Männchen an Waldrändern und im Isartal aufgeregt hin und her flattern auf der Suche nach Weibchen, die im Gegensatz zu den leuchtend gelben Männchen etwas blasser aussehen. Haben sich zwei gefunden, geht es schon im April und Mai an die Eiablage. Die Nachkommen werden ausschließlich an Faulbaum und Kreuzdorn abgelegt, daher stammt auch der wissenschaftliche Name Gonepteryx rhamni: Kreuzdorngewächse heißen auf Latein Rhamnaceae .

Zitronenfalter

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(Foto: Marco Einfeldt)

Name: Gonepteryx rhamni Vorkommen: in München leben sie überall dort, wo es Faulbäume oder andere Kreuzdorn-Arten gibt, von deren Blättern sich die Raupen ernähren. Häufig sind sie in Wäldern entlang von Stromtrassen und Rückegassen, etwa im Perlacher Forst, zu finden, aber auch entlang der Isar und der Aubinger Lohe. Besonderheit: Dank eines eingelagerten Frostschutzmittels überstehen Zitronenfalter auch strenge Winter bis zu minus 20 Grad Celsius und beginnen häufig schon im Februar oder März auszuschwärmen. Die Flügeloberseiten sind fast nie zu sehen, weil sie die Flügel in Ruhe zum Sonnen zusammenklappen und sich seitlich wärmen.

Faulbaum und Kreuzdorn kommen relativ häufig in München vor, sie wachsen vor allem an Waldrändern, etwa im Perlacher Forst am dortigen Mugl, im Isartal, am Flaucher und in der Aubinger Lohe. Vor 18 Jahren führte eine Benefiz-Aktion zugunsten der Zoologischen Staatssammlung und des Bundes Naturschutz zu einem erheblichen Zuwachs an Faulbäumen in München: In nur eineinhalb Stunden kauften Naturfreunde 500 Faulbäume, die in der Staatssammlung angeboten wurden. 2002 war also ein gutes Jahr für Zitronenfalter in München. Damals wurde er auch zum Insekt des Jahres gekürt.

Manfred Siering hat an seinem Kreuzdorn im Garten bereits erste Eier der Zitronenfalter an den Knospen entdeckt. Wenn sie Ende Juni letztlich als Schmetterlinge schlüpfen, werden ihre Eltern bereits tot sein, sie sterben direkt nach der Eiablage meist im April oder Mai. Kaum sind die jungen Schmetterlinge an der frischen Luft, werden sie auch schon wieder müde. Sie verschlafen den Hochsommer regelrecht, "erst im Frühherbst Mitte September werden sie wieder munter", sagt Siering. Aber die Falter mit ihrem Frostschutz haben ja dann noch den ganzen Winter vor sich.

© SZ vom 01.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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