SZ-Serie: Gassigedanken, Folge 4:Das Herrchen folgt

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Lassen sich weder von der Hitze, noch den Menschen und ihren aufdringlichen Tieren aus der Ruhe bringen: Heio von Stetten und Josi spazieren am ersten warmen Frühlingstag durch die Isarauen. (Foto: Yoav Kedem)

Der Schauspieler Heio von Stetten und seine Mischlingshündin Josi haben eine gemeinsame Vorliebe für Milchschaum und üben sich in großer Gelassenheit

Von Josef Grübl

Die Sonne brennt gnadenlos auf die Stadt. Die Wege sind staubig, die Schatten lang. Und die Schritte werden immer länger. Mit Wildwestromantik hat das aber wenig zu tun, eher mit dem ersten warmen Frühlingstag in München: "Heute ist es ihr zu heiß", sagt Heio von Stetten und schaut auf seine Begleiterin. Die Mischlingshündin Josi läuft neben ihm her, trotz der Hitze hält sie tapfer Schritt. Vor ein paar Tagen erst sei sie noch durch Schnee gehüpft, erklärt er die latente Lustlosigkeit seiner Hündin, der Temperaturanstieg überfordere Tiere eben mehr als Menschen. Eigentlich heiße sie Josefa, sagt der Münchner Schauspieler, genannt werde sie aber Josi.

Man trifft Herr und Hündin vor einem Café am Roecklplatz, fast sieht es so aus, als ob sie zu dritt spazieren wollten: Doch Josi wird nur von einem aufgeregten Pinscher belagert. Als der Besitzer des Hundes auftaucht und ihn in eine Tasche stopft, dreht sie sich um. "Sie hat schon ihren eigenen Willen", sagt von Stetten, "sie will auch nicht ständig mit anderen Hunden spielen." Bevor man aufbricht, bestellt er noch einen Espresso Macchiato. Seine Hündin schaut erwartungsvoll zu ihm hoch, es scheint ein altes Spiel zwischen den beiden zu sein: Er tupft sanft in den Milchschaum, sie leckt ihn vom Finger ab. Entsprechend gestärkt geht es los, über die Wittelsbacherbrücke hinüber zu den Isarauen, der Stammstrecke für Münchens Hundebesitzer. Überall um Josi herum kläfft, knurrt und keucht es, das schöne Wetter treibt die Menschen eben nicht allein nach draußen. Doch selbst von der geballten Hundemacht zeigt sie sich wenig beeindruckt, unbeirrt läuft sie ihrem Herrchen hinterher.

Sie ist ein auffallend entspanntes Tier - und wenn es stimmt, dass Hunde Charaktereigenschaften von ihren Besitzern übernehmen, muss Heio von Stetten der entspannteste Schauspieler der Stadt sein. Zumindest fehlt ihm die berufstypische Aufgeregtheit, er erzählt auch nicht ständig von tollen neuen Projekten, die man demnächst drehe und die garantiert sämtliche Filmpreise der Welt gewinnen würden. Fast fragt man sich, wie man diesen Mann aus der Ruhe bringen kann. Mit Fragen nach Fans und Fernsehpopularität jedenfalls nicht. Mit den Erfolgsstorys anderer Schauspieler auch nicht: Er nickt freundlich, als man ihm von Kollegen berichtet, die gerade einen Riesenlauf haben. Dafür ist er schon zu lange im Geschäft.

Geboren und aufgewachsen ist er in der Nähe von Augsburg, in einem Ort namens Aystetten. Seine Familie kann einen beeindruckend langen Stammbaum vorweisen, im 16. Jahrhundert wurden die von Stettens ins Augsburger Patriziat aufgenommen. Über Generationen hinweg hatte man großen Einfluss und stellte mehrere Stadtpfleger. Heute verwaltet sein Bruder das Stammschloss der Familie, vermögende Gutsbesitzer seien sie aber keine gewesen. "Wer adlig ist, ist ja nicht gleichzeitig reich", sagt er. "Wer dagegen reich ist, kann sich einen Adelstitel kaufen." Als Kind musste er zuhause mit anpacken, die Familie hatte viele Tiere: Pferde, Kühe, Hühner, Katzen. Auch einen Hund gab es, sein Vater habe den Bernhardiner des Dorfwirts mit nach Hause gebracht, der sei geblieben.

Ein Tier kam ihm aber erst wieder ins Haus, als er selbst eine Familie gegründet hatte und der Hundewunsch seiner beiden Kinder immer größer wurde. Josi kam im Welpenalter zu ihnen, seit acht Jahren ist sie heiß geliebtes Familienmitglied. Beim Spaziergang folgt sie aufs Wort, selbst einem in die Isar geworfenem Stöckchen springt sie hinterher. Als sie aus dem Wasser herauskommt, bringt sie es aber nicht zu ihrem Herrchen. Das sei Teil des Spiels, sagt er: "Ich könnte ja auf die Idee kommen, es noch einmal zu werfen."

Von Stetten bewarb sich Anfang der Achtzigerjahre an der Otto-Falckenberg-Schule in München, dort wurde er zum Schauspieler ausgebildet. Seitdem lebt er in der Stadt. Nach der Schule spielte er Theater, unter anderem in der Schauburg in Schwabing und im Volkstheater. Dort lernte er auch seine Frau, die Schauspielerin Elisabeth Romano, kennen. In den Neunzigerjahren kamen die ersten Filmangebote, er spielte mit Stars wie Katja Riemann oder Christoph Waltz in Kinohits wie "Bandits" oder "Das merkwürdige Verhalten geschlechtsreifer Großstädter zur Paarungszeit" sowie in Fernsehfilmen wie "Der schönste Tag im Leben" oder "Das ewige Lied" mit Martina Gedeck oder Tobias Moretti. Sein schmales Gesicht mit der markanten Nase und den blauen Augen ist vielen Zuschauern bekannt, er hat in einigen guten Fernsehfilmen mitgespielt, oft ist es aber auch nur Durchschnittsware à la "Der Bozen-Krimi", "In aller Freundschaft" oder "Kreuzfahrt ins Glück".

Angesprochen werde er selten, sagt er, auch an der Isar schauen die Passanten mehr auf seinen Hund als auf ihn. Es gab eben nie den einen Film, der ihn auf einen Schlag bekannt gemacht hätte; eine feste Serienrolle als "Tatort"-Kommissar oder als Chefarzt in einer Krankenhausserie hat er nie gespielt. "Ich bin nicht unglücklich darüber, wie es gekommen ist", sagt er. Der 60-Jährige steht vielleicht nicht in der vordersten Reihe der deutschen Schauspielstars, er spielt aber seit vielen Jahren große Rollen und kann ein Leben abseits des Rampenlichts führen. Auch der altersbedingte Wandel vom jugendlichen Liebhaber zum Vater, Unternehmer oder Pfarrer klappte - er wurde nie festgelegt auf einen bestimmten Charakter. Demnächst möchte er wieder auf der Theaterbühne stehen, in einer Adaption von "Drei Männer und ein Baby", nach dem gleichnamigen Film von Coline Serreau. Die Proben fanden im Januar in Berlin statt, jetzt hofft er, dass die Theater bald wieder öffnen und sie mit dem Stück auf Tournee gehen können.

Mittlerweile ist man im Rosengarten nahe des Schyrenbads angekommen, Josi bekommt Leckerlis und ein paar Blätter aus dem Fell gezupft. Dann platziert sie sich neben einer Parkbank und sieht so aus, als ob sie nichts und niemand aus der Ruhe bringen könne - weder die Hitze, noch die Menschen und ihre aufdringlichen Tiere. Dass sie eine kleine, eher unscheinbare Hündin mit Damenbart ist, spielt dabei keine Rolle. Es kommt eben auf die Haltung an, bei Schauspielern ist das ja genauso. In Filmen mitgespielt hat Josi noch nie, sie ist eine ganz normale Hündin; so wie die meisten Tiere, die in Münchner Haushalten leben. Laut der Stadtkämmerei, die für die Eintreibung der Hundesteuer zuständig ist, waren Ende 2020 insgesamt 40 543 Hunde in München gemeldet, innerhalb eines Jahres sind 3100 Hunde hinzugekommen. Das ist ein deutlicher Anstieg im Vergleich zu den Vorjahren, das hat auch mit der Pandemie zu tun. Es wird also enger in den Straßen, im Englischen Garten oder auf der Stammstrecke in den Isarauen.

Und wenn man sich ansieht, wie die Doggen, Dackel oder Dalmatiner ihre Menschen spazieren führen, wie sie übereinander herfallen oder an den Leinen zerren, könnte man auch sagen: Es wird stressiger. Heio von Stetten lässt sich davon nicht außer Fassung bringen: "Wenn man weiß, wie man mit Tieren umgeht, versteht man auch etwas vom Menschen", sagt er. Dann tupft ihm seine damenbärtige Begleiterin mit der Pfote ans Hosenbein, auch das scheint ein altes Spiel zwischen den beiden zu sein: Die Hündin will nach Hause, ihr Herrchen folgt ihr.

© SZ vom 09.03.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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