SZ-Serie: 18/18, Folge 9:Die Bier-Burg

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Der Mathäser-Bräu spielte für die Revolution eine wichtige Rolle: Dort wurde am 7. November 1918 die Monarchie für abgeschafft erklärt.

Von Birgit Lotze, München

Vor hundert Jahren war der Mathäser-Bräu an der Bayerstraße, zentral gelegen zwischen Stachus und Hauptbahnhof, eine Münchner Institution. Kurz zuvor hatte die neu gegründete Aktiengesellschaft Löwenbräu den florierenden Betrieb übernommen und die schon damals große Anlage noch erweitert. Mit drei Bierhallen, Festsaal und Biergarten wurde der Mathäser-Bräu eine der größten Bierschänken der Stadt - und auch der Welt. Löwenbräu, selbst eine der großen Brauereien Münchens und am Stiglmaierplatz beheimatet, sicherte sich mit dem Mathäser im Herzen Münchens einen Großausschank. Den Brauereibetrieb an der Bayerstraße stellte die Löwenbräu AG 1915 ein.

Hunger und Kriegsmüdigkeit prägten im Jahr 1918 die Stadt. Im Mathäser-Bräu waren schon 1917 gefälschte Brotmarken aufgetaucht, für 30 Pfennig je Marke. Ende Januar 1918 fanden im Festsaal immer wieder Betriebsversammlungen statt. Die Münchner hatten das Gefühl, von den Regierenden in Berlin belogen und betrogen worden zu sein,. Vor allem unter den Arbeitern der Rüstungsbetriebe, von Krupp, von den Bayerischen Motorenwerken, war die Streikbereitschaft hoch. Bei der SPD fanden sie jedoch keine Unterstützung. Am Abend des 31. Januar bezeichnete der SPD-Landtagsabgeordnete Erhard Auer im Mathäser-Festsaal vor den Arbeitern der Bayerischen Flugzeugwerke "wilde Streiks" als "zwecklos und sinnwidrig".

Der Mathäser-Bräu mit dem großen Festsaal diente 1918/19 als Hauptquartier der Revolution. (Foto: Postkarte: Stadtarchiv München)

Das revolutionäre Potenzial war hoch. Anfang 1918 füllten Demonstranten oft ganze Bierhallen. So stellt Stadtführer Rudolf Hartbrunner in seinem Portal "Münchner Zeitensprünge" dar, dass am 31. Januar rund 6000 Streikende der Rüstungsbetriebe versuchten, ihr Plenum im Mathäser-Bräu abzuhalten. Doch das war schon besetzt: Die BMW-Mitarbeiter hatten dort eine Versammlung. Dass ausgerechnet die Bierhallen eine so wichtige Rolle für die Revolution in Bayern spielten, liegt an ihrer Größe, nicht daran, dass die Betreiber der Ausschänke die Streikenden unterstützt oder dass die Umstürzler sämtlich gerne Bier getrunken hätten: Es gab nur keine andere Möglichkeit in München , viele Menschen unter einem Dach zu versammeln.

Am 7. November 1918 fand die berühmte Kundgebung auf der Theresienwiese statt, die die Revolution einleitete. Ein milder Herbsttag, der Andrang war unerwartet hoch. Die MSPD unter Erhard Auer und die kleine USPD, die sich wegen der Pro-Kriegspolitik der SPD 1917 abgespalten hatte, hatten dazu aufgerufen. Dann passierte etwas, womit Auer als Mitorganisator der Demonstration nicht gerechnet hatte: Die Menge folgte USPD-Chef Kurt Eisner, einem Berliner mit jüdischen Wurzeln, der gerade erst aus der Untersuchungshaft entlassen worden war, in die er als Pro-Streik-Redner Anfang des Jahres geraten war. Jemand, der mit schulterlangem Haupthaar und wallendem Bart kaum in einer Lederhose vorstellbar war, ging plötzlich Arm in Arm mit dem Bauernführer Ludwig Gandorfer, um die Stadt in die Revolution zu führen. Für Eisner-Biograf Bernhard Grau, Archivrat im Bayerischen Hauptstaatsarchiv, ist dies vor allem ein Zeichen für die Kriegsmüdigkeit in der Stadt. Eisner sei damals die Person in München gewesen, die für die Beendigung des Krieges stand. Außerdem habe sich Eisner auf diesen Tag sehr gut vorbereitet.

Der Zug führte zur Kraftwagenkolonne in der Kazmairstraße, dann zur Landsturm-Kompanie in der Guldeinschule. Die Soldaten wechselten die Seite. Nach vier Kriegsjahren waren sie nicht mehr bereit, ihr Leben für die Wittelsbacher einzusetzen. Im weiteren Verlauf schlossen sich auch die Truppen aus der Marsfeld-Kaserne, der Türkenkaserne und der Max-II-Kaserne an.

Von den Kasernen zog die Menschenmenge zum Mathäser. Der Münchner Schriftsteller Oskar Maria Graf, damals Beobachter des Spektakels, hat diesen Teil des Aufstands nicht mitbekommen, weil er erst seinen Hunger stillen musste. Verpasst hat er einiges: Im Mathäser-Bräu fanden an dem Abend dieses 7. November Ereignisse statt, die politisch von historischer Bedeutung waren: Die Versammlung beschloss, dass die Monarchie abgeschafft wird. Es wurde bestimmt, dass Bayern Freistaat wird. Und es wurden Arbeiter- und Soldatenräte eingesetzt, die Bayerns Schicksal bestimmen sollten.

Vermutlich hatte Kurt Eisner den Mathäser an der Bayerstraße deshalb ausgesucht, weil er strategisch gut lag - zwischen Hauptbahnhof, Telegrafenamt, Polizeipräsidium, nahe der Presse. Der Landtag, damals in der Prannerstraße, war ein paar hundert Meter entfernt. Am Abend hatte die Regierung keine Kontrolle mehr über die Soldaten und Sicherheitskräfte. Die königliche Familie um Ludwig III. musste aus München fliehen, zunächst mit der Absicht, in den nächsten Tagen, wenn der vermeintliche Spuk vorüber sein würde, zurückzukehren. Doch daraus wurde nichts. Noch in der Nacht, nach 22 Uhr, zog Eisner mit seinen Leuten vom Mathäser-Bräu zum Landtag: Das war politisch gesehen der bessere Ort, um die Monarchie abzuschaffen und die Regierungsgewalt zu übernehmen.

Der Kriegsgegner Kurt Eisner führte die Revolution an und wurde zum ersten Ministerpräsidenten Bayerns gewählt. (Foto: SZ Photo)

Der Mathäser blieb Hauptquartier der Arbeiter-, und Soldatenräte, und es wurden auch Bauernräte eingesetzt, ein bayerisches Spezifikum. Zwar liest man häufig, dass während dieser Zeit im Mathäser-Bräu auch die Russenmaß erfunden wurde, Belege dafür sind allerdings nicht zu finden. Zwar lag es nahe, das Bier zu strecken, schon um die Soldatenräte bei Laune zu halten. Richard Winkler, stellvertretender Leiter des Bayerisches Wirtschaftsarchivs und Verfasser des Buchs zur Geschichte der Löwenbrauerei, hält das, was über dies Getränk aus Weißbier und Limonade kolportiert wird, allerdings für eine "Mär". Denn im Mathäser gab es 1918 gar kein Weizen. Löwenbräu habe erst im Jahr 1927 Weißbier gebraut, sagt Winkler. Im Mathäser-Bräu wurde es erst 1927 ausgeschenkt.

Eisner, der keine politische Erfahrung hatte und eher Immanuel Kant als Karl Marx oder Lenin folgte, scheiterte wenige Monate später mit seinem Modell eines egalitären Staatswesens. Der Mathäser blieb Anlaufpunkt für Demonstranten und für die neuen Regierenden. Als nach Einsers Ermordung 1919 hintereinander zwei Räterepubliken in München ausgerufen wurden und dann die "weißen Truppen", Reichswehr- und bayerische Freikorps-Truppen, in die Stadt einmarschierten, um die "rote" Räterepublik zu beseitigen, zogen sich einige Revolutionäre dorthin zurück. Der Mathäser-Bräu soll damals ziemlich verwinkelt und gut zum Verstecken gewesen sein. Am 2. Mai wurde er von den weißen Truppen in Brand geschossen. Er war der letzte Ort in München, an dem sich die Revolutionäre völlig verausgabten, um ihn zu halten. Nachdem auch dies nicht gelang, war die Revolution vorbei.

Jahrhundert-Themen im Münchner Umland. SZ-Serie. (Foto: N/A)

Den Mathäser gibt es noch, inzwischen ist er allerdings nicht mehr Treffpunkt für hitzige Debatten, sondern ein Paradies für Kinogänger. Nach der Revolution wurde er als Bierausschank weitergeführt, im Zweiten Weltkrieg bei Luftangriffen der Alliierten zerstört. Im Jahr 1957 eröffnete er wieder auf 8000 Quadratmeter als Mathäser-Bierstadt - ein fünfgeschossiger Stahlbetonbau mit Einkaufspassage, Lokalen für 5000 Gäste und dem Mathäser-Filmpalast mit 1200 Plätzen und der damals größten Kinoleinwand Deutschlands. In den Siebzigerjahren ging die Ära der Großkinos ihrem Ende zu, 1978 wurde Münchens größtes Lichtspielhaus zu einem aus vier Theatern bestehenden "Kinocenter" - bereit für die Hochzeit des Hollywood-Actionkinos. 1996 wurde der Komplex erneut abgerissen. Im Jahr 2003 eröffnete, unter dem neuen Eigentümer Zürich Beteiligung AG, das Multiplex-Kino mit 14 Sälen und 4000 Plätzen so, wie es heute existiert.

Der damalige Grünen-Stadtrat Siegfried Benker hat damals noch versucht, das Andenken an den besonderen Ort hochzuhalten. Bis nach Australien habe er telefoniert, sagt er, aber die neuen Besitzer hätten wenig Interesse an Münchens Geschichte gezeigt. Heute zeugt zumindest eine Stele inmitten von Kinosälen, Restaurants und Shops davon, was an diesem Ort vor hundert Jahren passiert ist. Es gibt Initiativen, wie die der Geschichtswerkstatt Ludwigsvorstadt-Isarvorstadt, die mit Projekten und Veröffentlichungen auf das revolutionäre Geschehen im Mathäser verweisen. Gewürdigt werden vor allem Neuerungen, die Eisner und die Räte 1918 einleiteten: Erstmals durften Frauen wählen, der Acht-Stunden-Tag wurde eingeführt, Arbeitnehmerrechte wurden gestärkt, ebenso die soziale Fürsorge. Fest steht: München war die erste deutsche Hauptstadt, in der ein regierender Monarch seinen Thron verlor. Und die letzte deutsche Stadt, in der nach den Umwälzungen der Jahre 1918/19 wieder Ruhe einkehrte.

Der neue Mathäser: Seit 60 Jahren werden hier Filme gezeigt. Früher hatte er die größte Leinwand Münchens, heute gilt er mit 14 Sälen als größtes Kino der Stadt. (Foto: Stephan Rumpf)

Revolutionär und Ministerpräsident: Kurt Eisner, Ausstellung im Münchner Stadtmuseum (noch bis 14. Januar), Münchner Zeitensprünge" www.hartbrunner.de, Oskar Maria Graf, "Wir sind Gefangene", 1927.

© SZ vom 12.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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