Design ist eine große Macht. Und deshalb haben Designer auch große Verantwortung. Diese These wiederholte Bodo Sperlein in der Pinakothek der Moderne gleich mehrfach. Dort ins Siemens-Auditorium war er zum ersten SZ-Kultursalon im neuen Corona-Zeitalter eingeladen, um mit Angelika Nollert, Direktorin der "Neuen Sammlung", und Susanne Hermanski, Leiterin der SZ-Kulturredaktion, über das Thema "Von Menschenhand - Der wahre Luxus im Zeitalter des 3D-Druckers" zu reden. Von letzterem war im Gespräch, das eigentlich schon im März stattfinden sollte, nicht viel die Rede, von Handarbeit aber sehr wohl, von Luxus auch und allgemein vom Wert guten Designs. Dieser hat sich unter Corona noch einmal gesteigert, so hatte jedenfalls Sperlein den Eindruck. Wobei das nur bedingt für Deutschland gilt.
Auf dem Podium in der Pinakothek der Moderne: Designer Bodo Sperlein, Susanne Hermanski (SZ) und die Direktorin der Neuen Sammlung Angelika Nollert (von links).
Künstlerin Beate Passow, die gerade in der Villa Stuck ausstellt.
Ute Wellershaus, Rolls Royce.
So leer sieht ein vollbesetzter Saal in Corona-Zeiten aus.
Amandus Sattler, der Architekt der Münchner Heilig-Geist-Kirche, und Mikala Holme Samsoe.
Klar, es gibt die Pinakothek, die Neue Sammlung, die als das älteste und eines der größten Design-Museen der Welt gilt, wie man von Angelika Nollert erfuhr. Mit mehr als 1000 Objekten des Designs sowie der Angewandten Kunst, aufgeteilt in über 20 Sammlungsgebiete. Aber das heißt nicht, dass man Design oder die kreativen Branchen in München, in Deutschland auch als wichtigen Wirtschaftsfaktor schätzt. Im Gegensatz zum Nachbarn Großbritannien. Dort, in London, hat Bodo Sperlein in den Neunzigern an der University of the Arts "Three Dimensional Design" mit dem Schwerpunkt Keramik studiert. Dort hat der bedeutende Produktdesigner und Markenberater auch heute noch sein Atelier. Wobei er wegen des Brexit-Wahns aber meinte: "Vielleicht komme ich wieder nach München."
Hier ist der gebürtige Bamberger nämlich aufgewachsen. Hier ging er zur Schule, aber viel lieber noch in die Museen. In die Residenz, das Haus der Kunst oder das Stadtmuseum, wo er den Wärtern Löcher in den Bauch fragte und wo er auch vor zwei Wochen erst wieder war. Das mit dem Sanierungsstopp fände er schrecklich, erzählt er nach dem Gespräch auf Nachfrage. Weil die Stadtmuseen doch so etwas wie das Herz der Städte seien, weswegen er diese bei seinen Reisen oft als erstes ansteuere. Aber in Deutschland sei man eben eher am "Innenleben" interessiert, am Funktionieren, an der Technik. Im Gegensatz zu England, wo man die "gute Verpackung", also auch das Design und die Kunst deutlich mehr schätzt. An Museen hat natürlich auch London viel zu bieten. Und unter anderem deswegen sei er mit Anfang 20 auch dorthin gegangen, erzählte der Designer, aber genauso: wegen der guten Partys. An der Keramik habe ihn dann vor allem fasziniert, dass sie damals "so verhasst war". Und unterschätzten, nicht mehr wahrgenommenen oder etwas in Vergessenheit geratenen Dingen und Materialien wieder mehr Aufmerksamkeit und Achtung zuzuführen: Das ist auch heute noch sein zentrales Konzept. Deswegen rufen ihn Firmen aus der ganzen Welt an, aus Portugal, aus Mexiko, aus Wien. Damit er ihnen aus ihrer Aufmerksamkeitslücke heraushilft.
Deshalb hat er inzwischen auch Lampen, Möbel, Stoffe oder auch Fernseher entworfen, obwohl er etwa mit Elektrotechnik nie viel am Hut hatte. Aber auch in solchen Fällen stelle er sich dann immer die Frage: Warum interessiert mich das und vielleicht auch viele andere nicht? Und wie lässt sich das ändern? Und noch viel wichtiger: Wie erschaffe ich Dinge, die die Menschen nicht wegwerfen, sondern im Gegenteil als so wertvoll empfinden, dass sie sie sogar ihren Enkeln noch vermachen wollen? Da war man beim Thema der Nachhaltigkeit angelangt, und wieder bei der Verantwortung der Designer und der Hersteller, zu der auch Angelika Nollert Wichtiges zu sagen hatte.
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"Jedes Ding, das man produziert, muss man mittlerweile auch legitimieren", meinte die Direktorin der "Neuen Sammlung" zur veränderten Rolle, die man heute als Designer oder Unternehmen hat. Und nicht nur das: Man müsse kaputt gegangene Dinge auch immer mehr "zurücknehmen". Das heißt, wenn sie nicht bei ihr im Museum landen, wo es Computer oder Telefone gibt, die nicht mehr funktionieren. Das liege aber oft einfach auch an der veralteten Technik. Als "Spiegel eines Entwicklungsstandes" seien diese Geräte jedenfalls immer noch sehr vielsagend, nicht mal nur in technischer, sondern auch in sozialer Hinsicht. So sei eine Frage wie "Wer hat einen Fernseher?" etwa auch als ein Aspekt der Demokratisierung zu verstehen.
Dass jeder einen Rolls-Royce zuhause hat, soweit ist die Demokratisierung dann aber doch nicht fortgeschritten. Ein solches Luxusautomobil zu fahren, das ist noch immer eine Ausnahme und ein jedes einzelne davon eine handwerkliche Besonderheit. Details dazu konnte man von einer Rolls-Royce-Mitarbeiterin im Publikum erfahren. Bei einem Rolls-Royce sei alles mit Hand poliert oder mit Gold veredelt. Alles ist perfekt, aber dann doch mit individuellem Schliff, damit man als Besitzer "die Magie des Handwerks" spürt. Eine Magie, die man sich leisten können muss, weswegen Susanne Hermanski ein paar Minuten später dann auch passend fragte: "Ist gutes Design auch demokratisch?" Oder kann es vielleicht sogar "totalitär" sein?
Laut Angelika Nollert ist Design "erst einmal frei". Und deshalb sei die zentrale Frage eher: "Wer setzt es ein?" Klar gebe es auch "totalitären Geschmack in der Architektur" und bekanntlich hat der deutsche Nationalsozialismus auch den Kraft-durch-Freude-Wagen in die Welt gebracht, dessen Nachfolger, der VW-Käfer, noch immer über die Straßen tuckert. Was zuerst ein Symbol der totalitären Mobilmachung war, ist dann aber in den Fünfzigerjahren zum Sinnbild für die Urlaubsfahrt im Wirtschaftswunderland geworden. Das heißt, es ist immer eine Frage der Haltung und es Blicks. Und weil es auch handwerklich hervorragend gestaltete Maschinengewehre gebe, konstatierte Nollert schließlich: "Nicht alles gut Gestaltete ist aus einer humanitären Haltung entstanden".
Dass es auch nationalsozialistische Keramik gab, das konnte man wiederum von Bodo Sperlein erfahren, der genau zu diesem Thema seine Dissertation geschrieben hat. Die Nazis wollten mithilfe der Keramik "die Geschichte umschreiben" und aus den Germanen eine "Hochkultur" machen, so Sperlein, der an der Macht des Designs also auch schon als Student interessiert war. Naivität im Design sei jedenfalls heute "nicht mehr möglich", so wiederum Angelika Nollert. Vielmehr sei eine "größere Sensibilität" gefragt, was etwa auch die Arbeitsbedingungen bei der Herstellung, die Giftigkeit oder Nachhaltigkeit von Materialien betrifft. Solche oder allgemein soziale sowie Gender-Aspekte seien es auch, was die jungen Designstudenten heute interessiere, mit denen die Neue Sammlung über Kooperationen regelmäßig in Kontakt steht.
Für diese neue Sensibilität ist aber natürlich ebenso Bodo Sperlein ein hervorragendes Beispiel, der am Schluss noch verriet, dass er während Corona auffallend viele Anfragen für hochpreisige, exklusive Objekte bekommen hat. Wohl weil das "die Leute als Investition in unsicheren Zeiten" sehen. Oder weil sie ihr häusliches Umfeld wieder mehr schätzen? "Exklusiver" als sonst war auch dieser SZ-Kultursalon, bei dem angesichts der Hygieneregeln nur maximal 50 Besucher erlaubt waren. Und anders als sonst wird übrigens auch die nächste Ausgabe am 11. August sein, die im Berliner Palais Populaire und im Rahmen der dortigen "Christo and Jeanne-Claude"-Ausstellung stattfindet. Dort wird Susanne Hermanski mit dem Bühnen- und Kostümbildner Philipp Fürhofer sprechen, der das Bühnenbild für die Münchner Opernfestspiele machen sollte, die wegen Corona aber ausfallen. Dafür hat der gebürtige Augsburger gerade in der Galerie Sabine Knust eine Ausstellung und er hat zwei Räume für die Thierry Mugler-Ausstellung in der Kunsthalle München gestaltet. Also warum nicht mal ins Museum gehen?