Gemeinsam helfen:"Der Leuchtturm der solidarischen Zivilgesellschaft in München"

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Die Mitarbeiter der Sozialbürgerhäuser - hier das in Sendling - kennen die Probleme in den Vierteln genau und sind deshalb wichtige Partner des SZ-Hilfswerks. (Foto: Stephan Rumpf)

Armut zeigt sich in einer Großstadt in vielen Facetten. Mit welchen Partnern und Institutionen das SZ-Hilfswerk zusammenarbeitet, um die Not zu lindern.

Von Sven Loerzer

Bis seine Mutter pflegebedürftig wurde, hat ein 53-jähriger Mann gearbeitet, dann verlor er auch noch seinen Job. Die staatliche Unterstützung sicherte zwar den Lebensunterhalt, aber sie reichte nicht, um die zerschlissene Kleidung zu ersetzen. Dank Spenden für den SZ-Adventskalender, die ihm das Sozialbürgerhaus vermittelte, konnte er sich Ersatz beschaffen.

Wie wichtig solche freiwilligen Leistungen sind, zeigt auch ein anderes Beispiel: So konnte eine alleinerziehende Mutter, die vor dem gewalttätigen Partner mit ihren vier Kindern ins Frauenhaus geflohen war, zwar eine neue Wohnung beziehen, doch ihr Geld reichte gerade für die Grundausstattung. Dank Spenden, die sie vom Adventskalender über das Sozialbürgerhaus erhielt, konnte sie für die Kinder ein wohnliches Zuhause schaffen.

Die zwölf Sozialbürgerhäuser gehören zu den wichtigsten Anlaufstellen in der Stadt für Menschen, die in Not geraten sind; sei es, weil ihnen der Verlust der Wohnung droht, sie in finanziellen Schwierigkeiten sind, mit den Kindern nicht zurechtkommen, unter Partnerschaftsproblem leiden oder Unterstützung bei der Pflege Angehöriger benötigen. Die Bezirkssozialarbeiter betreuten im vergangenen Jahr mehr als 18 000 Münchner Haushalte, kennen deren Probleme genau, organisieren Hilfe und Entlastung - und sind damit einer der größten Partner unter den mehr als 200 Verbänden, sozialen Diensten und Projekten, mit denen der SZ-Adventskalender in München und der Region zusammenarbeitet.

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"Die Kooperation mit dem SZ-Adventskalender für gute Werke ist für uns als Sozialreferat eine großartige Möglichkeit, Menschen mit geringem Einkommen in unserer Stadt zu unterstützen", sagt Sozialreferentin Dorothee Schiwy. "Ich bin deshalb sehr dankbar, dass uns die Leserinnen und Leser der SZ mit ihren großzügigen Spenden jedes Jahr helfen." Armut in einer Großstadt äußere sich in sehr vielen Facetten, seien es schwierige Wohnsituationen, gesundheitliche Probleme oder Kinder, die mit ihren langersehnten Wünschen immer wieder enttäuscht wurden.

Über die Sozialbürgerhäuser erhielten 2023 rund 7600 Haushalte Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe. In 5000 Haushalten standen Aufgaben des Kinderschutzes im Mittelpunkt, in weiteren 5000 Haushalten brauchten Erwachsene Unterstützung in bestimmten Fragen. Und in 1000 Haushalten ging es darum, dass das Wohl Erwachsener - überwiegend älterer Menschen - gefährdet war. "Wir leben in einem Sozialstaat, in dem Menschen grundsätzlich vor existenzieller Not geschützt sind", erklärt Schiwy. "Gerade in einer teuren Stadt wie München erleben wir aber immer wieder, dass die staatlichen Unterstützungsmöglichkeiten für notwendige Ausgaben und echte Teilhabe nicht ausreichen."

Mit ihren Spenden setzen die SZ-Leserinnen und SZ-Leser "jedes Jahr aufs Neue ein eindrucksvolles Zeichen für zwischenmenschliche Solidarität", sagt Andrea Betz, Vorstandssprecherin der Diakonie München und Oberbayern. So könne man mit den Einkaufsgutscheinen "einkommensschwache Familien, Rentnerinnen und Rentner oder wohnungslose Menschen unterstützen, die oft jeden Euro einzeln umdrehen müssen".

Menschen, die wegen Altersarmut oder Krankheit in eine finanzielle Notlage gerieten, erlebten sich selbst oft als Bittsteller, so Betz. "Ich finde, das ist in einem Deutschland, das das Sozialstaatsprinzip in der Verfassung verankert hat, eine beschämende Situation." Denn der Sozialstaat sei verpflichtet, für die soziale Sicherheit und das ökonomische Existenzminimum zu sorgen. Betz bekräftigt: "Eigentlich sollte also niemand auf Spenden existenziell angewiesen sein."

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Nicht nur Einzelfallhilfen, sondern viele Angebote wie Freizeitaktivitäten, warme Mahlzeiten für bedürftige Menschen, mobile Werkstätten, Schülernachhilfe oder Begegnungscafés gäbe es ohne den Adventskalender nicht. "Die Unterstützung ist für uns von unschätzbarem Wert", sagt Hermann Sollfrank, Vorstandsvorsitzender des Caritasverbands der Erzdiözese München und Freising. Sie ermögliche, "Menschen in Notsituationen unmittelbar und unbürokratisch zu helfen, zum Beispiel um eine neue Waschmaschine zu kaufen oder Winterkleidung für die Kinder".

Viele Angebote, die in Not geratenen Menschen Stabilität geben, einen Lichtblick und Zuversicht schenken, würden ohne die Spenden nicht existieren, da es dafür keine öffentlichen Mittel gibt. Sollfrank sagt: "Keine soziale Dienstleistung wird zu 100 Prozent vom Staat refinanziert, manche finanziert der Staat gar nicht. Deswegen sind wir für unsere soziale Arbeit auf Spenden angewiesen." Den Leserinnen und Leser spricht Sollfrank ein "großes Dankeschön" und ein "herzliches Vergelts-Gott" aus, das Engagement zeuge von großer Solidarität mit Menschen, die von Armut betroffen sind.

"Durch die Spenden können wir schnell und unbürokratisch Einzelfallhilfe immer dort leisten, wo unsere Kolleginnen und Kollegen vor Ort den Bedarf erkennen", sagt Karin Majewski, Geschäftsführerin des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Oberbayern. Dabei geht es oft um ganz handfeste und dringend notwendige Dinge, manchmal aber auch um Erlebnisse, die Freude schenken oder Sorgen lindern, wie etwa ein Ausflug mit der Familie. Es sei trauriges für ein so reiches Land wie Deutschland, wenn Rentner am Essen sparen müssten oder Bürgergeldempfänger von der Teilhabe ausgeschlossen blieben.

Der Paritätische Gesamtverband fordert einen deutlich höheren Bürgergeld-Regelsatz

"Die Höhen unserer Grundsicherungsleistungen sind leider nach wie vor nicht armutsfest", kritisiert Majewski. Anhand von Gutachten fordere der Paritätische Gesamtverband einen Bürgergeld-Regelsatz in Höhe von 813 Euro monatlich, statt derzeit 563 Euro. "Solange die staatlichen sozialen Sicherungssysteme leider nicht das leisten, was sie sollten, freuen wir uns enorm, dass der SZ-Adventskalender und andere Stiftungen hier ein Loch füllen, das es bei einem guten Sozialstaat nicht geben sollte."

"Wenn politische Stimmung geschürt wird, dass Sozialleistungen erschlichen oder durch Arbeitsverweigerung zu Unrecht bezogen würden, ist es umso wichtiger, über persönliche Geschichten der Not zu berichten", so die Geschäftsführer der Münchner Arbeiterwohlfahrt, Julia Sterzer und Hans Kopp. Etwa über die arme Rentnerin, die von Grundsicherung lebt und sich im teuren München keinen Besuch im Café oder beim Friseur leisten kann. Oder alleinerziehende Mütter und Väter, die nur in Teilzeit arbeiten können und deswegen für besondere Anschaffungen Zuschüsse brauchen.

Die Arbeiterwohlfahrt lege seit ihren Anfängen Wert darauf, dass soziale Bedürfnisse mit Rechtsansprüchen versehen sind. Das soziale Miteinander der Gesellschaft werde jedoch maßgeblich von der solidarischen Unterstützung vieler getragen, glauben Sterzer und Kopp: "Dies ist quasi die zivilgesellschaftliche Kür zur sozialstaatlichen Pflicht." Der Adventskalender fördere Empathie und motiviere die Stadtgesellschaft schon lange dazu, soziale Not zu lindern. Für die "Mobilisierung der sozialen Bindekräfte" danken beide Geschäftsführer dem Adventskalender: "Er ist der Leuchtturm der solidarischen Zivilgesellschaft in München."

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