SZ-Adventskalender:Werben um die Verben

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In den Kursen "Deutsch für Flüchtlinge" im Eine-Welt-Haus an der Schwanthalerstraße kämpfen Asylsuchende mit den Tücken der ihnen fremden Sprache

Von Sonja Niesmann, Ludwigsvorstadt

Ihre Köpfe beugen sich über Kärtchen , auf denen verschiedene Verben stehen, dann setzt Murmeln im Raum ein. "Ich wohne in München." "Woher kommst du?" "Hat du Kinder?" Nein, korrigiert Katharina Schlegel freundlich und mit sehr klarer, akzentuierter Aussprache: "Es heißt: Hast du Kinder?" Florence, Fatima, Amannullah, Rose und die anderen, die sich an diesem Vormittag mit den Tücken der deutschen Sprache plagen, besuchen den Grundkurs "Deutsch für Flüchtlinge". Zehn Wochen lang, drei Mal wöchentlich je zweieinhalb Stunden. Diese Art Unterricht - kostenlos für die Teilnehmer, professionell und im strukturierten Rahmen - sei einzigartig in München, sagt mit leisem Stolz Andreas Böltl, der die Organisationsarbeit für den Verein "Deutsch für Flüchtlinge" erledigt.

Gegründet wurde der Verein 1991, als der Krieg auf dem Balkan und der Zusammenbruch des ehemaligen Jugoslawiens viele Menschen in die Flucht trieb. Etwa ein Dutzend Studenten des Instituts für Deutsch als Fremdsprache an der Uni München unterrichteten die Neuankömmlinge, ehrenamtlich, teils in den Unterkünften. Das Projekt wuchs und wuchs. Inzwischen finden die Kurse ausschließlich im Eine-Welt-Haus an der Schwanthalerstraße statt, und die Lehrkräfte - es sind immer noch vor allem Studentinnen und Studenten desselben Instituts - werden bezahlt. Den größten Teil seiner finanziellen Mittel erhält der Verein vom Sozialreferat der Stadt München sowie vom Landkreis München; auch das Münchner Bildungswerk und der Adventskalender der Süddeutschen Zeitung steuern Geld bei.

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(Foto: Stephan Rumpf)

Üben ist alles: Vor allem Studentinnen und Studenten unterrichten die Flüchtlinge im Eine-Welt-Haus.

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(Foto: Stephan Rumpf)

Fürs Leben: Lehrbücher vermitteln den Schülern allgemeines Wissen.

180 Teilnehmer kann der Verein pro Trimester in seine zehn Kurse aufnehmen, für mehr reichen die Räume und das Geld nicht. Manche Teilnehmer werden vom Amt für Wohnen und Integration zu den Kursen geschickt, andere erfahren über Helferkreise von dem Angebot. Die Frauen und Männer kommen aus Nigeria und Eritrea, aus Russland und Afghanistan, aus Irak und Senegal. Viele leben in einem unsicheren Status, entweder läuft ihr Asylverfahren noch oder sie haben nur eine Duldung. "Es berührt mich immer sehr", sagt die Vereinsvorsitzende Elfriede Neumüller-Posset, "mit welch bemerkenswertem Fleiß und Elan sich die da reinknien, obwohl sie gar nicht wissen, ob sie überhaupt in Deutschland bleiben können."

Bei einigen der von ihm betreuten Flüchtlinge muss der Verein, der 2001 mit dem Förderpreis "Münchner Lichtblicke" ausgezeichnet worden ist, von ganz unten anfangen - mit einem Alphabetisierungskurs, der mit maximal 14 Teilnehmern der kleinste ist. Andere steigen mit dem Vorkurs ein, er ist gedacht für Menschen mit eher "rudimentärer Schulbildung", die erst einmal besser Lesen und Schreiben üben müssen, erläutert Andreas Böltl. Dann folgen drei Grundkurse. Katharina Schlegels Gruppe, die sich später an diesem Vormittag noch in einer Stadtbücherei umschauen wird, absolviert gerade den ersten. Die Kapitel in ihrem Lehrbuch beschäftigen sich mit Familie und Wohnung, mit Maßen und Gewichten, mit dem Einkauf von Lebensmitteln. Ein weiteres Kapitel heißt "Eine Hausordnung verstehen", es macht die Deutsch-Schüler unter anderem mit dem Begriff "Zimmerlautstärke" bekannt. Im Grundkurs drei geht es um Sport und Fitness, um die Arbeitswelt, um Feste und Geschenke.

Wer alle drei Grundkurse durchlaufen hat, "sollte im Alltag ganz gut zurechtkommen und, mit ein bisschen zusätzlicher Übung, eigentlich auch den Deutsch-Test für Zuwanderer bestehen", sagt Böltl. Mit einer Einschränkung: "Für Behördensprache reicht's noch nicht." Wer weiterlernen will, tut sich jedoch schwer, Intensivkurse sind rar. Böltl berichtet von einer jungen Frau, die aus Irak kommt und in Putzbrunn lebt. Sie besucht bereits zum dritten Mal den Grundkurs 3 im Eine-Welt-Haus, weil sich einfach kein Intensivkurs finden lasse. Fast alle Absolventen der Deutsch- für-Flüchtlinge-Kurse bekunden deshalb, so Böltls Beobachtungen, großes Interesse an einer der Sprachpartnerschaften, die der Münchner Flüchtlingsrat vermittelt. Studierende von Deutsch als Fremdsprache laden außerdem seit November ins "Sprachcafé" ein. Der offene Gesprächskreis findet dienstags in der Stadtbibliothek am Gasteig, mittwochs in der Sendlinger Stadtteilbibliothek statt.

© SZ vom 17.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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