SZ-Adventskalender:Was einem Kind den Rücken stärkt

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Reittherapie hat dem zwölfjährigen Sebastian geholfen, die Folgen seiner Krebserkrankung zu überwinden. Der Verein "Besonders" in Ludwigsfeld bietet solche Nachsorgebehandlungen an. Finanziert werden sie komplett aus Spenden

Sebastian geht es gut, wenn er bei Pferden ist. Ob er auf ihrem Rücken sitzt, sie andächtig striegelt und bürstet oder ihnen einfach nur im Stall nahe ist. Für Familie Gerber ist das wie ein kleines Wunder. Denn das Leben von Sebastian in dieser Welt war bisher kein schönes. Als Frühchen kam er vor zwölf Jahren mit einem Herzfehler zur Welt. Zweimal setzte sein Herz aus, er war monatelang im Krankenhaus, durfte nur mit Herzmonitor nach Hause. Nach einem Jahr hatte sich der Organfehler verwachsen. Sebastian hatte alles gut gemeistert, ihn konnte nichts umhauen. Dachten die Gerbers jedenfalls. Vier Jahre später erhielt Sebastian die Krebsdiagnose. Es war ein Zufallsbefund. Bei einem Sturz im Kindergarten hatte sich der Fünfjährige die Rippen geprellt. Sebastian bekam Fieber, starke Schmerzen in der Brust und Atemnot. Die Ärzte fanden Flüssigkeit im Brustkorb, vermischt mit Blut. Ursache war ein schnell wachsender, pflaumengroßer bösartiger Tumor im Rippenbereich, dessen Ausläufer wie ein Stängel durch das Zwerchfell in die Lunge ragte. Für Familie Gerber war nichts mehr, wie es war.

Innige Hingabe: Pferdepflege auf dem Ludwigshof gehört beim Verein "Besonders" mit zur Reittherapie. Der zwölfjährige Sebastian Gerber, hier mit der Reittherapeutin und Heilpraktikerin in Psychotherapie Julia Romhanyi, genießt sie ebenso wie seine Übungen und Ausritte mit Ronja. (Foto: Stephan Rumpf)

Es folgten Chemotherapie, Drainagen, Strahlentherapie und OP innerhalb eines Jahres. Nach außen hin habe sich Sebastian fröhlich gegeben, aber nachts habe er oft geweint, vor Schmerzen und aus Angst vor dem Tod, berichtet Mutter Claudia. "Er hat ja mitbekommen, was passiert." Die Strahlentherapie verbrannte ihm die Haut. Weil zu dem Tumor zwei Rippen und die Muskulatur im linken hinteren Rückenbereich entfernt werden mussten, bekam er eine Wirbelsäulenschiefhaltung. Die fehlende Muskulatur könne Sebastian nicht mehr aufbauen, nur ausgleichen, sagt seine Mutter. Seine Beine schmerzten seit der OP ständig, sodass er manchmal nicht laufen konnte. Zeitweise war er so geschwächt, dass er keine fünf Meter ohne Rollstuhl zurücklegen konnte. Nach der Krebsbehandlung beanspruchten unzählige Therapien seine ganze Freizeit. Aushalten musste er auch Hänseleien von Mitschülern, weil ihn das alles in seiner Entwicklung beeinträchtigt hatte. Er verschloss sich vor seiner Umwelt, auch vor seinen Eltern, Zugang zu ihm fand ab und zu nur sein zwei Jahre älterer Bruder. "Von meinem einstigen Kind habe ich nichts mehr gesehen", sagt Claudia Gerber über jene Zeit.

Vor sechs Jahren: Sebastian Gerber im Krankenhaus, als er gegen den Krebs kämpfte. Es war ein langer Leidensweg, verbunden mit großen Ängsten. (Foto: privat)

Nach drei Jahren und vielen Versuchen, die Schmerzen in den Griff zu bekommen, wollte Sebastian nichts mehr von Therapien wissen. Er wollte einfach nur gesund und "normal" sein. Wollte keine Schmerzmittel mehr nehmen, weil er befürchtete, dann nicht zu merken, wenn die Schmerzen tatsächlich aufhören würden. Über eine Einrichtung, die sich um die psychosoziale Nachsorge für krebserkrankte Kinder kümmert, erhielten die Gerbers den Rat, es mit Reittherapie zu versuchen. Eine Spende an den Verein "Besonders e. V." ermöglichte es Sebastian, sie auszuprobieren, die vierköpfige Familie hätte sich das sonst nicht leisten können.

Sebastian ist bis jetzt tumorfrei, doch die Angst schwingt immer mit. Wenn er, begleitet von der Reittherapeutin und Heilpraktikerin in Psychotherapie Julia Romhanyi, auf dem Rücken von Ronja, einem belgischen Kaltblut, Turnübungen absolviert und mit ihr ins Gelände hinausgeht, kann er sich von belastenden Gedanken frei machen. Findet Abstand zum Alltag und auch zur Familie. Und nach der fünften oder sechsten Stunde, Claudia Gerber kann sich nicht mehr genau erinnern, waren seine Schmerzen weg, seine Haltung besserte sich zunehmend, er bekam wieder mehr Luft, sein Selbstbewusstsein wuchs, sodass er Freunde fand und ihm die Hänseleien anderer nichts mehr ausmachten. Er blühte regelrecht auf. "Er empfindet sich wieder als normal, und das ist die Hauptsache", sagt Claudia Gerber. Die Familie hatte ihren Sonnenschein zurück. "Und wir konnten anfangen zu verarbeiten. Vorher haben wir nur funktioniert", sagt seine Mutter.

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(Foto: Catherina Hess)

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Den positiven Effekt erklärt Andrea Wenshofer vom Verein "Besonders" unter anderem mit den besonderen, dreidimensionalen Schwingungsimpulsen von Pferden, die je nach Schrittlänge bis zu 120 Impulse pro Minute ins Nervensystem übertrügen. "Das kann tatsächlich keine andere Therapie", sagt Wenshofer. Zur Reittherapie hat Mutter Claudia ihren "therapiemüden" Sohn über eine Finte gebracht. Sie sagte ihm, sie wolle sich einen Stall ansehen, und dann habe er angefangen, sich für die Behandlung zu interessieren.

Ob die Therapie für Sebastian weitergehen kann, hängt, wie für die anderen Klienten, davon ab, ob sie bezahlt werden kann. Die Krankenkassen übernähmen die Kosten nicht, obwohl die Wirkung allseits bestätigt ist, wie das Sozialreferat feststellt. Bezirk und Jugendamt lehnten Anträge fast immer ab, weil sie schon andere Förderungen tragen, sagt Wenshofer. In der Regel finanziere der 2008 gegründete Verein die Therapien einzig über Spenden und Zuwendungen von Stiftungen. 140 Therapiestunden pro Woche könnte Besonders e. V. anbieten, dessen Ziel es ist, Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit schweren Handicaps über tiergestützte Heilbehandlungen wirksam zu helfen. Doch wetterbedingt ist jetzt eher Stillstand. Der Verein will seine Arbeit auf den seit November angepachteten Ludwigshof Am Torfstich 6 konzentrieren, einer kleinen Stichstraße in Ludwigsfeld, die von den Schrederwiesen abzweigt. Bisher hatte man mit einem Stab Therapeuten mit Fremdtieren von Bauern- und Reiterhöfen gearbeitet. Vier vereinseigene Pferde stehen jetzt in den Boxen des Ludwigshofs, ein fünftes kommt bald zu Ronja, Cuteboy, Olli und Caprice hinzu.

Eine Lifthilfe für Rollstuhlfahrer ist aus reiner Freundlichkeit der Firma bereits vorhanden, aber noch nicht bezahlt. Doch ganz dringend benötigt Besonders e. V. ein Reitzelt, um unabhängig vom Wetter Therapiestunden geben zu können. Bisher existiert zum Reiten nur ein nicht überdachter Außenplatz. "Schlechtes Wetter ist ein Störfaktor", sagt Andrea Wenshofer. Schnee und Kälte verstärkten Krämpfe und Verkrampfungen bei Spastikern, verhinderten Entspannung, und wer psychisch beeinträchtigt ist, könne sich bei Wind und unangenehmer Witterung noch schlechter konzentrieren. Und es fehlt an Reitausstattung und Hofbedarf, und seien es nur Schubkarren.

Mithilfe der Reittherapie konnte Sebastian nach einiger Zeit bis auf die Krankengymnastik mit allen anderen Therapien aufhören. Doch längere Pausen tun ihm nicht gut. "Dann beginnen wieder die Schmerzen", sagt seine Mutter.

© SZ vom 20.12.2018 / Anita Naujokat - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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