SZ-Adventskalender:Mit der Harley in den Ruhestand

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Anita Niedermeier war von 2013 bis 2023 Geschäftsführerin des Adventskalenders. (Foto: Catherina Hess)

Zehn Jahre lang half Anita Niedermeier als Geschäftsführerin des "Adventskalenders für gute Werke" vielen Menschen, mit den Spenden von SZ-Lesern Notlagen zu überwinden. Nun hat sie sich von der Arbeit verabschiedet, nicht aber von ihrem Motorrad.

Von Sven Loerzer

Die Übergabe hat schon stattgefunden, das wichtigste Wissen hat Anita Niedermeier weitergegeben an ihre Nachfolgerin Sandra Geisler. "Wir beide ticken gleich", sagt die langjährige Geschäftsführerin des Adventskalenders für gute Werke, die zum Monatsende mit 63 Jahren in den vorgezogenen Ruhestand geht. Nach fast zehn Jahren im Vorstand des gemeinnützigen und mildtätigen Vereins "Adventskalender für gute Werke der Süddeutschen Zeitung" und insgesamt fast 46 Berufsjahren freut sie sich auf die gemeinsame Zeit mit ihrem Mann, der schon im Ruhestand ist. Dennoch hat sie auch "gemischte Gefühle", denn für sie war die Arbeit für das Hilfswerk der SZ-Leser "wahnsinnig erfüllend". Während der zehn Jahre ihrer Geschäftsführung kamen rund 80 Millionen Euro an Spenden und aus Erbschaften zusammen. In enger Zusammenarbeit mit dem Sozialreferat, sozialen Projekten und den Wohlfahrtsverbänden konnte vielen Menschen geholfen werden.

Viel hat Anita Niedermeier nicht mitgenommen aus dem kleinen, engen Adventskalender-Büro. Ein paar Bürotassen, eine Fotocollage von ehemaligen Kolleginnen und Kollegen aus der Finanzbuchhaltung, viele Erinnerungen und die aufgezogene Titelseite der SZ vom 1. September 1977, ein Geschenk zu einem Dienstjubiläum. An dem Tag begann ihre Ausbildung zum Verlagskaufmann beim Süddeutschen Verlag. Kaufmann, so hieß das damals, aber mit dem Gendern hat sie es ohnehin nicht. An Selbstbewusstsein mangelt es ihr nicht, was auch damit zusammenhängen mag, dass sie die meisten Menschen an Größe überragt und schon allein deswegen nirgendwo zu übersehen ist. Sie ist immer elegant gekleidet, andererseits sind ihr Äußerlichkeiten wie etwa die Bürogröße überhaupt nicht wichtig. "Wenn ich einen Tanzsaal hätte, würde ich mich nicht wohlfühlen, das passt nicht zu einem bescheidenen Verein."

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Als "Münchner Kindl" ist sie an der Wiesn geboren, wenn auch nicht zur Oktoberfestzeit, und in Fürstenried und Waldtrudering aufgewachsen. Eigentlich wäre sie nach der Mittleren Reife gerne Physiotherapeutin für Kinder mit Behinderungen geworden, doch da waren die Eltern dagegen, weil sie, noch nicht einmal volljährig, ein soziales Praktikum in Erlangen oder Berlin hätte absolvieren müssen. Ihr Vater, der damals als Schriftsetzer beim Süddeutschen Verlag arbeitete, verlangte ihre Bewerbungsunterlagen: "Er hat sie selber beim Verlag abgegeben", was sie auf keinen Fall wollte. Es muss ein harter Kampf gewesen sein, auch wenn es Anita Niedermeier fast wie eine Anekdote erzählt.

Als Schülerin hatte sie sich geschworen, "nie in meinem Leben gehe ich in die Buchhaltung". Doch nach der Ausbildung kam sie ausgerechnet in die Buchhaltung. Rechnungsprüfung, seufzt Anita Niedermeier, "eine stupide Arbeit: Durchschläge von Bestellungen mit Rechnungen zusammenführen". Aber der Chef ließ sie dann die Mandantenbuchhaltung für zwei Buchverlage übernehmen, "das war heftig, aber gut". Jahre vor allem im Finanz- und Rechnungswesen folgten, bis sie 2014 die Geschäftsführung des Adventskalenders übernahm, für sie kein Job, sondern eine Berufung.

"Fast täglich erlebt man die außerordentliche Dankbarkeit der Menschen dafür, dass man etwa Gutes tut", sagt Anita Niedermeier. Das Vertrauen der Leserinnen und Leser, dass ihre Spenden gut angelegt sind, geht ihr über alles. Anträge auf Hilfe unterzieht sie einer gründlichen Prüfung, kontrolliert alle Nachweise genauestens. Sie arbeitet wie eine Treuhänderin: "Es ist nicht mein Geld, ich verwalte es nur." Und so müssen sich manche Antragstellerinnen und -steller die Frage gefallen lassen: "Geht es nicht auch ein bisschen billiger?"

Die vielen schweren Schicksale, von denen Anita Niedermeier in Briefen und sozialen Einrichtungen erfahren hat, haben sie verändert. "Man wird mit seinem eigenen Leben noch zufriedener." Dann verhärten sich ihre Gesichtszüge etwas, der Blick wird unnachsichtig: "Und man wird kritischer gegenüber Menschen, die nur noch schimpfen, wie schlecht es ihnen geht, obwohl sie viel Geld auf dem Konto haben." Sie sei "genau und streng", ebenso wie "mitfühlend und warmherzig", sagte Adventskalender-Vorstand Hendrik Munsberg zu ihrem Abschied, "ein liebenswerter Mensch".

Die Starken helfen den Schwachen, das ist seit Jahrzehnten Motto beim Netzwerk des SZ-Adventskalenders. (Foto: Catherina Hess)

Julia Sterzer, Geschäftsführerin der Münchner Arbeiterwohlfahrt und Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft der Münchner Wohlfahrtsverbände, dankte Anita Niedermeier im Namen der Verbände "ganz herzlich für die bereichernde Zusammenarbeit. Wir konnten aus Mitteln des SZ-Adventskalenders unzähligen Menschen schnell und unbürokratisch helfen, die unverschuldet in eine Notlage geraten sind." Das persönliche Engagement von Anita Niedermeier und "der kurze Draht zu ihr ermöglichten uns, auch auf akute unvorhergesehene Hilfebedarfe spontan reagieren zu können".

Von Herzen dankte auch Sozialreferentin Dorothee Schiwy: "In Anita Niedermeier hatten wir eine kompetente und verlässliche Ansprechpartnerin, die sich immer wieder auf neue Projekte und spontane Ideen eingelassen hat, um Münchner Bürgerinnen und Bürger in Notlagen zu unterstützen und soziale Teilhabe zu ermöglichen." Gefragt nach ihrem Lieblingsprojekt, muss Anita Niedermeier nicht lange überlegen. Das von ihr angestoßene Projekt "Alt und Jung" brachte Kinder und Jugendliche aus dem Münchner Waisenhaus mit älteren Menschen aus dem Alten- und Servicezentrum (ASZ) Neuhausen zusammen. Gemeinsame Unternehmungen, gegenseitiges Helfen, daraus entstanden gute Beziehungen. Anita Niedermeier erinnert das an die eigene Biografie: "Meine Oma war für uns Kinder immer da, während die Eltern gearbeitet haben."

"Diejenigen, die die Gesetze machen, sollten sich mal ein halbes Jahr in einem Sozialbürgerhaus umschauen"

Bessere Seniorenheime und ärztliche Versorgung, aber auch zum Beispiel die Brille wieder als Krankenkassenleistung, weil viele Rentner sie nicht bezahlen könnten, wünscht sich Anita Niedermeier von der Politik. "Diejenigen, die die Gesetze machen, sollten sich mal ein halbes Jahr in einem Sozialbürgerhaus oder einem Seniorenheim anschauen, was da abgeht."

Nun möchte sie erst einmal zur Ruhe kommen, sich später dann an ihrem Wohnort Ismaning sozial engagieren, "aber nicht mehr voll einsteigen". In nächster Zeit jedenfalls wird sie wieder öfter aufsteigen - in schwarzer Lederkluft als Lady of Harley auf das eigene Motorrad der Kultmarke Harley Davidson. Natürlich gehört sie nicht irgendeinem Motorradclub an, sondern, wie könnte es auch anders sein, dem Vorstand des Herz Ass Chapter Munich.

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