SZ-Adventskalender:Jeder Schritt schmerzt

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Alois Z. kommt mit seiner Frührente einigermaßen über die Runden, aber für Sonderausgaben wie die orthopädischen Spezialschuhe fehlt das Geld

Von Monika Maier-Albang

Der Moment, an dem er merkte, dass es Zeit ist zu gehen, war die Einführung der Computer. Bis dahin hatten sie im Versorgungsamt, in dem Alois Z. arbeitete, ihre Akten händisch geführt, jede Person abgelegt in einer Mappe, die in einer Hängeregistratur Platz fand. Aber dann kamen diese Geräte: "Da ist dann immer alles abgestürzt und alles war weg", erzählt Z., "und die Augen haben mir wehgetan." Mit knapp 60 ging er in Ruhestand.

Heute ist der Münchner 81. Die silbernen Zahlenluftballons hängen, schon etwas erschlafft, in seiner Küche. In der Wohnung lebte er bis 1988 mit seiner Mutter zusammen, die er pflegte, bis sie starb. Kontakte hatte Z. noch nie viele, auch geheiratet hat er nie. "Es war nicht einfach, jemanden zu finden", sagt er. In seiner Jugend kam man sich beim Tanzen näher. "Aber mit mir wollte keine tanzen. Die Frauen sind dann immer gleich zu jemand anderem gegangen, sobald sie gemerkt haben, dass mein Fuß zu kurz ist."

Die 13 Zentimeter, um die sein Oberschenkel verkürzt ist, haben das Leben von Alois Z. bestimmt. Die Hosen müssen maßgeschneidert werden, die Schuhe sind vom Orthopäden. (Foto: Catherina Hess)

Diese verflixten 13 Zentimeter, um die sein Oberschenkel verkürzt ist, sie haben sein Leben bestimmt. In seiner Kindheit hatte Alois Z. vermutlich eine Blutvergiftung und in Folge Osteomyelitis, eine Infektion des Knochens. Die Familie lebte damals in Prag, unter der Herrschaft der Nationalsozialisten. Alois Z. war das uneheliche Kind eines jüdischen Unternehmers. Als er ins Krankenhaus musste, hätte ihn das fast das Leben gekostet. Der behandelnde Arzt, Parteimitglied, wollte sein Erbgut untersuchen lassen. "Eine Krankenschwester hat meine Mutter gewarnt", erzählt Z.; sie habe mitbekommen, dass immer wieder Kinder auf der Station über Nacht aus unerklärlichen Gründen starben. Die Mutter holte ihren Sohn sofort aus der Klinik.

Die Behandlung also konnte nicht fortgeführt werden, das Bein entwickelte sich nicht, wie es sollte. 1945 wurden Z. und seine Mutter "ausgesiedelt", kamen über Umwege nach München. Mit seiner Frührente kommt Alois Z. heute einigermaßen hin, aber er hat Sonderausgaben, die ihm schwerfallen: Die Hosen müssen maßgeschneidert werden, für die orthopädischen Spezialschuhe sind Zuzahlungen fällig. Das Gehen fällt Z. selbst mit diesen Schuhen schwer.

Ohnehin geht er seit Beginn der Pandemie kaum noch aus dem Haus; er hatte im Frühjahr eine schwere Lungenentzündung, hat Herzrhythmusstörungen. Auf dem Küchentisch stehen Vitamin-C-Tabletten und ein Kurkuma-Tee. "Für meine Abwehrkräfte." Eine Nichte kauft für ihn ein. "Ich bin jetzt doppelt vorsichtig", sagt Alois Z.

© SZ vom 10.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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