SZ-Adventskalender:Quell der Freude

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Das kleine Schwimmbecken bereitet den behinderten Kindern in der Silvia-Görres-Schule am Harthof seit Langem besonderes Vergnügen und hat therapeutische Bedeutung. Nun muss es repariert werden, aber auf Geld aus öffentlichen Töpfen kann die Lebenshilfe nicht hoffen

Von Stefan Mühleisen, Harthof

Geduld ist die halbe Liebe schon, hat der mit großem geistigen Spürsinn ausgestattete Schriftsteller Otto Flacke einmal notiert. Manchmal denke er sich, so vermerkte er weiter, sie sei die ganze. Es ist ein funkelnder Gedanke, den dieser heute nahezu vergessene Autor formulierte: Wo es an Geduld nicht mangelt, da muss viel Liebe sein. Zum Beispiel in einem Gebäude an der Neuherbergstraße, in dem an einem grauen Vormittag der sechsjährige Abdul mit Überschwang ins Wasser patscht, so dass Irene Prestele ihr Kleid mit einem Schritt zur Seite vor der Durchnässung retten muss. "Wir haben hier eine kleine Erlebniswelt, in der Kinder gefördert und gefordert werden können", kommentiert die Rektorin der Silvia-Görres-Schule anerkennend Abduls Ausgelassenheit. Trübsinnig stimmt sie indes die Aussicht, dass es diese Erlebniswelt womöglich bald nicht mehr geben wird.

Die Silvia-Görres-Schule am Harthof ist ein Förderzentrum mit dem Schwerpunkt geistige Behinderung, seit Jahrzehnten betrieben vom Verein Lebenshilfe München. Die Mitarbeiter begleiten geistig und körperlich zum Teil schwerstbehinderte Kinder und Jugendliche durch den Alltag. Die jungen Menschen haben Diagnosen wie Autismus oder Down-Syndrom; unter den Schützlingen sind auch viele Frühgeborene und Unfall-Opfer, beides hat oft Hirnschäden und gravierende geistige und körperliche Einschränkungen zur Folge.

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(Foto: Florian Peljak)

Schöne Momente: Für den kleinen Abdul, der an Autismus leidet, sind die Wasserspiele das Schönste.

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(Foto: Florian Peljak)

Zum Unterricht an der Silvia-Görres-Schule gehört auch das Sprechenlernen.

Schon früh brauchen die Betroffenen spezielle therapeutische Hilfe - also Betreuer, die mit den Behinderungen vertraut sind, die milde Beharrlichkeit aufbringen und ihre Schützlinge über Jahre hinweg in Trippelschritten begleiten. Zu beobachten ist das nicht nur im Schwimmbad, sondern auch im Klassenzimmer. An der Wand hängen Fotos von fünf Buben und zwei Mädchen - keines der Kinder könne sprechen, betont Sonderschulrektorin Prestele. Die Behinderungen versagen es ihnen, sich über Sprache mitzuteilen, so müssen sie anders zurechtkommen. Der zehnjährige Rafael hält die Hand einer Betreuerin, auf dem Tisch liegen Karten mit Bildern. Sie zeigen ein Kissen, ein Seil, einen Ball. "Kissen", "Seil" und "Ball" steht auf Karten geschrieben, die Rafael den Bildern zuordnen soll. Er deutet still, macht alles richtig. "Du bist sehr intelligent", lobt die Betreuerin.

28 Kinder und Jugendliche werden in der Silvia-Görres-Schule in vier Klassen unterrichtet - von der Grund- bis zur Berufsschule; 13 Kinder sind im Kindergarten. Für alle steht eine Nachmittagsbetreuung zur Verfügung, eine Heilpädagogische Tagesstätte. Indes ist es bei der Lebenshilfe München wie bei vielen professionellen sozialen Einrichtungen: An Liebe und Geduld fehlt es wahrlich nicht, nur das Geld ist knapp. Der Bezirk Oberbayern trägt die Finanzierung; notwendige Therapien werden über die Krankenkassen abgerechnet. Den Eltern entstehen so keine Kosten. Allerdings klaffen der staatliche und der pädagogische Anspruch auseinander. "Wir bleiben auf gut 15 Prozent der Kosten sitzen", sagt der Geschäftsführer der Lebenshilfe München, Peter Puhlmann. Das Finanzierungsloch muss mit Spenden und Mitgliedsbeiträgen gestopft werden.

Einfach gesagt, zahlt der Staat nur, was er für nötig hält - ungeachtet dessen, was die Sonderpädagogen zusätzlich für angemessen erachten. Die sehen etwa das Schwimmbad als unverzichtbar an, doch das muss saniert werden. Die Anlage aus den Siebzigerjahren ist verschlissen, und die Lebenshilfe München ratlos, wie sie das Geld für die Reparatur aufbringen soll.

Ein halbes Dutzend Kinder tummelt sich an diesem Vormittag in dem fünf mal fünf Meter großen Becken. Der kleine Abdul füllt gerade eine Gießkanne, die alsbald über den Rand kullert. Neben ihm schaukelt Eduardo, von einem Schwimmreifen getragen. Zwei Betreuer stehen in Badehose im Getümmel; sie registrieren zufrieden den heiteren Übermut, den es ohne das Becken wohl kaum gäbe. "Abdul leidet unter Autismus und verharrt oft in seiner eigenen Welt, hier kann er Kontakt aufnehmen", sagt Irene Prestele.

Viele der Kinder und Jugendlichen sind körperlich derart eingeschränkt, dass sie auf einen Rollstuhl und auf Hilfe mitunter bei einfachsten Handgriffen angewiesen sind. Prestele erklärt: "Die Kinder sind permanent fremdbestimmt. Im Wasser haben sie die Erfahrung, selbst etwas tun zu können." Heilsam ist die Bewegung im Wasser für jene, die unter schmerzhaften Spasmen leiden. Gefahrlos ist das für die Kinder nur möglich, weil der Boden hydraulisch bis auf 1,80 Meter stufenlos absenkbar ist. Doch die Anlage wird wohl bald den Geist aufgeben. Es bleibt die Alternative, die Kinder in die Schwesterschule nach Unterhaching zu fahren. "Doch das ist kaum machbar", sagt Peter Puhlmann, "für die Kinder wäre der Transport sehr belastend".

© SZ vom 04.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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