SZ-Adventskalender:Der Traum von der eigenen Werkstatt

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Ali und Fatima Sulaiman waren 15 Jahre auf der Flucht - seit sechs Jahren sind sie in München, aber der Neuanfang gestaltet sich schwierig

Von Inga Rahmsdorf, München

Fatima Sulaiman hat die Krankenschwester nicht vergessen. Diese Frau, die ihr die Haare gewaschen und gefönt hat, die so freundlich zu ihr war. Wenn Fatima Sulaiman ( Name von der Redaktion geändert) heute, sechs Jahre später, davon erzählt, klingt es, als könne sie es immer noch nicht glauben, dass all die Menschen, denen sie damals in der Münchner Klinik begegnete, sie respektvoll behandelten.

Fatima Sulaiman war 15 Jahre auf der Flucht gewesen, bevor sie mit ihrem Mann Ali nach München kam. 15 Jahre lang waren sie von einem Land ins nächste geflohen, von Afghanistan nach Pakistan, in den Iran, Irak, wieder zurück nach Afghanistan, wieder Iran, dann Türkei und von dort mit dem Boot nach Griechenland. Und überall waren sie unerwünscht, wurden bedroht oder als Flüchtlinge verachtet. Bis sie 2009 in München landeten.

Sechs Jahre später: eine kleine Wohnung in einem Neubaugebiet in München. Auf dem Boden spielen die sechsjährigen Zwillinge, die jüngsten Kinder der Familie. Es ist der 1. Dezember und ein ganz besonderer Tag für die Familie. Zum ersten Mal nach mehr als 20 Jahren wohnen die Sulaimans zusammen mit ihren sechs Kindern in einer Wohnung. Am Vorabend sind sie eingezogen. Bisher gibt es noch nicht viele Möbel, doch das Ehepaar ist glücklich. Die vergangenen sechs Jahre haben sie in einer Gemeinschaftsunterkunft gelebt.

Von Deutschland sind sie begeistert, es biete ihnen Sicherheit, die Kinder, auch die Töchter, können in die Schule gehen, ohne Lebensgefahr. "Es ist unglaublich. Ich wusste nicht, dass es irgendwo auf der Welt so nette Menschen gibt wie hier", sagt Ali Sulaiman. "Manchmal denke ich immer noch, dass ich träume."

In Afghanistan ist er bedroht worden, drei seiner Brüder wurden ermordet. Sie flohen. Und es folgte eine Odyssee, die so weit weg erscheint, wenn das Ehepaar davon erzählt, hier in ihrer neuen Wohnung, wo sie Tee und selbst gebackene Plätzchen servieren. Doch die Erinnerungen und Bilder verfolgen Fatima Sulaiman immer noch jede Nacht in Albträumen und quälen sie tagsüber. Als die Sulaimans vor sechs Jahren in der Türkei ankamen, Fatima schwanger mit Zwillingen, litt sie unter schweren Depressionen. Fatima erinnert sich: "Ich wollte mich umbringen. Ich wollte lieber Schlaftabletten schlucken und friedlich einschlafen, als mit dem Boot im Mittelmeer zu ertrinken", sagt sie. "Doch mein Mann war so stark, er hat immer wieder gesagt, schluck die Tabletten nicht." Als sie schließlich in Deutschland landeten, wurde Fatima sofort in die Klinik eingewiesen, es gab Komplikationen bei der Schwangerschaft mit den Zwillingen. Ihr Mann kam mit den vier Kindern in die Erstaufnahmeeinrichtung. "Ich durfte nur liegen, aber ich habe nichts verstanden, hatte Panik und bin erst weggelaufen aus der Klinik, weil ich so Angst um meine Kinder hatte", erzählt Fatima. Heute kann sie darüber lachen.

Die Familie tut alles, um sich hier eine eigene Existenz aufzubauen - aber ohne finanzielle Starthilfe fällt ihr das schwer. Fatima hat bereits Praktika im Kindergarten und in einer Schneiderei gemacht. Ali Sulaiman arbeitet schon seit längerem als KFZ-Mechaniker. Sein Traum ist es, eines Tages eine eigene Werkstatt zu haben. "Auch wenn sie nur klein ist", sagt er. "Aber ich möchte für meine Familie sorgen können. Ich schäme mich so, dass wir Leistungen vom Jobcenter beziehen müssen, weil mein Gehalt nicht ganz ausreicht."

Stolz zeigen sie die Zeugnisse ihrer vier älteren Kinder. Zwei Töchter wurden schon innerhalb des ersten Jahres in Deutschland von der Hauptschule auf das Gymnasium überwiesen, die dritte Tochter auf die Realschule. Der Sohn besucht noch die Grundschule. Fatima und Ali Sulaiman haben Sprachkurse besucht und sprechen gut Deutsch, aber sie würden gerne noch besser die Sprache lernen und weiter Kurse belegen. Zudem wünschen sie sich noch einige Möbel für ihre neue Wohnung.

© SZ vom 17.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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