SZ-Adventskalender:Das A und O der Integration

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Beim Projekt "Deutsch mit Freunden" lernen Flüchtlinge im Heidetreff in Freimann das Alphabet und danach die Sprache - weil die fürs Ankommen so wichtig ist. Spenden würden ihnen dabei sehr helfen

Von Ulrike Steinbacher

Schrift ist ja genau genommen eine gesellschaftliche Vereinbarung. Bestimmten Symbolen sind bestimmte Bedeutungen zugeordnet. Ein "M" ist ein "M", weil das lateinische Alphabet es so festlegt. Aber mal angenommen, man ist in Syrien aufgewachsen mit arabischen Schriftzeichen oder in Mauretanien, wo Bildung für Frauen immer noch als Verschwendung gilt: Dann kann man mit so einem "M" rein gar nichts anfangen und mit den 25 anderen Buchstaben des hiesigen Alphabets auch nicht. Wer aber nicht oder nur schlecht lesen und schreiben kann, steht im Alltag vor Extra-Hürden. Sie zu überwinden ist das Ziel des Alphabetisierungskurses beim Projekt "Deutsch mit Freunden" im Familienzentrum Heidetreff in Freimann.

"Mond", "malen", "Mitte": Die sieben Frauen, die an diesem Dienstagmorgen ins Gruppenzimmer an der Karl-Köglsperger-Straße 19 gekommen sind, tragen Wörter zusammen, deren Anfangsbuchstaben sie schon durchgenommen haben. Ab und zu springt eine Teilnehmerin auf und verschwindet für ein paar Minuten nach draußen ins Elterncafé, wo vier Betreuerinnen sich um die Kinder der Deutsch-Schülerinnen kümmern - und den Müttern damit Ruhe zum Lernen verschaffen.

Imbiss mit Zahlensalat: Beim Deutschkurs für Migranten im Familienzentrum steht zunächst das Alphabet im Mittelpunkt. (Foto: Florian Peljak)

Jeden Dienstag- und Freitagvormittag findet der Kurs statt, eineinhalb Stunden dauert er. Länger geht's nicht, sagt Elke Stamminger, die Fachleitung Stadtteilangebote Schwabing-Freimann beim Kinderschutz München, einem Träger der Kinder- und Jugendhilfe, der das Deutsch-mit-Freunden-Projekt anbietet. "Das sind Kinder zwischen ein paar Monaten und drei Jahren. Länger halten die's nicht ohne Eltern aus."

"Dose", "Dame", Donnerstag": Auf dem Tisch im Gruppenraum liegen Lettern aus blauer und roter Pappe. Die Frauen sollen sie zu kurzen Wörtern zusammenfügen. Das ähnelt ihrer Hausaufgabe, die Lehrerin Monika Däschlein als nächstes bespricht: Silben bilden aus Konsonanten und Vokalen, "ma" "mi", "me". Der Name "Deutsch mit Freunden" ist älter als der Kurs selbst, erzählt Elke Stamminger. Er stamme aus dem Jahr 2013 oder 2014, als die nahe gelegene Bayernkaserne immer voller wurde und Ehrenamtliche begannen, mit Geflüchteten Deutsch zu lernen.

Als 2013 der Nachbarschaftstreff an der Karl-Köglsperger-Straße eröffnete und 2015 der Familientreff, da "wollten wir auch so ne Brücke bilden zu Menschen nichtdeutscher Herkunft", sagt Stamminger. Die Leute kamen vorbei, Vertrauen entstand, und im Lauf der Zeit zeigte sich auch der Bedarf an Deutschkursen. 2017 zog der Heidetreff mit Hilfe von Spenden eine erste Gruppe auf, seit Juli 2018 wird die zweite mit Geld aus dem SZ-Adventskalender finanziert. Die Förderung läuft bis kommenden Mai, einen Anschlussantrag hat Elke Stamminger schon gestellt.

"Eltern", "Essen", "Elefant": Im Alpha-Kurs gibt es jetzt zur Abwechslung ein Spiel: "Bitte machen Sie die Augen zu", sagen die Frauen im Chor zu einer Mitschülerin, ehe sie aus dem Buchstabensalat auf dem Tisch ein großes "E" fischen. Die Probandin muss die Pappe abtasten und herausfinden, was man ihr da gegeben hat. Reihum geht die Übung, jede meistert die Aufgabe, mal schüchtern, mal mutig, und am Ende freuen sich alle und lachen.

Es gebe im Umfeld "doch viele Menschen, die nicht ausreichend lesen und schreiben können", berichtet Elke Stamminger. Mit den ersten Deutschkursen sei da ein Bedarf sichtbar geworden. Gedacht seien sie zwar in erster Linie für Eltern, schon wegen der Kinderbetreuung, grundsätzlich könne aber jeder kommen, sagt die Sozialpädagogin. Die Teilnahme ist fortlaufend möglich, keine Vorkenntnisse, keine Verpflichtungen, keine Gebühren, keine Prüfung. Mehr als zehn Schüler sollen es im Alpha-Kurs nicht sein, doch "das reguliert sich ganz gut selber".

"Telefon", "Tomate", Taxi": Monika Däschlein und Christine Helfer unterrichten ihre Schüler auf Minijob-Basis. Beide haben Deutsch als Fremdsprache studiert, beim Unterrichten sind sie flexibel und pragmatisch. Christine Helfer hat an diesem Dienstag Geburtstag, daher serviert sie den sechs Kursteilnehmern, die heute gekommen sind, Tee und Brownies und dazu das Thema Zahlen. Das Deutsche macht es Fremdsprachlern da richtig schwer, denn anders als in allen lateinischen und slawischen Sprachen und im Englischen spricht man die Einer vor den Zehnern. Auf dem Papier steht bei "26" die Zwei vor der Sechs, gesprochen wird das aber "immer andersrum", sagt Christine Helfer und verknotet zur Veranschaulichung ihre Arme. "Das ist a bissl verquer im Deutschen."

Also üben fünf Frauen und ein Mann eifrig deutsche Zahlen zwischen eins und hundert. Sie nennen ihre eigenen Geburtstage und müssen feststellen, dass es auch noch einen Unterschied zwischen Kardinal- und Ordnungszahlen gibt. Und dann ist da ja auch immer dieses vertrackte "sie", das mal Singular ist und mal Plural und mal, groß geschrieben, auch eine Höflichkeitsanrede.

"Salami", "September", "Schlange": Es hat Kursteilnehmer im Heidetreff gegeben, die später reguläre Kurse gemacht und die durchaus anspruchsvolle B 1-Prüfung für Alltagsdeutsch bestanden haben. Elke Stamminger sieht aber noch einen ganz anderen Erfolgsnachweis. "Sprache ist ein zentraler Schlüssel", sagt sie. "Man merkt im persönlichen Gespräch, dass die Leute, die regelmäßig kommen, mehr Zutrauen haben zu sprechen."

Und dann sei da auch die Freude der Teilnehmer daran, miteinander zu arbeiten. "Wenn dann Feste sind, dann erhöht sich auch das Engagement und die Leute fühlen sich zugehörig."

"Indianer", "immer", "Isartor": Für diesen Tag sind die Deutschkurse zu Ende, Mütter suchen im Gewusel nach ihren Kindern, der Vorraum, der sich vorübergehend in einen Buggy-Parkplatz verwandelt hatte, leert sich allmählich. Dass die Leute nicht Deutsch lernen wollten, stimme überhaupt nicht, resümiert Elke Stamminger: "Ich glaube, es braucht einfach passende Angebote."

© SZ vom 07.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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