SZ-Adventskalender:Auf Augenhöhe

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Bei den Traumwerkern arbeiten Menschen mit geistiger Behinderung weitgehend selbständig, ihre mobile Kaffeebar ist bei vielen Festen im Münchner Westen gern gesehen. Ihr größter Wunsch: ein richtiges Café

Von Franziska Gerlach, Pasing/Gräfelfing

Wer eine Tasse Kaffee serviert, der blickt dem anderen dabei für gewöhnlich direkt in die Augen. Er sieht ihn an, wird dabei aber auch selbst angesehen. Und weil sich Sibylle Madadkar genau diese Augenhöhe für ihre geistig behinderte Tochter Shirin Madadkar, 23, wünscht, hat sie vor drei Jahren die "Traumwerker" gegründet. "Menschen mit geistiger Behinderung sind momentan im Alltag noch nicht sehr erlebbar", sagt Madadkar. Tagsüber arbeiten sie in Werkstätten, abends sind sie bei ihren Familien oder werden in Wohngruppen betreut.

Mit den Traumwerkern ist das ein wenig anders: Die Mitglieder des gemeinnützigen Gräfelfinger Vereins treten nämlich bei Festen und Veranstaltungen mit ihrer mobilen Kaffeebar auf, um Begegnungen ganz ungezwungen stattfinden zu lassen. Inklusion leben sozusagen.

Rund 15 junge Erwachsene mit Behinderung aus dem Münchner Westen nehmen regelmäßig an den Aktionen der Traumwerker teil, Shirin Madadkar und Tobias Zörntlein sind zwei von ihnen. Doch während Shirin Madadkar ganz offen von ihrem dicken Ordner erzählt, in dem sie Koch- und Backrezepte sammelt, oder davon, wie sie im Hauswirtschaftsbereich des Monsignore-Bleyer-Hauses in Pasing Brotzeiten herrichtet, ist Tobias Zörntlein zunächst etwas schüchtern. Seine Lieblingsbeschäftigung bei den Traumwerkern ist nicht das Servieren von Getränken. Viel lieber püriert er Kürbisse für eine Suppe oder umwickelt für ein Kunstprojekt Stühle mit Wolle, wie bei der 1250-Jahr-Feier von Gräfelfing.

2013 war das, beim ersten öffentlichen Auftritt der Traumwerker als Verein, noch bevor die Traumwerker die mobile Kaffeebar hatten. Eine Studentin der Fachhochschule Rosenheim hat sie 2014 im Zuge ihrer Abschlussarbeit eigens für die Traumwerker entworfen, die grünen Thekenmodule lassen sich ganz flexibel kombinieren. Mal ist die Bar groß, dann eher klein. "Durch die Module haben wir immer die gleichen Handgriffe und die gleiche Arbeitssituation", sagt Madadkar.

Bislang wurde die Bar immer von externen Helfern aufgebaut, doch eigentlich sollen die Behinderten das selbst machen. Vor allem, wenn sich die Traumwerker so entwickeln werden, wie Sibylle Madadkar sich das vor einiger Zeit ausgedacht hat. Ihre Vision ist ein Traumhaus mit Café und Geschenkeladen, das als kleine geförderte Werkstatt im Würmtal betrieben werden soll.

Ein Blick zurück: Als sich Shirin Madadkars Zeit in der Montessori-Schule in Großhadern dem Ende neigt, sieht sich ihre Mutter einige Werkstätten für Behinderte als künftigen Arbeitsplatz an und stellt fest: Anders als in der Montessori-Schule, in der gesunde und behinderte Menschen miteinander lernen, sind Behinderte in Werkstätten oft nur unter sich. Madadkar beginnt nach einer Alternative zu suchen, die ihrer Tochter mehr Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht. Und wird schließlich fündig: Sie entdeckt die "Samocca Cafés", ein Franchise-Projekt mit angegliederten Kaffeeröstereien, in dem Menschen mit Behinderung arbeiten.

Ein tolles Konzept, findet sie. Doch nachdem sie einigen Werkstätten im Münchner Raum vorgeschlagen hatte, ein vergleichbares Angebot zu installieren, stellt sich heraus, dass daraus nicht wird. Denn ein solches Café erfordert eine intensivere Betreuung, als sie in Bayern vorgesehen ist. Also beschritten die Traumwerker einen anderen Weg, um die Barrieren in den Köpfen im Miteinander abzubauen. "Wir haben dann beschlossen, erst mal in der Bevölkerung für Inklusion zu werben", sagt Madadkar. Erst ohne, dann mit der einen mobilen Kaffeebar.

Was bislang allerdings fehlte, war ein Raum, in dem die Behinderten in Ruhe üben können, wie man die Module aufbaut. Oder in denen Almut Gerke, die Schwester von Sibylle Madadkar, mit den Traumwerkern üben kann, wie man einen Gast begrüßt. Und glücklicherweise gibt es in Gräfelfing ein leer stehendes Häuschen, das die Traumwerker künftig nutzen können; der Gräfelfinger Bauausschuss hat seine Zustimmung schon gegeben. Allerdings muss an der kleinen Immobilie noch einiges getan werden.

"Da kommen Kosten auf uns zu", sagt Madadkar, "die Hütte muss hergerichtet und eingerichtet werden". Eine Spülmaschine und einen Backofen werden die Traumwerker benötigen, wenn sie hier Gäste empfangen wollen. Denn das Ziel ist, künftig regelmäßig das Café zu öffnen, an den Wochenenden zum Beispiel. Auf längere Sicht könnten sich Madadkar und die anderen Vereinsmitglieder sogar vorstellen, einen Arbeitspädagogen und eine Café-Leitung einzustellen - und vielleicht können Shirin Madadkar, Tobias Zörntlein und die anderen dann statt in einer Werkstatt in dem Gräfelfinger Inklusionscafé Gäste begrüßen.

Das ist freilich noch Zukunftsmusik. Vorerst ist aus Madadkars Traumhaus ein Traumcafé geworden. Ein Ort, an dem ebenbürtige Begegnungen stattfinden können. Ohne Mitleid. Sondern mit Shirin Madadkar und Tobias Zörntlein als Gastgebern. Auf Augenhöhe.

© SZ vom 15.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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